„Zeit zu essen“, ruft Steve zu Nils. „Kommst du mit?“ Der in Tarnuniform gekleidete Mann am Eingang des Veranstaltungsgeländes mit umhängendem Gewehr nickt ihm zu. Die beiden Reservisten der niederländischen Armee machen sich auf den Weg. Sie gehören zu den Tausenden von Soldaten, die beim NATO-Gipfel in Den Haag zusammen mit der Polizei für den sicheren Ablauf zuständig sind. „Eine sinnvolle Tätigkeit, die dazu noch Spaß macht und für mich eine willkommene Abwechslung ist“, sagt Steve. In seinem Alltag arbeitet er als OP-Assistent in einem Krankenhaus. Früher sei er Berufssoldat gewesen – unter anderem auf Auslandseinsätzen wie etwa in Afghanistan. „Die Erfahrungen, die ich dort gemacht habe, sind mir wichtig“, so der Korporal der Reserve. „Und wir konnten dabei den Menschen in Afghanistan helfen.“ Über den Abzug der NATO-Truppen aus dem Land verliert er kein Wort.
Man ist fast im Schleim ausgerutscht
Das Fünf-Prozent-Ziel war auf Drängen von US-Präsident Donald Trump gesteckt worden. Die anderen Staats- und Regierungschefs des Bündnisses hatten sich regelrecht darauf eingeschworen. Nicht zuletzt Mark Rutte hatte im Vorfeld des Gipfels, der zum ersten Mal in Den Haag stattfand und dessen Kosten nach Medienberichten die astronomische Summe von mindestens 180 Millionen Euro verschlungen haben soll, sich immer wieder bemüht, dass der Gast aus Washington zufriedengestellt würde. Dem NATO-Generalsekretär und ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten wird nachgesagt, einen guten Draht zu Trump zu haben. Auch etliche andere Gipfelteilnehmer demonstrierten dem Gast aus Übersee ihre Ergebenheit. Die Veranstaltung war extra kurz gehalten und darauf ausgelegt, den 79-Jährigen bei Laune zu halten. „Man ist fast im Schleim ausgerutscht“, kommentierte dies Luxemburgs Außenminister Xavier Bettel später. Man habe den US-Präsidenten „nicht schlecht gelaunt heimreisen lassen wollen“.
Trump und der fliegende Teppich
Die Nacht hatte Trump im königlichen Schloss Huis ten Bosch verbracht, wo die eingeladenen Staats- und Regierungschefs am Dienstagabend auf Einladung des niederländischen Königspaares Willem-Alexander und Máxima zu einem festlichen Abendessen zusammengekommen waren. Parallel dazu trafen sich die Außen- und Verteidigungsminister zu Arbeitsessen. Bei der Pressekonferenz am Mittwochnachmittag wurde Trump gefragt, ob er gut geschlafen habe. „Wonderful“, antwortete der US-Staatschef. Am Morgen frühstückte er noch königlich mit den Monarchen. Ein märchenhaftes Happy End, nachdem am Vorabend noch der rote Teppich von einer Böe fast weggeweht worden wäre. Doch der Einsatz des Personals und Trumps schwere Cadillac-Limousine „The Beast“ retteten die Situation.
Wir werden in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Anstrengungen unternehmen, und zwar in einem zu Luxemburg passenden Rhythmus
Mehr als politisches „Amuse-Gueule“ für den Staatsgast kann das eigentliche Gipfelresultat bewertet werden. Trump bezeichnete die Vereinbarung der NATO-Mitgliedstaaten, spätestens ab 2035 jährlich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung zu investieren, was in der Abschlusserklärung festgehalten wurde, als „big news“. Mindestens 3,5 Prozent sollen dabei auf klassische Militärausgaben entfallen, 1,5 Prozent auf Investitionen etwa für die Terrorismusbekämpfung und militärisch nutzbare Infrastruktur. „Damit Europa ein starker Pfeiler bleibt, müssen wir Europas Sicherheit stärken“, erklärte Luxemburgs Premierminister Luc Frieden bereits auf seinem Gang zu der Konferenz am Mittwochvormittag. „Zur Sicherheit gehören nicht nur rein militärische Aspekte wie Waffen und Panzer, sondern auch etwa Cybersecurity und Infrastruktur. Wir müssen den Rechtsstaat, die Freiheit und den Frieden absichern.“

