Donnerstag25. Dezember 2025

Demaart De Maart

TheaterOb es Séverine Chavrier gelang, William Faulkners „Absalon, Absalon!“ auf der Theaterbühne gerecht zu werden

Theater / Ob es Séverine Chavrier gelang, William Faulkners „Absalon, Absalon!“ auf der Theaterbühne gerecht zu werden
„Absolon, Absolon!“ als Theaterstück Foto: Alexandre Akye

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Vor einer Woche konnte man in Luxemburg in Séverine Chavriers Inszenierung „Absalon, Absalon!“, nach dem Roman von William Faulkner, einem fünf Stunden langen Gang in die Tiefe des amerikanischen Südens beiwohnen.

1934, zwei Jahre bevor William Faulkner seinen Roman „Absalon, Absalon!“ veröffentlichte, schrieb er an seinen Verleger: „Der Roman, den ich jetzt schreibe, wird ‚Dunkles Haus’ oder so ähnlich heißen. Es ist der mehr oder weniger gewaltsame Zusammenbruch einer Familie von 1860 bis ungefähr 1910. Grob gesagt, handelt das Buch von einem Mann, der sich gegen das Land vergangen hat, und dann wendet sich das Land gegen ihn und zerstört die Familie des Mannes.“

Mehr als ein Familiendrama

Dieser Mann heißt Thomas Sutpen und taucht eines Tages mit einer Wagenladung schwarzer Sklaven und einem französischen Architekten in Jefferson, einer Kreisstadt von Faulkners fiktivem „Yoknapatawpha County“ im Staat Mississippi auf, um, nachdem er von Indianern ein riesiges Gebiet erschwindelt hat, dort eine Baumwollplantage und ein Herrenhaus aufzubauen. Als Außenseiter von seiner Umgebung gefürchtet und misstrauisch beäugt, beschließt er, die Tochter aus einer hoch angesehenen Familie zu heiraten, die ihm die nötige gesellschaftliche Anerkennung verschafft.

Dieser Ehe entspringen der Sohn Henry und die Tochter Judith. Das Unheil nimmt seinen Lauf, als Henry seinen Studienfreund Charles Bon seinem Vater und Judith, die sich in ihn verliebt, vorstellt. Als nach der Niederlage der Südstaaten der alte Sutpen und seine Söhne als Soldaten aus dem Krieg nach Hause zurückkehren, klärt der Vater Henry auf, dass Bon seiner ersten Ehe mit einer Plantagenbesitzerin aus Haiti, der er sein Vermögen verdankt, entstammt. Daraufhin erschießt Henry seinen Halbbruder, nicht so sehr, um die Gefahr eines Inzests mit seiner Schwester abzuwenden, sondern weil in Bons Adern „N…blut“ fließt. Henry verschwindet, und da Thomas Sutpen plötzlich ohne männlichen Nachkommen dasteht, verwandelt sich sein Traum, eine Dynastie zu gründen, in einen Alptraum. Der Verfall seiner Domäne „Sutpens Hundred“ ist unaufhaltsam, seine Söhne haben ihn vernichtet – in Anspielung auf König David, dessen Sohn Absolom seinen Halbbruder Amnon im Alten Testament getötet hat.

Über die Südstaaten

Standbild: Szene aus dem Stück „Absalon, Absalon!“
Standbild: Szene aus dem Stück „Absalon, Absalon!“ Foto: Louise Sari

In dem Familiendrama des Buches wird nicht nur das Drama des Schriftstellers William Faulkner (dem in seinen Romanen immer wieder Geschichten seiner Vorfahren als Inspirationsquelle gedient haben) verhandelt, es wird damit auch das Drama der amerikanischen Südstaaten nacherzählt. Der Schriftsteller Siegfried Lenz hat es wunderbar ausgedrückt: „Faulkners Genie ist für mich gleichbedeutend mit seinem Gedächtnis, oder doch mit seinen erinnernden Fähigkeiten, die ihn zum Gedächtnis des Südens werden ließen. Was immer der Süden der Vereinigten Staaten war, was sich in ihm ereignete, welche Schufte und Chevaliers er hervorbrachte: Faulkners ruheloses, vorstellendes Gedächtnis fing alles ein und brachte es an den Tag. Es hat mitunter den Anschein, als ob der Süden Faulkner hervorbrachte, um sich selbst kennenzulernen und zu begreifen – in seiner Herkunft, seiner Gier, seiner Zukunft.“

Die Bedeutung von „Absalon, Absalon!“ liegt allerdings weniger im Sich-Hineinversenken in die Geschichte der Südstaaten, sondern darin, wie diese sich im Bewusstsein von verschiedenen Personen widerspiegelt. In Faulkners Roman hat man es nicht mehr mit einem allwissenden Erzähler zu tun, der genau über seine Figuren Bescheid weiß und dem bei der Aufbereitung seines Stoffes nichts verborgen bleibt, sondern mehrere Berichterstatter und Zeugen treten auf und versuchen – jeder aus seiner Sicht und aus seiner Zeit heraus –, zu begreifen, was denn damals in Jefferson mit den Sutpens wirklich passiert ist.

