Dienstag21. Oktober 2025

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Proteste in IndonesienPolizei überfährt Essenslieferanten – Demonstranten setzen Parlamentsgebäude in Brand

Proteste in Indonesien / Polizei überfährt Essenslieferanten – Demonstranten setzen Parlamentsgebäude in Brand
Demonstranten fahren mit Motorrädern vor einem Polizeihauptquartier vorbei, das während der Proteste in Surabaya am 31. August niedergebrannt und geplündert wurde Foto: AFP/Juni Kriswanto

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Ein brennendes Parlamentsgebäude, wütende Demonstrierende und ein toter Lieferfahrer – Indonesien erlebt eine seiner schwersten Protestwellen seit Jahren. Die Unruhen stellen Präsident Prabowo Subianto nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt vor eine erste große Bewährungsprobe.

Bei schweren Ausschreitungen in Indonesien sind drei Menschen ums Leben gekommen und fünf weitere verletzt worden. Demonstrierende hatten am Freitagabend in Makassar, der Hauptstadt der Provinz Süd-Sulawesi, ein Regionalparlamentsgebäude in Brand gesetzt. Das teilten die Behörden am Samstag mit. Zwei Verletzte sprangen nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde aus dem brennenden Gebäude, die Todesopfer sollen laut der Nachrichtenagentur Antara in den Flammen eingeschlossen gewesen sein. Der Vorfall markiert den bisherigen Höhepunkt einer landesweiten Protestwelle – und stellt die erste große Bewährungsprobe für Präsident Prabowo Subianto dar, der erst im Oktober 2024 die Nachfolge von Joko Widodo angetreten hat.

Die aktuellen Demonstrationen hatten am Montag begonnen, nachdem bekannt geworden war, dass alle 580 Abgeordneten zusätzlich zu ihren Gehältern eine monatliche Wohnzulage von 50 Millionen Rupiah (rund 2600 Euro) erhalten – fast zehnmal so hoch wie der Mindestlohn in Jakarta. Für viele Indonesierinnen und Indonesier ist dies Ausdruck einer politischen Elite, die sich in Zeiten hoher Lebenshaltungskosten von den Sorgen der Bevölkerung abkoppelt.

Polizei überfährt Essenslieferanten

Im Rahmen dieser Proteste kam es zu einem ersten tragischen Todesfall. Ein 21-jähriger junger Mann wurde von einem gepanzerten Polizeifahrzeug überrollt und getötet. Er war Berichten zufolge gerade dabei, eine Essenslieferung auszuliefern, als er in die Auseinandersetzungen geriet. Zeugen berichteten, das Fahrzeug sei plötzlich durch die Menge gerast und habe ihn erfasst, ohne danach anzuhalten. Sein Tod befeuerte die ohnehin angespannte Lage und machte die Proteste zu einem Symbol für staatliche Gewalt und Willkür.

„Ich war schockiert und enttäuscht über das exzessive Vorgehen der Beamten“, sagte Präsident Subianto später in einer Fernsehansprache. „Ich bin tief besorgt und zutiefst betrübt über diesen Vorfall.“ Er kündigte eine umfassende Untersuchung an und rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Die Unruhen, bei denen nun drei Menschen starben, wurden durch ein Video ausgelöst, das den Vorfall zeigte und in den sozialen Medien kursierte.

Junge Generation im Aufruhr

Völlig neu ist der Widerstand gegen die Regierung nicht. Bereits in den vergangenen Wochen hatten Medien über ein ungewöhnliches Symbol des Protests berichtet, das die Unzufriedenheit vor allem junger Menschen zum Ausdruck bringen sollte: An Häuserwänden in Jakarta tauchte immer häufiger die „Jolly-Roger“-Flagge aus der japanischen Anime-Serie One Piece auf. Unter dem Hashtag #IndonesiaGelap („dunkles Indonesien“) verbreiteten Jugendliche das Motiv in den sozialen Medien. Für viele war es Ausdruck tiefer Frustration.

Die Eskalation fällt in eine symbolträchtige Zeit: Indonesien feierte am 17. August den 80. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Mit über 280 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist der Archipel der bevölkerungsreichste Staat Südostasiens. Doch die Geschichte Indonesiens ist von Rückschlägen geprägt. Nach der Unabhängigkeit 1945 und dem Ende der niederländischen Kolonialherrschaft dauerte es Jahrzehnte, bis das Land zu einem demokratischen System fand. Unter Suharto herrschte über drei Jahrzehnte eine autoritäre „Neue Ordnung“. Erst dessen Sturz 1998 öffnete den Weg zu Reformen. Viele Beobachter sehen nun die Gefahr, dass das Land erneut autoritäre Tendenzen entwickelt. Subianto selbst ist eine hochumstrittene Figur: Als Schwiegersohn Suhartos und ehemaliger General wurde er 1998 wegen Menschenrechtsverletzungen aus dem Militär gedrängt, Australien setzte ihn zeitweise auf eine schwarze Liste, die USA verhängten ein Einreiseverbot.

Besonders umstritten ist das von seiner Regierung geplante Projekt einer „neuen nationalen Geschichtsschreibung“. Kritiker befürchten, dass darin zentrale Ereignisse wie die Massenmorde von 1965 bis 1969 verharmlost oder verschwiegen werden. „Große Besorgnis“ äußerte etwa Andreas Harsono von Human Rights Watch: Menschenrechtsverletzungen könnten so aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden. Historiker warnten vor einer gefährlichen Rückkehr zu einer staatlich kontrollierten Geschichtserzählung, ähnlich wie unter Suharto.