Es ist bereits dunkel im Nachtdienst vom 19. auf den 20. August 2023, als ein Katzenbesitzer um kurz nach Mitternacht in die Tierklinik in Bereldingen stürmt und eine der dort angestellten Tierärztinnen attackiert. Er packt sie am Hals und schleudert sie gegen die Wand, die Tiermedizinerin wird verletzt und steht danach erst mal unter Schock. Die Klinik, die eigentlich jeden Tag rund um die Uhr geöffnet hat, muss für einen Tag schließen. Es ist ein drastisches Beispiel, von dem Dr. Tom Conzemius von der Bereldinger Tierklinik erzählt. Dass es im Alltag der Veterinärmediziner Handgreiflichkeiten gibt, kommt selten vor – aber es passiert.
Das berichtet auch der Luxemburger Verband der Tierärzte (AMVL) im Mai in einem Schreiben, in dem sich das Fachpersonal gegen das Bashing der Berufsgruppe positioniert (das Tageblatt berichtete). Verbale Entgleisungen von Tierhaltern gebe es demnach immer häufiger, ebenso wie Posts in sozialen Medien, in denen über Klinik- oder Praxispersonal geschimpft werde.
Dr. Linda Weiland von der Tierklinik in Bettemburg betont im Gespräch mit dem Tageblatt: „Die meisten Menschen, mit denen wir zu tun haben, sind sehr freundlich – das ist meistens unsere Stammkundschaft.“ Zu Vorfällen mit Beschimpfungen oder wütenden Posts auf sozialen Medien komme es eher mit Menschen, die beispielsweise im Notdienst nur einmal ausnahmsweise die Klinik aufsuchen. Sehr beliebt sei auch die Drohung, dass der Tierhalter eine sehr schlechte Google-Bewertung schreibe, falls seinen Behandlungs- oder Terminwünschen nicht entsprochen werden sollte.
Ansprechen statt auf Facebook wüten
Auch Dr. Conzemius nennt die Bashing-Thematik ein „Notdienstproblem“. Die Regel seien die netten und umgänglichen Tierhalter, doch der Anteil der lospolternden Tierhalter sei gestiegen – in etwa seit Corona vor fünf Jahren, so nehme man es in den Kliniken und Praxen wahr. „Das hat viel mit der Gesellschaft gemacht“, so der Tiermediziner.
Dadurch, dass die beiden Kliniken rund um die Uhr geöffnet haben, komme außerdem hinzu, dass immer wieder auch Tierbesitzer unter Alkohol- oder sogar Drogeneinfluss zur Tierbehandlung kommen. Häufig zeigten Leute auch Unverständnis beim „Der ist nach mir gekommen, wieso ist er vor mir dran“-Thema, so der Tierarzt. Dass das Personal die Fälle priorisieren muss und der vorgezogene Patient möglicherweise in Lebensgefahr schwebt und somit Vorrang vor beispielsweise einem Impftermin hat, sei einigen dabei egal. Im Tierklinik-Nachtdienst begegne einem so einiges – vom panischen Tierhalter, der nachts um 3 Uhr eine Zecke vom Hund entfernt haben möchte, bis hin zu schweren Notfällen.
Dr. Weiland sagt, sie verstehe durchaus, dass manche Tierhalter frustriert sind, wenn der Tierarztbesuch nicht so verlaufen ist, wie sie es sich vorgestellt hatten. „Wir würden uns aber wünschen, dass man uns dann darauf anspricht.“ Oft könne man im direkten Gespräch eine gute Lösung finden. Manchmal liege es auch daran, dass der Besitzer bestimmte Informationen oder eine Vorgehensweise nicht richtig verstanden hat.
Fehlerminimierung und Polizeieinsätze
Wenn mal wieder eine Welle an beleidigenden Kommentaren in den sozialen Medien über die Klinik hereinrolle, sagt Weiland, fühle man sich als Tierklinik-Team häufig hilflos und ohnmächtig. „Vor allem, wenn das, was online diskutiert wird, schlicht nicht der Wahrheit entspricht.“ Manchmal sei das Tier nämlich auch plötzlich doch nicht „fast verblutet“ und die Klinik habe das „halt einfach nicht gesehen“, wie es der Halter online darstellt, sagt die Tierärztin.

