Er ist gut 30 Zentimeter groß, blinkt in verschiedenen Farben auf, hat einen beweglichen Kopf und vier verschiedene Gesichtsausdrücke: Der AV1 Avatar kann menschliche Präsenz zwar nicht ersetzen, aber in den Schulalltag integriert werden. Grund- und Sekundarschülern, die aufgrund einer Krankheit langfristig nicht am Unterricht teilnehmen können, soll er zugutekommen. Der Mini-Roboter soll den abwesenden Kindern die Teilnahme am Unterricht erleichtern und die Wiedereingliederung in den Schulalltag ermöglichen. Seit der „Rentrée“ ist er ein fester Bestandteil des „enseignement ambulatoire“. Heißt: Er ist bei Kindern und Jugendlichen, die nicht stationär in Krankenhäusern behandelt werden müssen, aber (noch) nicht zur Schule gehen können, im Einsatz.
Wie funktioniert er? Um den Avatar zu benutzen, sind das Herunterladen einer kostenlosen App und eine stabile Internetverbindung erforderlich. Anschließend verbindet das Schulkind sich von zu Hause aus per Code mit dem sich im Klassenraum befindenden Mini-Roboter. Per Livestream kann das Kind am Unterricht teilnehmen. Mithilfe diverser Funktionen kann es virtuell die Hand heben, seine Emotionen zum Ausdruck bringen und den Blick drehen, woraufhin der Kopf des Avatars sich im Klassenzimmer mitbewegt. Drückt der Schüler auf eines der vier verfügbaren Emojis, ändert sich der Ausdruck der Avatar-Augen. Zudem kann er den AV1 zum Leuchten bringen. Blinkt der Roboterkopf grün auf, will das Kind eine Frage stellen oder beantworten. Blau bedeutet dagegen, dass das Kind sich nicht gut fühlt und dem Unterricht passiv folgen möchte.

Mit Schülern entwickelt
„Dieser Gegenstand ist in Zusammenarbeit mit Kindern, die zum Beispiel eine Krebserkrankung haben, entwickelt worden“, erklärt Tim Rinnen, Leiter der CA(H)RE („Cellule d’accompagnement pour élèves hospitalisés ou en rémission“). Während das erkrankte Kind via App einen Einblick in den Klassenraum hat, können die Mitschüler das Kind nicht sehen. „Die Mehrheit der erkrankten Schüler ist froh, dass sie nicht gesehen werden, aber zeigen können, wie sie sich fühlen“, sagt Anna Feiereisen, Casemanagerin bei CA(H)RE.
Wie kam es dazu, dass der Mini-Roboter in den Schulunterricht integriert wurde? Tim Rinnen, damals noch im Lehramt tätig, hat ihn vor acht Jahren bei einem Kongress in Polen entdeckt. Über Kontakte mit dem Bildungsministerium wurde der Avatar zuerst testweise in verschiedenen Situationen eingesetzt. Eine Arbeitskollegin hat ihn zudem im Rahmen ihrer Masterarbeit analysiert. „Die positiven Aspekte haben sehr klar die negativen überwogen“, sagt Rinnen. Zwischen 2018 und 2020 wurde der Roboter über die CNI („Commission nationale d’inclusion“) schließlich flächendeckend eingeführt. Aktuell verfügt CA(H)RE über zwölf Avatare. Neun davon sind im Gebrauch. Wie viele Schüler bisher Avatare benutzt haben, ist nicht bekannt. Rinnen geht jedoch davon aus, dass in den vergangenen drei Jahren rund 40 Kinder davon profitieren konnten. Rund 5.000 Euro kostet ein Apparat, hinzu kommen Serverkosten in Höhe von jährlich 600 Euro.

„Extremsituationen“ im Klassenraum
Mit der Nutzung der Avatare im Schulunterricht sind viele Herausforderungen verbunden. Als Grundschullehrerin, die eine Schülerin bereits auf diese Weise unterrichtet hat, weiß Lisa Bosa Bescheid. „Ich hatte schon Situationen, wo ich in meiner Klasse unterrichtet habe, gleichzeitig der Avatar da stand, und ich noch den Laptop anhatte, weil ein Kind Corona-positiv war. Das sind schon Extremsituationen.“ Für Bosa war jedoch von Anfang an klar, dass sie mit dem Avatar arbeiten möchte. „Das ist die einzige Möglichkeit, die das Kind hat, und es hat das Recht auf eine Schulbildung“, sagt sie.
