Die jetzt ergriffene Maßnahme ist die jüngste in einer Reihe von Restriktionen gegen die steigende Zahl an Migranten, die an den Küsten Italiens ankommen. Seit Jahresbeginn sind 31.200 Migranten über das Mittelmeer nach Italien gekommen, eine Steigerung um 300 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Seit langem fühlt sich die Regierung von den europäischen Partnern in der Flüchtlingsfrage im Stich gelassen. Das jetzige Ausrufen des nationalen Notstands scheint die Ultima Ratio der Meloni-Regierung zu sein. „Wir haben uns zum Ausrufen des Notstands in der Einwandererfrage entschlossen, um effektiver und zeitnaher auf das Problem reagieren zu können“, erklärte Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia, FdI) am Dienstagabend gegenüber der Presse.
Mit den Notstandsmaßnahmen hat die Regierung eine Handhabe, Flüchtlingsströme zu steuern, ihre Unterbringung – und auch eventuelle Abschiebung – zu regeln. In einer Ad-hoc-Festlegung wurden fünf Millionen Euro für die dringendsten Maßnahmen freigemacht.
Mit dem Notstandsdekret ist die Regierung befugt, ankommende Migranten administrativ auf die Regionen und Kommunen zu verteilen. Bislang hatten sich verschiedene, vor allem auch rechtsextrem geführte, Gemeinden geweigert, Flüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika oder dem Nahen Osten aufzunehmen. Mit der Notstandsregelung haben sie sich der Order zu fügen.
Auf der anderen Seite ist die Regierung nicht dafür bekannt, Fremde mit offenen Armen zu empfangen. Die jetzt getroffenen Regelungen erlauben auch, Migranten, denen kein Asyl gewährt wird, schneller in die Herkunftsländer abzuschieben. Aus bisherigen Erfahrungen darf auch geschlussfolgert werden, dass Italiens Regierung mit Berufung auf den Notstand Schiffen von Hilfsorganisationen untersagen wird, italienische Häfen anzulaufen.
„Wir sind uns klar, dass wir mit dem jetzt für sechs Monate geltenden Ausnahmezustand das Problem nicht lösen werden“, erklärte der Minister für Katastrophenschutz, Nello Musumeci. Die starken Maßnahmen sollen jedoch ein Signal an Brüssel sein, die Europäische Union „endlich zu einem bewussten und verantwortungsbewussten Handeln“ zu veranlassen, so der Minister. Und Infrastrukturminister und Lega-Chef Matteo Salvini ergänzt, es sei „an der Zeit zu beweisen, dass die EU wirklich eine Union ist und das Flüchtlingsproblem nicht nur Malta, Griechenland und Italien überlässt“.
Neue Aufnahmezentren errichtet
Mit dem Notstandsdekret erhält die Regierung die Möglichkeit, neue Aufnahmezentren in anderen als den südlichen Landesteilen zu errichten. Bislang haben sich vor allem die nördlichen Regionen wie Lombardei, Piemont und das Veneto gesträubt, Flüchtlinge in großer Zahl aufzunehmen. Minister Musumeci erklärte, dass diese Maßnahmen erforderlich seien, weil „die süditalienischen Regionen das Problem allein nicht bewältigen können“. Allein die Aufnahmekapazität von Lampedusa sei um das Vierfache überschritten, derzeit werden 1.800 Flüchtlinge in den Aufnahmecamps unter desolaten Bedingungen untergebracht.
Bereits 2011 hatte die damalige Regierung unter Silvio Berlusconi einen Notstand in Sachen Migration verhängt. Damals waren in Folge der Unruhen des sogenannten arabischen Frühlings Flüchtlingsströme nach Italien gekommen, die bei weitem aber nicht die heutigen Ausmaße angenommen hatten.
2014/15, als nach den libyschen Unruhen und dem Zerfall des nordafrikanischen Staates die großen Migrationswellen aus dem Nahen Osten und dem subsaharischen Afrika einsetzten, hatte man in Italien jedoch auf Sondermaßnahmen verzichtet. Erst unter der Ägide Salvinis als Innenminister hat sich eine flüchtlingsfeindliche Politik etabliert, die jetzt – auch unter dem hohen Druck, den sich Italien ausgesetzt fühlt – mit den Maßnahmen verschärft wird.
De Maart
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