Orban fischt am rechten Rand

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Unerbittlich wettert Viktor Orban gegen Migranten. Der ungarische Ministerpräsident will seine Unterstützer damit weiter hinter sich versammeln, sie einen, und zum Abstimmen am Sonntag bewegen. Zum dritten Mal in Folge könnte sich Orban bei der Parlamentswahl bestätigen lassen, seine insgesamt vierte Amtszeit seit 1998 antreten. Den meisten Umfragen zufolge dürfte Orbans Fidesz-Partei 50 Prozent der Stimmen erhalten – weit vor der rechtsnationalen Jobbik oder der Sozialistischen Partei. Am rechten Rand fischt Orban dennoch fleißig weiter.

Der Schwerpunkt seines Kabinetts liegt fast nur noch beim Thema Migration, seitdem vor drei Jahren 400 000 Menschen auf dem Weg nach Westeuropa Ungarn passierten. Obwohl derzeit allenfalls einige wenige Menschen pro Tag die Grenzen des Landes erreichen, warnt Orban immer wieder vor angeblichen Gefahren durch Zuwanderung. Ihm und seinen Ministern zufolge würde Ungarn im Chaos versinken, falls es ein „Einwandererland“ wie Frankreich oder Belgien werde. Inländische Mittel und Geld der Europäischen Union würden dann an Einwanderer weitergeleitet, obwohl sie eigentlich für ungarische Familien oder die 800 000 Menschen starke Gemeinschaft der Roma bestimmt seien.

Orbans Verschwörungstheorien

Migranten gefährdeten die Sicherheit im Land, so Orban, die Terrorgefahr werde steigen. Die wirtschaftliche Entwicklung stehe mit Zuwanderern vor dem Ende, Hilfe für ländliche Gegenden ebenso. Auf Frauen und Mädchen werde „Jagd gemacht“, die Hauptstadt Budapest nicht mehr zu erkennen sein.

2015 ließ Orban Stacheldrahtzäune an den südlichen Grenzen errichten. Dann entwickelte er Verschwörungstheorien: Der Ministerpräsident behauptet, die EU, die Vereinten Nationen und der ungarisch-amerikanische Finanzier George Soros wollten das Land zur Aufnahme von Tausenden muslimischen Migranten zwingen. Ziel sei, Ungarns Unabhängigkeit und seine christliche Kultur zu schwächen. Im März sprach Orban von Soros‘ „geldgieriger Armee“: Rund 2000 Menschen würden dafür bezahlt, bei der Abstimmung am Sonntag auf einen Sturz der Regierung hinzuarbeiten.

Vorhersagen für die künftige Verteilung der 199 Parlamentssitze sind nur schwer zu treffen. Die Wähler geben zwei Stimmen ab – eine für einen Kandidaten in ihrem Wahlbezirk, die andere für eine Parteiliste. Im Parteirennen, bei dem über 93 Sitze entschieden wird, dürfte Fidesz deutlich gewinnen. Doch bei der Wahl der 106 Bezirke ist das Abschneiden von Orbans Partei ungewiss.

„Wollen nicht manipulieren und beängstigen“

Die Oppositionskandidaten fordern ihre Unterstützer zu einer taktischen Stimmenabgabe auf. Diese sollten für jenen Kandidaten das Kreuzchen machen, der jeweils die beste Aussicht habe, einen Sieg von Fidesz zu verhindern. Der Parteivorsitzende der nationalistischen Jobbik, Gabor Vona, sagt, seine Partei sei zwar ebenfalls stark gegen Einwanderung. „Aber wir wollen die Leute bei dem Thema nicht manipulieren und beängstigen.“

Ähnlich äußert sich der Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei, Gergely Karacsony. Mit Blick auf Orbans Vorwurf, die Opposition werde vom Milliardär Soros kontrolliert und unterstütze Masseneinwanderung, sagt er: „Das ist alles eine riesige Täuschung. Da sie nicht regieren können, versuchen sie, durch das Täuschen der Bürger an der Macht zu bleiben.“ „Das Orban-Regime ist ein hybrides Regime zwischen Demokratie und Diktatur“, sagt Karacsony. „Das ist keine Wahl wie üblich, bei der die Menschen ein Urteil darüber fällen, was für sie eine gute oder eine ziemlich gute Regierung ist. Es geht um das Sozialmodell, das sich in Ungarn verfestigt hat.“

Keine Alternative für konservative Wähler

Für konservative Wähler sehen manche Experten allerdings kaum Alternativen zum Ministerpräsidenten. „Leider gibt es für jene, die politisch rechts stehen und enttäuscht von Orban sind, keine demokratische konservative Alternative wie etwa Deutschlands CDU oder eine Macron-ähnliche Partei wie in Frankreich“, meint der Journalist Paul Lendvai. „Wer wütend (auf Orban) ist, kann das nur zeigen, indem er nicht zur Wahl geht.“

Und Balazs Böcskei, politischer Analyst der Budapester Denkfabrik Idea Institut, glaubt: „Solange die Opposition zersplittert ist (…) reicht diese Migranten- und Flüchtlingskampagne aus, damit (Orbans) Wählerschaft geeint zusammensteht.“ Bislang ist sich die Opposition lediglich darin einig, viele von Orbans Gesetzgebungen umkehren zu wollen. Sie bezeichnen sie als anti-demokratisch und versprechen, das demokratische System in Ungarn wiederherzustellen. Die Pressefreiheit soll ausgebaut, zu den EU-Bemühungen gegen Korruption beigetragen werden. Außerdem soll es mehr Mittel für Bildung, Gesundheit und den Kampf gegen Armut geben.

Unterdessen leiden Hilfsorganisationen und Aktivisten unter den Beschränkungen der Orban-Regierung. Ein ins Parlament eingebrachtes „Stop Soros“-Paket zielt auf die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen ab. „Aus Sicherheitsgründen arbeiten wir nicht mehr so wie bisher“, sagt Annastiina Kallius von einer Gruppe, die sich für Einwanderer einsetzt. Die Selbstzensur habe bereits begonnen, sagt sie.