Sonntag21. Dezember 2025

Demaart De Maart

EditorialPazifismus oder Militarisierung: Über ein schwieriges Gleichgewicht in Politik und Gesellschaft

Editorial / Pazifismus oder Militarisierung: Über ein schwieriges Gleichgewicht in Politik und Gesellschaft
17.000 Menschen kamen im Juli zum Tag der offenen Tür der luxemburgischen Armee auf dem Herrenberg Foto: Editpress/Julien Garroy

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Das Genre der „tokusatsu eiga“, der japanischen Spezialeffekt-Filme der Fünfziger- und Sechzigerjahre, kennt viele unterschiedliche Bedrohungen: Außerirdische aus dem Weltall, vergessene Zivilisationen aus den Tiefen des Meeres und natürlich die berühmteste von allen: Godzilla, legendäres Filmmonster und Verkörperung des Traumas der Atombomben. Gemein ist all diesen Filmen ein Traum: dass die Menschheit nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, nach dem Holocaust, nach den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki endlich geeint steht, gemeinsam agiert, rational, nicht kriegstreiberisch, auf der Grundlage pazifistischer und humanistischer Ideale.

Es ist Science-Fiction geblieben. Die echte Welt hat sich anders entwickelt. Pazifismus konnten und mussten sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem die Verlierer leisten. Japan verzichtete in seiner Verfassung „für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation“. Deutschland ging weniger weit, seine Armee schrumpfte aber in die Bedeutungslosigkeit. Die großen Gewinner, allen voran die USA und die Sowjetunion, aber auch die Franzosen und die Briten, konnten ihr Militär feiern – und tun das bis heute. Zwar sind Armeen und Militär in Europa, besonders in kleinen Ländern wie Luxemburg, über die Jahre immer weniger präsent geworden, doch in den großen Militärnationen von einst sind sie dennoch fest verankerter Bestandteil der Gesellschaft.

An dieser Stelle ist es wichtig, zwischen Pazifismus als politische Einstellung in der Zivilgesellschaft und Pazifismus als politische Position eines Staates zu unterscheiden. Die Welt von heute ist nicht so, wie sie in den Sechzigern geträumt wurde. An diese Realität müssen sich Regierungen anpassen. Verteidigungsfähigkeit ist wichtig und heißt für Europa: aufrüsten und in Verteidigung investieren. Dieses Ziel als Regierung politisch zu verfolgen, bedeutet nicht, dass die Zivilgesellschaft als wichtiges Korrektiv die Ideale des Pazifismus aufgeben muss. Die entgegengesetzt wirkenden Kräfte Pazifismus und Militarisierung sind ja gerade das Zeichen einer freien und funktionierenden Demokratie, genau die, die es zu verteidigen gilt.

Die Krux ist nur: Im Zweifel muss irgendjemand an die Waffe. Verteidigung geht nicht ohne Menschen. Und mehr Leute bei der Armee bedeuten eine wachsende Rolle und Bedeutung des Militärs in Gesellschaften, in denen das bislang nicht der Fall war. Japan ist heute drauf und dran, seinen pazifistischen Sonderweg hinter sich zu lassen, die deutsche Bundeswehr soll wachsen, Luxemburg wird viel Geld in seine Verteidigung, in seine Armee investieren. Das schürt auch Ängste vor einer überbordenden Militarisierung.

Was diese mit einer Gesellschaft macht, wenn sie schon bei den Kleinsten beginnt, beschreibt unsere Korrespondentin Inna Hartwich in ihrem Abschiedstext von Russland eindrucksvoll. Ferienlager mit Wettbewerben, wer am schnellsten eine Kalaschnikow auseinandernimmt und wieder zusammensetzt. Fahnenappell und militärische Grundausbildung in der Schule. Natürlich sind wir von solchen Zuständen weit entfernt. Dennoch beschleicht einen ein mittelschweres Unbehagen, wenn man Kinder beim Tag der offenen Tür der luxemburgischen Armee auf Panzer klettern und mit Sturmgewehren posieren sieht. Wenn Verteidigungsministerin Backes im Tageblatt-Interview von Sommer-Boot-Camps der Armee für Jugendliche erzählt.