Um das Fehlerrisiko zu minimieren, bespreche das Personal immer wieder Fälle, in denen etwas hätte besser laufen können, sagt Weiland. Denn: „Natürlich passieren auch mal Fehler, das wollen wir auch gar nicht abstreiten.“ Entscheidend sei der Umgang damit. Wichtig sei dabei unter anderem eine gute Kommunikation mit den Tierhaltern. In Notfallsituation befänden sich diese oft im emotionalen Ausnahmezustand oder teils sogar in Panik.
Wenn es zu Vorfällen kommt, in denen Besitzer laut oder beleidigend werden oder sich weigern, zu gehen, kommt es auch ab und zu vor, dass das Klinikpersonal die Polizei rufen muss, berichten sowohl Conzemius als auch Weiland. Inzwischen fahre man in der Klinik in Bereldingen ein klares Null-Toleranz-Vorgehen bei pöbelnden Tierhaltern – dazu beigetragen habe auch der Fall im August 2023. Das bedeutet: Wenn zum Beispiel im Nachtdienst wie üblich nur ein Arzt da ist, wird ein jederzeit abrufbarer zweiter Tierarzt hinzugerufen und die Polizei verständigt. Das Prinzip, dass immer ein Ärztekollege als Notfall-Kontakt anrufbar ist, dient der Sicherheit des Notdienst-Personals. Denn: „Sicherheitspersonal wäre finanziell nicht machbar für uns“, stellt Dr. Conzemius klar.
Ich lese schon seit Jahren keine Google-Rezensionen mehr
Zum Umgang mit dem Online-Bashing sagt Dr. Conzemius: „Ich lese schon seit Jahren keine Google-Rezensionen mehr, und das empfehle ich auch immer den jüngeren Kollegen.“ Mit ins Privatleben nehme er das Thema oft aber trotzdem noch. „Man wird ja Tierarzt, um zu helfen.“ Ganz extrem beschäftigt habe es ihn mindestens die ersten zehn Jahre seines Berufs. Die Jahre an Erfahrung hätten ihm irgendwann bei dem Umgang mit der Problematik geholfen. Auch seine Kollegin sagt: „Natürlich nimmt man das mit nach Hause.“
Ein weiteres Problem sei, dass wegen der Thematik immer weniger Tiermediziner Not- oder Nachtdienste anbieten wollten. Früher hätten sich auf Conzemius’ Stellenausschreibungen etwa acht bis zwölf Interessenten je Ausschreibung gemeldet – inzwischen sei es meistens nur einer, selten mal zwei. „Viele spezialisieren sich lieber auf ein tiermedizinisches Fachgebiet, wo sie dann auch gar keine Notdienste anbieten müssen.“ Das Bashing sei einer der Hauptgründe, warum rund ein Drittel der jungen Tierärzte nach einiger Zeit ihren Beruf wieder aufgeben. „Der Tierärztemangel wird in den kommenden Jahren ein großes Problem werden.“
Conzemius merkt aber auch an: „Kurz nachdem 2023 unsere Kollegin angegriffen wurde, haben wir eine riesige Welle an Solidarität erfahren.“ Am nächsten Tag hätte ständig das Telefon geklingelt, vor allem andere Tierärzte wollten ihre Unterstützung zusichern und fragten nach, wie es der Kollegin gehe. Weiland sagt, dass sie sich generell etwas mehr Verständnis von den Menschen wünscht – auch wenn sie sich bewusst sei, dass das nicht einfach von heute auf morgen passiere. „Wenn wir unseren Beruf gut machen wollen, dann müssen sich beide Seiten an gewisse Regeln halten und sich mit gegenseitigem Respekt begegnen.“
Hohe psychische Belastung bei Tiermedizinern
Das deutsche Medium ZDF berichtete kürzlich darüber, dass Tiermediziner besonders stark unter psychischen Belastungen leiden. Eine Studie untersuchte demnach die Häufigkeit von Depressionen, Suizidgedanken sowie das Suizidrisiko bei Tiermedizinern in Deutschland. „Die Ergebnisse zeigten: Von den 3.118 Teilnehmenden haben rund 20 Prozent aktuelle Suizidgedanken und mehr als ein Viertel klinisch auffällige Werte im Bereich Depressivität“, heißt es in dem Bericht. Die Werte seien damit vier- bis sechsmal höher als in der deutschen Gesamtbevölkerung. Dr. Susanne Elsner, Tierärztin und Präsidentin der Tierärztekammer Hamburg, erklärt ebenfalls in dem ZDF-Artikel, dass die Leute seit Corona eine kurze Zündschnur hätten, was sich auch in den Praxen widerspiegele.
De Maart

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