MeinungNazi-Parolen in der Reichen-Bar: Was das schockierende Sylter Partyvideo enthüllt

Meinung / Nazi-Parolen in der Reichen-Bar: Was das schockierende Sylter Partyvideo enthüllt
Ein Ausschnitt des Videos zeigt beste Stimmung mit rechtsradikaler Hetze Foto: Screenshot

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Ausgelassene Stimmung und volles Haus in einer Bar auf der deutschen Reichen-Insel Sylt, mehrere junge Gäste grölen Nazi-Parolen auf den Beat eines Partyhits. Rechtsradikale Inhalte erreichen seit Jahren immer mehr Menschen.

Weiße Hemden unter der Anzugweste, über die Schulter geworfene Pullis mit zugeknoteten Ärmeln, Fliegerbrillen in Fußballerfrisuren: Ein Kleidungsstil, der Klasse zeigt. Zumindest ökonomisch, denn in charakterlicher Hinsicht könnten die Akteure eines jüngsten Skandalvideos nicht tiefer sinken. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“, singen sie auf die Melodie des Party-Songs „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino. Am helllichten Tag im Außenbereich der Bar „PONY“ auf der deutschen Ferieninsel Sylt.

Ein Teilnehmer zeigt mit einem fetten Grinsen den Hitlergruß, mimt mit der anderen Hand ein Hitler-Bärtchen. Andere lachen, wippen mit. Von den anderen Gästen stört sich offensichtlich niemand daran. Die Betreiber der Bar beteuern, von dem Vorfall nichts mitbekommen zu haben. 

Im Trend: Menschenverachtung

Jeder Deutsche wird mal Zeuge von Nazi-Sympathie. Lediglich das öffentliche Zur-Schau-Stellen war jahrzehntelang tabuisiert. Der Ort dafür war der Stammtisch, die Familie, der Fußballverein oder die Schulklasse. Über Social Media wird das, was vorher nur für den eigenen Kreis gedacht war, öffentlich. Ein anderes Beispiel dafür sind rechtsextreme Inhalte in Chatgruppen deutscher Polizisten. Dutzende Fälle wurden in den letzten Jahren bekannt, Konsequenzen mussten nur die Wenigsten fürchten.  

Laut der Hessenschau wurden bereits in der Vergangenheit Hasstexte auf diesen Song gedichtet. Und zwar auf Tiktok. Die Plattform ist vor allem bei jungen Menschen beliebt. Wenn nicht gerade rechtsradikale Parolen zu Hitsongs gemacht werden, stacheln sogenannte „Challenges“ Kinder dazu an, sich selbst die Atemluft abzuschnüren. Ein Spiel, das regelmäßig tödlich endet. Erfolgreich ist eben, was schockt. Die ökonomische Logik sozialer Medien leistet dem Erfolg umso menschenverachtender Inhalte Vorschub. Das wissen auch Nazis. Ein bekanntes Lied mit Nazi-Parolen zu mixen, kann als gezielte Taktik rechtsextremer Akteure verstanden werden, um sogenannte „kulturelle Hegemonie“ zu erreichen. Sylt ist kein Einzelfall, sondern Ergebnis einer erfolgreichen Strategie von rechts.

Das Grinsen der Täter

Selbst wenn man annimmt, dass manche Leute den Hitlergruß tatsächlich einzig und allein des Tabubruchs wegen – sozusagen „aus Spaß“ – zeigen, bleibt die Tat verachtenswert. Denn nach wie vor gibt es Jüdinnen und Juden in der deutschen Gesellschaft, es gibt Millionen von Rassismus betroffene Menschen. Sie können nicht wissen, was jetzt „Spaß“ ist oder eine echte Bedrohung für ihr Leben. Für einen Tabubruch in Kauf zu nehmen, dass sie sich bedroht fühlen, zeugt von einer grenzenlosen Empathielosigkeit gegenüber den Opfern von damals und heute.  

Für die meisten dieser Nazi-Enkel liegt der Witz wohl darin, dass sie solche Parolen ohne Konsequenz grölen können – trotz der Verbrechen der Deutschen im Krieg. Eine Pointe, die ohne das Bewusstsein über die furchtbaren Taten der Nazis gar nicht funktioniert. Wenn man sich so benehmen kann, ohne sein Ansehen unmittelbar zu gefährden, sind die eigenen Vorfahren mit ihren Verbrechen offenbar doch ganz gut davongekommen. Es ist der Triumph der Täter, der den Protagonisten im Video ins Gesicht geschrieben steht. 

75 Jahre unhinterfragter Wohlstand 

Die deutsche Politik reagierte mit Ausnahme einiger AfD-Politiker schockiert. Pünktlich zum 75. Geburtstag des deutschen Grundgesetzes erschüttert das Sylt-Video einmal mehr das deutsche Selbstverständnis. Nicht nur an den Umfragewerten der rechtsradikalen AfD macht sich bemerkbar, dass politischer Wille und gesellschaftliche Realität weit auseinanderliegen.

Das „PONY“ ist ein etablierter Treff des gut betuchten Sylt-Klientels. Bei hochpreisigen Getränken freut man sich hier über den eigenen Wohlstand. Ein Blick in die Google-Rezensionen verrät, dass sich die Sprösslinge der Reichen hier des Öfteren zu Champagner und schlechter Partymusik zusammenfinden. Reich, aber geschmacklos. Doch mit Glatzen-Nazis will man nichts zu tun haben. 

Die Nazis der Oberschicht wettern nicht gegen den Staat. Sie lehnen weder seine Institutionen noch den politischen Mainstream ab, weil sie durch diese stets protegiert wurden. Ökonomisch und ideologisch. Bloß nicht nachfragen, welche anonymen Seelen den Familienreichtum erarbeiteten. Welcher koloniale Raubzug oder industrielle Völkermord die Moneten auf die Konten gespült hat. Das sind die eigentlichen Tabus in Deutschland.

Grober J-P.
25. Mai 2024 - 9.19

Wie geht es denn nun weiter? Würde die Fotos dieser Herrenmenschen an die Litfaßsäulen kleben, wie damals die von der RAF, mit den Worten, „Achtung Ansteckungsgefahr“ oder "Hochgradig kontaminiert".