Genau dieses Unbehagen ist wohl das Gleichgewicht zwischen Pazifismus und Militarisierung. Eine Spannung, die wir in den kommenden Jahren werden aushalten müssen – und wir werden aushandeln müssen, was notwendig ist und was zu weit geht.

porcedda daniel m
10. August 2025 - 18.36

@ Reinertz Barriera Manfred

Die Bedeutung dieses Ausspruches des römischen Autors Vegetius aus dem 4. oder 5. Jahrhundert ist zwar, dass militärische Stärke und Vorbereitung notwendig sind, um den Frieden zu sichern, aber dass dies Kinder und Jugendliche einbeziehen soll, geht daraus nicht hervor.

Pazifismus betreffend: Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur bis zu 20 verschiedene Unterscheidungen von Pazifismus. Den einen Begriff des "Pazifismus" gibt es daher gar nicht. Keinesfalls jeder Pazifist und jede Pazifistin lehnt Gewaltanwendung ab.

Der britische Philosoph, Mathematiker und Sozialkritiker, Bertrand Russell, einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts, bezeichnete seinen Pazifismus als "relativen Pazifismus". Relativer Pazifismus lässt Kriege als letztes Mittel gegen Tyrannen zu. Viele der heutigen Pazifisten, soweit sie nicht realitätsfern sind, sehen es ebenso.

Reinertz Barriera Manfred
10. August 2025 - 16.54

Der Pazifismus ist und bleibt eine Utopie, die Realität holt uns immer ein irgendwann; also gilt : civis pacem para bellum immer noch......und das gesellt sich nicht mit Pazifismus....

Lucilinburhuc
9. August 2025 - 13.32

Auch Soldaten wollen Frieden und kämpfen dafür. Ein Wiederspruch in sich aber trotzdem richtig im Kontext von Putin und Konsorten.

porcedda daniel m
8. August 2025 - 23.10

@ fraulein smilla

Ein Unterhaltungsprogramm mit dem Militär ist für Kinder und Jugendliche nicht altersgemäß. Für Grundschulkinder zum Beispiel ist der Themenkomplex Militär pädagogisch kaum zu vermitteln. Oliver Danner, GEW-Vorstandsmitglied (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) in Bayern zu diesem Thema: „Ein unsachgemäßer Umgang kann hier zu Angst oder Verunsicherung führen und dem pädagogischen Anspruch nicht gerecht werden.“

Martina Borgendale, Landesvorsitzende der GEW in Bayern, legt nach: „Selbst so ein total harmloses, nettes Aufeinandertreffen ist halt letztendlich doch eine Gewöhnung an die ganze Thematik.“ Der militarisierte Kontext sei unverkennbar, betont sie – selbst wenn es nur ums Grillen und Spielen gehe. „Da haben wir eben Themen wie potenziell Kriegseinsätze, geistige, seelische und körperliche Verletzungen, die da im Raum stehen.“

Auch der Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Ates Gürpinar, äußert scharfe Kritik an solchen Freizeitgestaltungen: „Militär hat in Kinderzimmern, Klassenzimmern und Ferien- resp. Freizeitprogrammen nichts verloren. Das ist Früh-Militarisierung mit Tarnnetz“, schrieb er auf X (vormals Twitter). Er spricht von „Kriegspropaganda mit Bastelstunde für Heranwachsende“.

Das klingt bei weitem nicht so harmlos, wie Sie es glauben machen wollen …

Norbe Milla
8. August 2025 - 16.37

"Im Zweifel muss irgendjemand an die Waffe"

An die 3d Brille um die Suicide-Drohnen zu dirgieren.

fraulein smilla
8. August 2025 - 13.40

Wir sind als Kinder waerend der Remembrance Day Woche in Ettelbruck in Militaerhubschrauber gestiegen und auf Panzern rumgeklettert . Dies alles ohne bleibende Schaeden und es hatte bei den Erwachsenen bestimmt kein mittelschweres Unbehagen ausgeloest . Irgendwelche Nannymassnahmen oder Trigger Warnungen an die Eltern sind komplett ueberfluessig .-Dass Japan seinen pazifistischen Sonderweg hinter sich laesst , ist wenn der US President Trump heisst und der Nachbar Kim Jong Un eigentlich leicht zu verstehen , also folgerichtig .

porcedda daniel m
8. August 2025 - 12.27

Militär sollte einen Jugendschutzverbot erhalten. Kinder und ganz junge Menschen an Waffen heranführen zu wollen, und sei es auch bloß spielerisch, sollte ein No-Go sein.

Ab 18 (?) Jahren darf dann jeder der es möchte, sich gerne mit Militärtechnik beschäftigen und - warum nicht - eine militärische Laufbahn in Betracht ziehen.