Plötzlich Chef (von 1.200 Mitarbeitern)

Plötzlich Chef (von 1.200 Mitarbeitern)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Stadt Esch wird bis 2023 von einer Koalition aus CSV, „déi gréng“ und DP regiert. Der neue CSV-Bürgermeister Georges Mischo erklärt im Interview mit dem Tageblatt, was ihn und seine Kollegen in den nächsten Jahren erwarten wird und wie die neue Koalition Esch verändern will.

Tageblatt: Was ist das für ein Gefühl, wenn man plötzlich und vielleicht auch etwas unerwartet Bürgermeister der zweitgrößten Stadt des Landes ist?
Unerwartet war es schon, wenn man sich die Konstellation vor den Wahlen ansieht. Am Wahlabend hat sich die Situation dann konkretisiert. Geträumt davon habe ich vielleicht, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich schon in diesem Jahr Bürgermeister werden würde.


Video: Pascal Federspiel

Was wird sich privat und beruflich für Sie ändern?
Das Escher Bürgermeisteramt ist ein Vollzeitjob. Das heißt, dass ich meine Anstellung als Sportlehrer aufgeben muss. Auch familiär ist es natürlich eine Umstellung. Meine Kinder gehen ins Konservatorium und treiben Sport. Sie wollen ihren Vater auch ab und zu sehen, genau wie meine Frau. Ich bin mir der Herausforderung bewusst. Ich weiß natürlich nicht alles, was auf mich zukommen wird. Bürgermeister wird man nun mal einfach so und es gibt keinen Leitfaden und kein Buch, in dem steht, wie es geht.

Das Amt beinhaltet große Verantwortung …
Die Escher Gemeinde beschäftigt 1.200 Beamte und Angestellte. Das ist die politische Herausforderung, die ich mir auferlegt habe. Ich bin aber bereit und extrem motiviert und ich hoffe, dass es bis zur Vereidigung nicht mehr allzu lange dauert, damit wir mit der Arbeit beginnen können.

Das Koalitionsabkommen mit „déi gréng“ und DP enthält kaum Punkte zur Sozialpolitik. Ist das Absicht oder wurde es nur vergessen?
Von Anfang an haben wir als CSV gesagt, dass wir die Sozialpolitik, die wir in all den Jahren immer unterstützt haben, auch weiterführen wollen. Das gilt sowohl für die Renovierung des Abrisud als auch für die „Fixerstuff“. Beides ist mit enorm viel Arbeit und Verantwortung verbunden. Die Renovierung der gemeindeeigenen Sozialwohnungen wollen wir ebenfalls fortsetzen, genau wie den Bau der Flüchtlingsunterkunft im Neudorf.

Im Abkommen ist die Rede von einer „gemeinsamen Verantwortungsverteilung der gesellschaftlichen Solidaritätsstrukturen und -einrichtungen zusammen mit allen Akteuren und allen betroffenen Gemeinden des Landes“. Wie ist das zu verstehen?
Wir wollen Partnerschaften mit anderen Gemeinden abschließen, damit verschiedene Bereiche aufgeteilt werden. Es gibt vielleicht Strukturen, die besser in die Gemeinde X oder Y passen, damit nicht die ganze Last immer in Esch konzentriert werden muss. Jede der umliegenden Gemeinden soll ihre Verantwortung übernehmen. Wir werden aber niemanden aus Esch rauswerfen und auch keinem den Zugang zum „Office social“ verwehren, selbst wenn er nicht in Esch wohnt.

Die drei Koalitionsparteien wollen sich für die soziale Durchmischung einsetzen. Wie stellen Sie sich das vor?
Die Wohnungspreise sind im ganzen Land hoch. Noch immer gibt es Menschen, die mit Immobilien viel Geld verdienen wollen. Trotzdem existiert die Möglichkeit von subventionierten Projekten in Zusammenarbeit mit der SNHBM und dem „Fonds du Logement“. Konzepte wie Wohngemeinschaften oder Erbpachtverträge für junge Menschen können auch Abhilfe schaffen. Darüber hinaus ist es wichtig, auch hier neue Arbeitsplätze zu schaffen, damit die Leute nicht jeden Tag in die Hauptstadt fahren und Stunden im Stau verbringen müssen.

Wie wollen Sie das konkret erreichen? Im Koalitionsabkommen reden Sie von Start-ups, Pop-up-Stores und einem Handwerkerhof…
Wir wollen auch mit Akteuren aus der Industrie reden. Die Neugestaltung der Industriebrachen „Lentille Terres Rouges“ und Esch-Schifflingen stellt eine enorme Herausforderung dar und Belval ist auch noch nicht abgeschlossen. Da kann noch viel gemacht werden. Das Resultat einer Machbarkeitsstudie von Agora, um eine direkte Verbindung zwischen Belval und dem Escher Zentrum zu schaffen, soll in zwei, drei Monaten vorgestellt werden. Danach ist es an uns, Rad- und Fußgängerwege zu bauen, damit diese Anbindung auch funktionieren kann.

Bei der Erschließung der Brache Esch-Schifflingen kündigen Sie eine enge Zusammenarbeit mit den Besitzern ArcelorMittal und CFL an. Gleichzeitig soll die Erschließung unter Einbeziehung der Bevölkerung erfolgen. Wie lässt sich beides vereinbaren?
Zuerst brauchen wir einen Masterplan, der partizipativ erstellt werden soll. Die Einwohner von Esch und Schifflingen sollen ihre Ideen einbringen. Normale Bürger, aber auch Ingenieure, Architekten oder Geschäftsleute sollen an der Ausarbeitung des Masterplans beteiligt werden. Wir müssen aber aufpassen, dass wir die Fehler, die in Belval gemacht wurden, nicht wiederholen. Doch ich bin zuversichtlich, dass das klappen kann, auch weil Schöffenratsmitglieder beider Gemeinden in den Entscheidungsgremien vertreten sind.