In einem gemeinsamen Pressebriefing mit Verteidigungsministerin Yuriko Backes und Außenminister Bettel sagte Frieden, jeder müsse nun eigenständig seinen Weg festlegen. „Wir werden in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Anstrengungen unternehmen, und zwar in einem zu Luxemburg passenden Rhythmus“, so der Premierminister. „Doch ich würde mich nicht zu sehr auf Jahre und Prozentsätze konzentrieren. Es geht vielmehr darum, wie wir die verschiedenen Elemente der Sicherheit schrittweise stärken und unsere Widerstandsfähigkeit verbessern.“ Ähnlich hat auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron argumentiert. Er lehne es ab, nur über den BIP-Prozentsatz und „auf die Zahlen zu schauen“, betonte er schon im Vorfeld.
„Midterm review“ in vier Jahren
Wie das Ziel konkret umgesetzt werden soll, sei eine Aufgabe in den nächsten Jahren. Es gehe darum, das Geld intelligent auszugeben. In einer Art Zwischenbilanz soll 2029 überprüft werden, „wo wir stehen“, so Frieden. Verteidigungsministerin Backes sagte zu den Möglichkeiten, wie das Geld investiert wird: „Wir müssen das im Detail überprüfen. Daher ist die ‚midterm review‘ für uns wichtig. Schließlich weiß keiner, wie die Welt in vier Jahren aussieht.“ Es sei noch ein „langer Weg“, sagte der Premierminister. Der Hauptpunkt des Treffens sei für ihn aber, dass die Europäer Einigkeit gezeigt hätten und die 32 Präsidenten und Regierungschefs des Bündnisses zusammenkommen waren, um ihre Solidarität zu zeigen. Nach Friedens Worten ist der Gipfel von Den Haag daher ein „großer Erfolg“.
Bisher lag das Ziel bei zwei Prozent. Die deutliche Steigerung bedeutet für die meisten Mitgliedstaaten enorme Kraftanstrengungen. Im Gegenzug hatten die Bündnispartner erwartet, dass sich Trump zur NATO bekennt und keinen Zweifel mehr daran lässt, an der Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrags festzuhalten: Diese besagt, dass ein Mitgliedstaat der Allianz im Falle eines Angriffs auf die Unterstützung der Alliierten zählen kann. Ein Angriff auf ein Mitglied wird als Angriff auf alle gewertet. „Historisch“ nannte der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz den Gipfel. „Die NATO wird mit besseren Mitteln ausgestattet“, betonte der CDU-Politiker und fügte hinzu. „Wir trafen die Entscheidung nicht etwa, nur um jemandem einen Gefallen zu tun.“ In großer Übereinstimmung habe man auch festgestellt, dass sich die Bedrohungslage geändert habe, so Merz. „Und die Bedrohung heißt insbesondere Russland.“
Ich glaube, Russland ist nicht stark genug, um uns zu bedrohen
Die Warnungen vor der Gefahr eines russischen Angriffs auf NATO-Gebiet wies Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban zurück: „Ich glaube, Russland ist nicht stark genug, um uns zu bedrohen.“ Orban pflegt enge Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin. Im Text der Gipfelerklärung heißt es: „Die Alliierten bekräftigen ihre dauerhaften souveränen Verpflichtungen zur Unterstützung der Ukraine, deren Sicherheit zu unserer eigenen beiträgt.“ Die militärische Unterstützung für das Land wird weiterhin auf die Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten angerechnet. Im Übrigen soll auch der anhaltende internationale Handelskonflikt keine negativen Auswirkungen auf die Aufrüstungsbemühungen haben.

Im allgemeinen Harmoniebestreben hatte in den vergangenen Tagen der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez für Misstöne gesorgt, als er verlauten ließ, dass er das Fünf-Prozent-Ziel für sein Land als nicht bindend betrachtete – bisher ist Spanien Schlusslicht innerhalb der NATO mit 1,3 Prozent. Doch auch diese ließ Rutte nicht weiter aufkommen, indem er Trump schmeichelte: „Wir haben es alle zur Zusage gebracht. Du wirst etwas erreichen, was kein amerikanischer Präsident seit Jahren geschafft hat.“
Dass die USA und Europa längst nicht mehr das politische Epizentrum der Welt bilden, ist längst bekannt und ist vor allem dem Aufstieg Chinas zur Supermacht geschuldet, aber auch Indiens gestiegener Bedeutung als politischer Global Player. Am zweiten Tag fand ein Treffen zwischen dem NATO-Generalsekretär, dem US-Präsidenten und den indopazifischen Partnerstaaten statt. Das Interesse etlicher Medien aus Asien war der Präsenz ihrer Journalisten zu entnehmen.
Ebenso gut vertreten waren die türkischen Journalisten. Die Türkei, als NATO-Mitglied sowohl in Nähe zum Krieg in der Ukraine und in dem Konflikt häufig als Vermittler gehandelt als auch in Nachbarschaft zum Nahostkonflikt und dem Krieg zwischen Israel und Iran, ist innerhalb des Bündnisses auf Linie. „Letztes Jahr hat das Land zwei Prozent des BIP für die Verteidigung ausgegeben, in diesem sollen es 2,9 Prozent sein“, erklärt Büsra Arslantas. Gegenüber Iran habe sich Präsident Recep Tayyip Erdogan eher zurückgehalten, und US-Präsident Trump habe er sich am 14. und 15. Juni erhalten. In Den Haag habe das erste Meeting zwischen den beiden Staatschefs in Trumps zweiter Amtszeit stattgefunden. Sie hätten sich miteinander unterhalten und pflegen eine gute Beziehung. Der nächste NATO-Gipfel wird in der Türkei stattfinden. Dann wird Sultan Erdogan König Trump empfangen.

De Maart
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