Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gehen artenreiche Wiesen im Land zurück. Diese auf eine extensive Nutzung – nicht gedüngt und nicht gespritzt – angewiesenen Flächen sind geprägt von einheimischen Wildpflanzen. Aus deren Blüten ernähren sich Insekten, die Obstbäume bestäuben. Ohne sie keine Pflaume, kein Apfel, keine Birne oder Kirsche. Der massive Rückgang dieser sogenannten „Bestäuber“ ist keine Behauptung mehr, sondern gut dokumentiert.
Das Naturschutzgesetz von 2018 trägt dem Rechnung, staatliche Stellen wie das „Observatoire de l’environnement“ bescheinigen zwei Dritteln der natürlichen Lebensräume im Land einen schlechten Zustand und die EU hat gerade die Pflicht, Flächen zu renaturieren, per Gesetz geregelt. Renaturierung heißt nicht, noch mehr formschöne Buchsbäume und -bäumchen in Reih und Glied, sondern wieder Wiesensalbei, Pechnelke oder Klatschmohn – draußen in der Natur und im eigenen Garten.
Mehr Blumenwiesen, mehr Saatgut
Das „wieder“ bezieht sich auf die Tatsache, dass es diese Wildpflanzen schon immer gab, hätte sie nicht der Wohnungs- und Straßenbau zubetoniert und der Wandel in der Landnutzung zu deren Rückgang beigetragen. Die Blüten dieser einheimischen, wilden Pflanzen lieben „Bestäuber“ wie Hummeln, Wildbienen oder Schmetterlinge und auch die Honigbienen. Wenn es wieder mehr solcher bunten Wiesen geben soll, wie es unter anderem das „Nature Restoration Law“ einfordert, braucht es Wildpflanzensaatgut.
Regionale Wildpflanzensamen gibt es nicht so häufig im Handel in Luxemburg – außer beim Naturschutzsyndikat Sicona und seinen vielen Partnern. Dort wurde bereits 2018 damit begonnen, sie aus angebauten Pflanzen zu gewinnen. Das Umweltministerium fördert das vor sechs Jahren gestartete Projekt mit bisher rund 2,2 Millionen Euro. Die Entwicklung und Erfolge belegen, dass das richtig war.
15 Landwirte wachsen zusammen
Mit weniger als ein Hektar und ein paar Tüten geerntetes Saatgut ging es damals los. Anfang 2024 kommt ein weiterer Meilenstein hinzu: 15 Landwirte schließen sich in einer Genossenschaft zusammen, um in den Wildpflanzenanbau und die Saatgutgewinnung einzusteigen. Marc Rollinger (42) ist einer davon und der Präsident der jungen Genossenschaft „Wëllplanzesom Lëtzebuerg“.
Er produziert Black-Angus- und Schweinefleisch auf seinem Hof in Beyren, rund 200 Hektar Ackerfläche für Weizen, Raps, Gerste oder Triticale kommen hinzu. Auf gut vier Hektar davon baut er neuerdings Wildpflanzen an. Passt eigentlich gar nicht in sein Programm, hat ihn aber offensichtlich gereizt. Warum? „Das war alles neu für mich“, sagt er. „Ich war einfach neugierig.“ Noch ist vieles im Aufbau, aber laut Präsident Rollinger dank engagierter Kollegen „auf einem guten Weg“. Für den Landwirt aus Beyren war es keine Frage. „Wir als Landwirte können damit zeigen, dass wir aktiv Naturschutz betreiben wollen und es können“, sagt er. „Wir stehen ja oft genug in der Kritik.“
Ganz im Sinne der EU
Bei den paar Hektar Wildpflanzenfeldern, die biologisch bewirtschaftet werden, soll es nicht bleiben. Das gilt sowohl für die Fläche als auch für die Arten, die dadurch vermehrt werden. 70 Pflanzenarten werden aktuell angebaut; Ziel ist es, auf mindestens 50 Hektar Anbaufläche im Land Saatgut von 150 verschiedenen Arten zu produzieren. Das ist ehrgeizig – aber durchaus notwendig, denn die Ziele des Nationalen Naturschutzplans und des „Restoration Law“ sind wegweisend, um den Verlust an Biodiversität zu stoppen.
Es ist die erste EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, heißt es auf der Webseite des Umweltministeriums. Bis 2030 sollen mindestens 20 Prozent der europäischen Land- und Meeresgebiete wiederhergestellt werden, wobei der Schwerpunkt auf Natura-2000-Gebieten liegt. Bis 2050 sollen mindestens 80 Prozent der Ökosysteme, die sich in einem schlechten Zustand befinden, renaturiert sein, heißt es dort weiter. Landwirt Rollinger und seine 14 Kollegen haben Gefallen an den Wildpflanzen gefunden. Inwieweit es eine zusätzliche Einnahmequelle für die Landwirtschaft wird, muss sich noch zeigen. Das Projekt ist jung.
Verkaufsstellen des „Wëllplanzesom“
Es gibt rund 25 Verkaufsstellen der Samenpackungen im Land, denn sie eigenen sich auch für den eigenen Garten. Sie sind unter www.wellplanzen.lu zu finden. Das Wildpflanzensaatgut ist in 100-Gramm-Tüten für den privaten Gebrauch zu Hause oder auch in größere Mengen erhältlich.
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