Sie wollen sich auch stärker für den Schutz der Industriekultur einsetzen. ArcelorMittal und der Staat haben viele Industriegebäude nach ihrer Schließung verkommen lassen, eine Renovierung ist kostenaufwändig und geht zu Lasten der Steuerzahler. Welche Lösung schlagen Sie vor?
Im Bereich der Industriekultur wurde in der Vergangenheit vieles versäumt. Es wurde immer argumentiert, dass die Grundstücke nicht der Gemeinde gehören, doch beim 1535° in Differdingen hat das Grundstück auch nicht der Gemeinde, sondern ArcelorMittal gehört. Dann muss man mit denen reden. Ich finde die Industriekultur extrem wichtig. Ich will meinem Sohn erklären können, wo sein Großvater und sein Urgroßvater hart gearbeitet haben. Wir müssen diese Gebäude als Zeitzeugen bewahren. Natürlich stellt es ein Problem dar, dass Vieles verfallen ist oder unwiderruflich zerstört wurde. Auf Belval wollen wir deshalb neben der Hochofenterrasse auch die Gebläsehalle erhalten. Der Staat trägt dabei auch seine Verantwortung. Wenn er die Kulturhauptstadt im Süden will, soll er auch Esch 2022 in dieser Hinsicht unterstützen.

Auch die neue Koalition will Esch 2022 weiter unterstützen. Sollte die Kandidatur Erfolg haben, was wollen Sie ändern, um der Kulturhauptstadt Ihren Stempel aufzudrücken?
Erst einmal möchte ich sagen, dass die neue Koalition beschlossen hat, Vera Spautz und ihrer Mannschaft die Möglichkeit zu bieten, die Kandidatur für Esch 2022 zu Ende zu bringen, bis die Jury am 10. oder 11. November ihre Entscheidung trifft. Es war ihr Projekt, wir wollen uns jetzt nicht mit fremden Federn schmücken. Wenn meine Hilfe gebraucht wird, stehe ich aber in zwei Wochen zur Verfügung, um der Mannschaft von Esch 2022 den Rücken zu stärken, auch wenn ich bis dahin vielleicht noch nicht vereidigt bin. Danach muss man weitersehen. Es gibt viele Beispiele, wie das Label der Kulturhauptstadt es geschafft hat, Städte wieder nach oben zu bringen. In Nantes hat das zum Beispiel enorm gut geklappt.

Kultur als Wirtschaftsmotor?
Ja. Weder der Esch 2022 asbl. noch der CSV geht es darum, ein Jahr lang nur Feste zu feiern und dann 2023 „äddi a merci“ zu sagen. Die Kulturhauptstadt ist klar als Wirtschaftsmotor zu sehen. Esch soll auch auf europäischer Ebene wahrgenommen werden und Leuten aus dem Ausland etwas zu bieten haben, das sie nach Esch zieht. Das kann die Industriekultur sein, aber auch Museen, Volksfeste und andere Dinge. Für die Geschäftswelt ist das enorm wichtig.

Verkehr und Sicherheit sind zwei Themen, die den Eschern Sorge bereiten. Zur Verbesserung der Sicherheit haben Sie im Abkommen recht eindeutige Vorschläge geäußert. Bei den Themen Verkehr und Parkplätze ist es etwas weniger eindeutig…
Bei einer Bürgerversammlung hatte Polizeiminister Etienne Schneider gesagt, dass mehr Verwaltungspersonal eingestellt werden soll, damit die Polizisten wieder verstärkt in der Öffentlichkeit präsent sein können. Das werden wir natürlich bei der Regierung einfordern.
Beim Verkehr wollen wir den „Bus à haut niveau de service“ unterstützen und dafür sorgen, dass der Verkehrsfluss am Boulevard JF Kennedy besser wird. Dort könnte man den Kreisverkehr abschaffen, die beiden Ampeln vor dem Bahnhof ändern und ein Shared Space ausweisen. Nach der Fertigstellung der Liaison Micheville müssen die Grenzgänger nicht mehr durch Esch fahren, was auch für Entlastung sorgen wird. Beim Thema Parking wollen wir eine Studie in Auftrag geben, um zu prüfen, welche Maßnahmen hilfreich wären. Gratis-Parken zur Mittagszeit und ein Park&Ride, um das Zentrum zu entlasten, das könnte schon Abhilfe schaffen.

Werden Sie 2018 für die Parlamentswahlen kandidieren?
Ich habe jetzt erst einmal enorm viel zu tun, um mich in das neue Amt in Esch einzuarbeiten. Für die Parlamentswahlen 2018 schließe ich meine Kandidatur nicht aus, doch das ist jetzt noch Zukunftsmusik.

duscholux
28. Oktober 2017 - 17.15

Mischo: "Bürgermeister wird man nun mal einfach so und es gibt keinen Leitfaden und kein Buch, in dem steht, wie es geht." Einfach mal googeln: Autoren: Frank Bätge u. a. Handbuch für Bürgermeister Verlag: Kommunal- und Schulverlag Wiesbaden 2010 464 Seite 39,80 € ISBN 978-3-8293-0924-0 Le Guide du maire de Direction générale des collectivité locales (DGCL) Broché 2008 €28,00 uvam