Seit seiner Reform von 2016 verzichtet der Staatsrat größtenteils auf politische Stellungnahmen in seinen Gutachten. Kommt es doch vor, sind es meist rechtsliberale Positionen, die eine gesellschaftliche Debatte über seine Daseinsberechtigung auslösen – insbesondere, wenn es sich um Gesetzentwürfe handelt, die in der Öffentlichkeit und im Parlament kontrovers diskutiert werden. Diese Woche war das anders.
Als der Staatsrat am Dienstagabend seine Gutachten zu den von CSV-Arbeitsminister Georges Mischo und DP-Wirtschaftsminister Lex Delles hinterlegten Gesetzentwürfen über die Liberalisierung der Sonntagsarbeit und der Ladenöffnungszeiten veröffentlichte, feierten nicht nur die Gewerkschaften. Angesichts der Zusammensetzung des Staatsrats, in den CSV und DP eine Mehrheit der Mitglieder ernannt haben, überrascht es, dass sich die Hohe Körperschaft in ihren „Considérations générales“ unmissverständlich gegen die gesetzliche Liberalisierung der Arbeitszeiten ausgesprochen hat. Und stattdessen dafür plädiert, die Verlängerung der Sonntagsarbeitszeit (von vier auf acht Stunden) und die Ausdehnung der Öffnungszeiten im Handel und Handwerk (auf 5 bis 22 Uhr) in Kollektivverträgen, statt per Gesetz zu regeln. Zusätzlich regt der Staatsrat an, arbeitsrechtliche Bestimmungen vorzusehen, um die mit 38 Prozent selbst für luxemburgische Verhältnisse vergleichsweise niedrige tarifvertragliche Abdeckung im Einzelhandel gemäß den Vorgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie zu erhöhen.
„Deutliche Sprache“
„Déi Avise vum Staatsrot hätte vun eis kéinte geschriwwe sinn“, freute sich LCGB-Präsident Patrick Dury am Mittwoch im RTL Radio, während OGBL-Präsidentin Nora Back durch die Gutachten bestätigt sieht, dass „unsere Forderungen keine Spinnereien von Linken und Gewerkschaftern sind“, wie sie dem Tageblatt erklärt. „Der Staatsrat hat seine revolutionäre Ader entdeckt“, ironisiert Marc Baum von der Linken, die die Existenzberechtigung der Hohen Körperschaft in den vergangenen Jahren am häufigsten infrage gestellt hatte. In seiner Plenarsitzung am Dienstag hatte der Staatsrat beide Gutachten einstimmig angenommen.
„Dat weist, dass d’Frieden-Regierung verdammt isoléiert ass“, sagt Marc Baum am Mittwoch dem Tageblatt. Von „enger op de Bak fir Frieden, Mischo an Delles“ spricht der LSAP-Abgeordnete Georges Engel. Djuna Bernard von den Grünen begrüßt die „deutliche Sprache“ des Staatsrats, der „berechtigte philosophische Fragen“ aufgeworfen habe. Auch CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz ist erfreut, dass der Staatsrat nicht einfach „Schönwetter-Avisen“ abgegeben habe, sondern die Sonntagsarbeit als sozialen Rückschritt bezeichnet und darauf hinweist, dass verlängerte Öffnungszeiten kleine Läden gegenüber großen Ketten benachteiligen könnten.
Hei schéngt et mir, wéi wann eise Koalitiounspartner sech als éischt intern mat sengem Ressort-Minister misst eens ginn, wat si wëllen
Marc Spautz hatte in den vergangenen Monaten wiederholt seinen Dissens über die Gesetzentwürfe von Mischo und Delles zum Ausdruck gebracht und sich der Politik der Regierung in diesem Bereich opponiert. Er hofft nun, dass CSV-Premier Luc Frieden, der dem politisch ungeschickt agierenden Arbeitsminister den Sozialdialog vor einigen Monaten entrissen hat, noch einmal in sich geht und die Regierung die umstrittenen Entwürfe zurückzieht, um sie – wie vom Staatsrat empfohlen – zusammenzulegen und mit den Sozialpartnern neu zu verhandeln. Am Montag hatte der Premier die Sozialpartner für den 9. Juli zu einer Versammlung ins Staatsministerium eingeladen, um über die Rentenreform und den Sozialdialog zu reden. Bei dieser Gelegenheit könne auch über Arbeitszeiten und Kollektivverträge diskutiert werden, schlägt Spautz am Mittwoch im Gespräch mit dem Tageblatt vor. Für diese Lösung sprechen sich auch Linke, LSAP und Grüne aus. „Wa se dat net maachen, weisen se, wéi verbruet se sinn a wéi wéineg de Sozialdialog hinne bedeit“, sagt der frühere LSAP-Arbeitsminister Georges Engel.
DP erhöht Druck auf Mischo
Der Premier und CSV-Präsident Luc Frieden wollte sich am Mittwoch auf Nachfrage nicht zu den Gutachten des Staatsrats und den Vorschlägen des CSV-Fraktionspräsidenten äußern und verwies an die zuständigen Ressortminister. Dass sie „verbruet“ ist, hat die CSV-DP-Regierung seit ihrem Amtsantritt wiederholt unter Beweis gestellt. Sollte sie die Gesetzentwürfe nicht zurückziehen und Marc Spautz an seiner Position festhalten – was er am Mittwoch unmissverständlich in Aussicht stellte –, wird es von den restlichen 20 CSV-Abgeordneten und den 14 des Koalitionspartners DP abhängen, ob die Kammer die Entwürfe in ihrer hinterlegten Form annimmt oder sie im Interesse der Gewerkschaften abändert.
Die DP-Präsidentin und Vize-Fraktionsvorsitzende Carole Hartmann sagt am Mittwoch dem Tageblatt, beim von ihrem Parteikollegen Lex Delles hinterlegten Entwurf zu den Öffnungszeiten stelle der Staatsrat den „generelle Kader“ nicht infrage, deshalb gehe es eigentlich nur darum, auf die drei „oppositions formelles“ zu reagieren, die eher technischer Natur sind: „Ech denken, dass mir do Léisunge wäerte fannen.“ Hinsichtlich des Gesetzentwurfs zu der Sonntagsarbeit verweist Hartmann auf die CSV: „Hei schéngt et mir, nodeems ech de Marc Spautz de Moien um Radio 100,7 héieren hunn, wéi wann eise Koalitiounspartner sech als éischt intern mat sengem Ressort-Minister misst eens ginn, wat si wëllen.“ Die DP sei offen für Diskussionen über Mischos Entwurf, der – im Unterschied zu dem von Delles – „leider net mat de Sozialpartner diskutéiert gouf, éier en deposéiert ginn ass“.
Diese Aussage bestreiten indes die Gewerkschaften. Laut OGBL und LCGB wurde keiner der beiden Entwürfe mit ihnen diskutiert. Zwar habe Lex Delles die Gewerkschaften einmal eingeladen und ihnen zugehört, sagt Nora Back, doch in seinem Text berücksichtigt habe er ihre Vorschläge nicht.
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