Schwierig war es auch, die erkrankte Schülerin über einen längeren Zeitraum zu motivieren und in die Klasse zu integrieren. „Es ist wichtig, dass auch die Klassenkameraden die Verbindung und den Kontakt zum Avatar haben, weil er in einer gewissen Form den Platz des abwesenden Schülers einnimmt“, erklärt Bosa. Die Dauer mancher Abwesenheiten mache die Angelegenheit nicht einfacher. „So etwas zieht sich über anderthalb oder zwei Jahre. Es kann auch sein, dass das Kind sich nach seiner Rückkehr viel verändert hat. Daran muss auch gedacht werden.“
Das ist die einzige Möglichkeit, die das Kind hat, und es hat das Recht auf eine Schulbildung
Neben den Herausforderungen für das Lehrpersonal und für die Schulklasse kann der Avatar eine Belastung für das Kind darstellen, das bereits mit einer schweren Erkrankung – oftmals im Bereich der Onkologie oder Hämatologie – zu kämpfen hat. „Der Roboter ist lediglich ein Baustein. Der Schüler muss auch gewillt sein, damit zu arbeiten“, sagt Anna Feiereisen. Zudem gebe es keine Garantie, das Schuljahr mithilfe des Avatars zu bestehen. „Da muss auch Arbeit vom Schüler geleistet werden.“
Positive Erinnerungen
Als Casemanagerin ist Feiereisen für die Kommunikation zwischen vielen verschiedenen Akteuren – dem Schüler, seinen Eltern, dem Lehrpersonal sowie den Ärzten – zuständig. Aufgrund der diversen Krankheiten und Therapien der betroffenen Schüler, ihrer psychologischen Verfassung und ihrem Umfeld verlaufe der Austausch sowie die progressive Wiedereingliederung in den Schulunterricht je nach Kind ganz unterschiedlich. Flexibilität ist bei der Zusammenarbeit daher sehr wichtig. „Der Avatar als solcher, alleinstehend, ohne einen Lehrer, der gewillt ist, seinen Unterricht anzupassen, und ohne einen Casemanager, der dafür sorgt, dass die Kommunikation zwischen dem Lehrer, dem Zuhause und der Medizin funktioniert, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Rinnen.
Bosa blickt trotz der vielen Herausforderungen positiv auf ihre Erfahrungen zurück. „Ich finde es großartig, dass das Kind die Möglichkeit hatte, seinen ‚Cycle’ abzuschließen und – das war sein größter Wunsch – mit seinen Freunden den nächsten ‚Cycle’ anzufangen.“ Auch die gemeinsamen Aktivitäten mit dem Schulroboter behält sie in guter Erinnerung – insbesondere, wenn die Schülerin sich unerwartet zum Unterricht dazugeschaltet hat. „Der Moment, wo das Kind sich mit dem Avatar verbindet und der Avatar seine Augen öffnet – die Reaktion in der Klasse können Sie sich nicht vorstellen. Vor allem, wenn die Augen lachen und die Mitschüler wussten, dass es dem Kind gut geht“, erzählt Bosa. Außerdem haben die Schüler den Avatar verkleidet, ihm eine Perücke aufgesetzt und ihm Essen vorgesetzt. „Sie hatten einen ganz natürlichen Umgang damit. So etwas kann keine Plattform für Videokonferenzen.“
CA(H)RE: ein Überblick
Die „Cellule d’accompagnement pour élèves hospitalisés ou en rémission“ des Bildungsministeriums verfolgt das Ziel, den Austausch zwischen Grundschul- und Sekundarschullehrern, die in Krankenhäusern arbeiten, zu fördern. Die Lehrer diskutieren dabei über verschiedene Bedürfnisse der Schüler und zukünftige Projekte. Dazu gehört auch das Teilen von Fachwissen im Rahmen von Konventionen und Partnerschaften mit Krankenhäusern. Außerdem ist CA(H)RE für die Schulbildung von Kindern und Jugendlichen zuständig, die aufgrund diverser Krankheitsbilder langfristig nicht am Schulunterricht teilnehmen können. Die Zuständigen versuchen, den Kindern und Jugendlichen das Gefühl zu vermitteln, dass ihre schulischen Probleme und Erlebnisse ernst genommen werden, und sie dabei zu unterstützen.
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