Mittwoch5. November 2025

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Nach Unglück in LissabonPortugal trauert – und fragt sich, wie so viel schieflaufen konnte

Nach Unglück in Lissabon / Portugal trauert – und fragt sich, wie so viel schieflaufen konnte
Ein Mann legt in der Nähe des Unfallorts der entgleisten und verunglückten Standseilbahn Blumen nieder Foto: dpa/Armando Franca/AP

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Ein gerissenes Stahlseil und ein Bremsdefekt verursachten das Unglück. Doch viele Fragen bleiben offen. Portugal trauert derweil um die Opfer.

Zwischen Blumen, Kerzen und handgeschriebenen Botschaften ist die Straße Calçada da Glória im Lissabonner Stadtzentrum zu einer stillen Mahnstätte geworden. Das Wrack des Standseilbahnwagens, in dem 16 Menschen – die meisten waren Touristen – starben, wurde in der Nacht zum Freitag abtransportiert. Anwohner, Urlauber und auch Portugals oberste politische Repräsentanten, angeführt von Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa, legten Gestecke mit Beileidsbotschaften nieder. „Portugal trauert“, steht auf einer Kranzschleife.

Zwei Tage nach dem Unglück auf der historischen Bahnlinie, die aus dem Zentrum zu einem höher gelegenen Stadtviertel führte, steht fest: Ein tragendes Stahlseil riss oder löste sich aus der Befestigung. Der von der oberen Station gerade abgefahrene Bahnwagen schoss ungebremst die steile Straße hinunter und prallte mit großer Wucht gegen ein Gebäude. Warum das Seil versagte und warum die Bremsen das Unglück nicht verhinderten, ist nun die zentrale Frage. 

Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln

Bei der Tragödie starben laut Behördenangaben 16 Menschen, 22 wurden verletzt. Die Mehrheit der Todesopfer sind ausländische Urlauber: Portugals Kripo bestätigte, dass eine Person aus der Schweiz getötet wurde. Zudem befinden sich Bürger aus Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Frankreich, Kanada, der Ukraine und Südkorea unter den Todesopfern. Auch fünf Portugiesen wurden getötet.

Zunächst hatten die portugiesischen Behörden berichtet, dass auch ein Deutscher getötet worden war. Dies wurde am Freitag korrigiert. Der Deutsche sei verletzt worden und liege im Krankenhaus, erklärte Portugals Polizei. Zu den Verletzten gehört zudem seine Ehefrau und das dreijährige Kind des deutschen Paares. Zudem wurde eine Schweizerin verletzt. Die weiteren Verletzten kommen aus Spanien, Italien, Frankreich, Kanada, Marokko, Südkorea, Kap Verde, Israel, Brasilien und Portugal.

Besonders bewegt Portugal das Schicksal der dreiköpfigen deutschen Familie, die in dem Unglückswagen saß. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie der verletzte Junge unmittelbar nach dem Unfall zunächst von Passanten und anschließend von einem Polizisten betreut wird. Das Kind konnte aber inzwischen aus dem Hospital entlassen und Angehörigen übergeben werden. Vater und die Mutter befinden sich weiterhin im Hospital.

Es ist sehr seltsam! Alles hat versagt!

Verkehrswissenschaftler und Ingenieur Fernando Nunes da Silva

Auch wenn die Behörden bisher zur konkreten Unfallursache keine Angaben machten, zeigen Bilder des portugiesischen Fernsehens bereits, was das Unglück auslöste: Auf den Bildern sieht man eindeutig das abgerissene Tragseil, das den abwärts- und aufwärtsfahrenden Wagen der Standseilbahn verbindet.

Normalerweise sorgt dieses Seil dafür, dass sich die Wagen gleichzeitig und kontrolliert in entgegengesetzten Richtungen bewegen – der abwärts fahrende Wagen zieht den aufwärts fahrenden mit hinauf. Doch nachdem das Seil versagte, rollte der talwärts stehende Wagen unkontrolliert nach unten und zerschellte in der Kurve.

Menschen betrachten die entgleiste Standseilbahn in Lissabon
Menschen betrachten die entgleiste Standseilbahn in Lissabon Foto: dpa/Armando Franca

Dabei hätte es noch schlimmer kommen können: Fachleute wie der portugiesische Kriminalwissenschaftler Paulo Vieira Pinto weisen darauf hin, dass sich das Seil gleich zu Beginn der Talfahrt löste. Hätten sich beide Wagen beim Seilversagen gerade in der Mitte der Steilstrecke befunden, wären vermutlich beide vollbesetzten Kabinen ungebremst in die Tiefe gerast – mit noch weit verheerenderen Folgen.

Doch so kamen die Passagiere im unteren Waggon überwiegend mit dem Schrecken und ein paar Schrammen davon. Eine italienische Passagierin, die in der unteren Bahn saß, berichtete: Nach kurzer Fahrt sei der Wagen plötzlich stehen geblieben und dann einige Meter rückwärts gerollt. Sie sei durch einen heftigen Ruck aus dem Sitz geschleudert worden. „Ich fiel auf die Personen, die bereits zu Boden gegangen waren.“ Sie und die meisten anderen Passagiere hätten sich jedoch aus eigener Kraft aus dem unteren Waggon retten können.

Wie konnte das dicke Stahlseil bersten?

Portugals Medien fragen nun: Wie konnte das dicke Stahlseil bersten? Und warum funktionierte auch nicht das Notbremssystem, das bei einer Panne die Bahnwagen am Weiterrollen hindern soll? Angeblich wurde die Sicherheit der Anlage noch am Morgen des Unglückstags kontrolliert. Den Technikern sei nichts Bedenkliches aufgefallen, hieß es.

Die Wartung der Anlage wird aber nicht von der städtischen Bahngesellschaft übernommen, sondern wurde schon vor Jahren an einen externen Betrieb vergeben. Die Verantwortlichen versichern, dass alle vorgeschriebenen Inspektionsintervalle eingehalten wurden. Die Bahngewerkschaft weist hingegen daraufhin, dass von Angestellten mehrfach Mängel gemeldet wurden – ohne dass etwas geschehen sei.

Unabhängig von möglichen strafrechtlichen Verantwortlichkeiten rechnen Anwälte damit, dass von den Opfern hohe Schadenersatzforderungen auf die Bahngesellschaft zukommen. Die Entschädigungen pro Todesopfer würden sich in Portugal üblicherweise im Bereich von 70.000 bis 80.000 Euro bewegen, hieß es im portugiesischen Fernsehen.

Die Behörden versprachen derweil, dass sie innerhalb von 45 Tagen einen konkreten Bericht über den Unglückshergang vorlegen wollen. Doch deutet sich bereits jetzt an, dass es schwere Pannen gegeben hat. Die portugiesische Zeitung Sol zitiert den Verkehrswissenschaftler und Ingenieur Fernando Nunes da Silva mit den Worten: „Es ist sehr seltsam! Alles hat versagt!“