Zur Form

Unaufhörlich kreisen mehrere Erzähler immer wieder um dieselben vergangenen Ereignisse, wie besessen werden Erinnerungen wachgerufen, werden Vermutungen angestellt, versucht man, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, um am Schluss des Romans festzustellen, dass es immer nur eine Annäherung an die Wahrheit geben kann, doch nie ganze Wahrheit, die, wenn man sie hätte, wahrscheinlich auch nicht zu gebrauchen wäre. Der Vorgang des Erzählens ist wichtiger als der Inhalt der Erzählung. Auf die Frage, welcher seiner Figuren denn die richtige Interpretation dieser mit den Südstaaten verbundenen Familiengeschichte gelungen sei, antwortete Faulkner: „Ich glaube, dass kein einzelner Mensch die Wahrheit erblicken kann. Sie blendet ihn. Sie sehen hin und nehmen nur einen Teil der Wahrheit in sich auf. Ein anderer wieder sieht nur ein leicht verzerrtes Stück davon. Doch die Wahrheit selbst ist das, was sie alle zusammen gesehen haben, obgleich niemand von ihnen die Wahrheit ganz gesehen hat.“

Séverine Chavrier hat in ihrer Bearbeitung von ‚Absalon, Absalon!’ gar nicht erst versucht, Faulkners Roman zu illustrieren, sie hat sich darin eher bewegt, wie in einem Steinbruch, aus dem sie nur die Stücke herausgeschlagen hat, mit denen sie ihre Inszenierung überzeugend bauen konnte

Wie passiert jetzt, wenn man diesen 500-Seiten-Roman mit seinen verschiedenen Bewusstseinsströmen, seinen Zeitsprüngen, seiner epischen Breite, seiner Bilderfülle, seiner metaphorischen Sprache, seiner äußerst komplexen und kühnen Struktur in den Bereich des Theaters überführt, der eher aus der Konzentration, der Verdichtung, der Überschaubarkeit und der Verständlichkeit heraus lebt als aus der Überfülle, der Maßlosigkeit und Zeitentgrenzung?

Und auf der Bühne?

Die Regisseurin Séverine Chavrier hat in ihrer Bearbeitung von „Absalon, Absalon!“ gar nicht erst versucht, Faulkners Roman zu illustrieren und sich peinlich genau an die Vorlage zu halten, sie hat sich darin eher bewegt wie in einem Steinbruch, aus dem sie nur die Stücke herausgeschlagen hat, mit denen sie ihre Inszenierung überzeugend bauen konnte. Mit derselben Freiheit, mit der William Faulkner seinem Material bei der Abfassung seines Romans begegnet ist, ist auch Chavrier in ihrer Umsetzung Faulkners Roman begegnet. So hat sie dem Verschwenderischen der Literatur Faulkners durch eine ebensolche Verwendung von Bild-, Ton- und Lichtmaterial beizukommen versucht.

Nimmt den Großteil der Bühne ein: die Konstruktion dieses Häuschens
Nimmt den Großteil der Bühne ein: die Konstruktion dieses Häuschens Foto: Alexandre Akye

Ein Großteil der Bühne wird von der Konstruktion eines Hauses eingenommen, in dem sich viele Szenen live mit Schauspielern, meist nur teilweise sichtbar, abspielen, doch gleichzeitig in filmischer Vergrößerung auf der Leinwand-Fassade zu betrachten sind. Die Kameras sind allgegenwärtig, sie nehmen aus verschiedenen Winkeln auf, sie bringen, wie die Erzähler im Roman, Licht ins Dunkel dieser Südstaatenvilla. Dabei begnügt die Inszenierung sich nicht nur damit, Bilder herzustellen, die auf Faulkner zurückgehen, sie gestattet sich immer wieder, abzuschweifen, in die Gegenwart, wenn sie beispielsweise Jugendliche beim Drogenkonsum zeigt, oder in die Filmgeschichte, wenn sie ein paar Ausschnitte aus David W. Griffiths „The Birth of a Nation“ einblendet.

Diese raffiniert komponierte Bilderflut, in der sich die Schauspieler aber trotzdem großartig behaupten können, wird von einer sie permanent begleitenden Musik- und Geräuschkulisse unterstützt, sodass eine Art Gesamtkunstwerk entsteht, dem man sich nur schwer entziehen kann. Diese ununterbrochene Beanspruchung vor allem der Seh- und Gehörorgane, aber auch des (Mit-)Denkvermögens kann schnell als Überforderung empfunden werden, hat aber den Vorteil, dass man, wenn man sich darauf einlässt, ungefähr ein Gefühl bekommt, was denn ein Gang in Tiefe, in den Untergang und in die Verdammnis bedeuten kann. Wie Joseph Conrad im „Herz der Finsternis“ die koloniale Grausamkeit in Zentralafrika beschrieben hat, so haben William Faulkner und Séverine Chavrier in „Absalon, Absalon!“ das Herz der Finsternis Amerikas freigelegt.