20. Dezember 2025 - 9.17 Uhr
Der ständige KampfNationaler Aktionsplan gegen Rassismus ist ein wichtiger Schritt im Engagement gegen Diskriminierung
Rassismus hat Anabela* schon viel erfahren. Auf verschiedene Art und Weise. Angefangen in der Schule, wenn Lehrer zu ihr sagten, sie könne bei ihrer Herkunft sowieso nicht erwarten, einmal ein klassisches Lyzeum zu besuchen. Weiter ging es bei der Wohnungssuche, wo man sie bei einer Besichtigung abblitzen ließ oder ihr bereits am Telefon zu verstehen gab, dass sie mit ihrem portugiesischen Namen schlechtere Karten hätte.

Am Arbeitsplatz verlief es unauffälliger, wenn Kolleginnen mit Bemerkungen auf ihre Hautfarbe anspielten. „Die rassistischen Äußerungen waren selten eindeutig, oft nur versteckt, und manchmal merkte ich es zuerst nicht mal“, sagt die junge Frau kapverdischer Herkunft. „Bis ich mir darüber im Klaren war – weil sich die kleinen Verletzungen gehäuft hatten, die aus Klischees, Stereotypen und oftmals banalen Äußerungen bestanden.“ Die Verletzungen seien wie „Mückenstiche“, stellt die deutsche Journalistin Alice Hasters fest. Es sind Stiche, die man Mikroaggressionen nennt und die Facetten des Alltagsrassismus sind. Sie sind nicht immer abwertend gemeint, schmerzen aber trotzdem. Mohammed* kann dem beipflichten. Bei ihm handelte es sich nicht nur um Bemerkungen und Formen der Ausgrenzung wegen seiner Hautfarbe und afrikanischer Herkunft, sondern aufgrund seines Namens arabischen Ursprungs, seiner Religion. Er ist Muslim. „Kameltreiber und Terrorist waren Wörter, die ich nicht nur einmal hörte“, sagt der Westafrikaner, der beobachtet hat, „wie sich die Islamophobie in den vergangenen zehn Jahren verstärkt hat“. Vor allem nach Terroranschlägen habe sie zugenommen, stellt er fest.
Versteckter Rassismus
Es hat demnach dringend Handlungsbedarf bestanden – eine Reaktion der Regierung war längst überfällig, nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern ein systematisches, konzertiertes Vorgehen mehrerer Ministerien. Schließlich hatte Luxemburg 1978 die bereits 1965 von der UN-Generalversammlung verabschiedete und 1969 in Kraft getretene Internationale Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) ratifiziert. Doch über Rassismus wurde bis auf wenige Ausnahmen hierzulande lange Zeit nicht gesprochen. Er passte nicht zu dem weltoffenen Image des Großherzogtums als Finanzplatz und Sitz internationaler Institutionen sowie Forschungsstandort.
Von einer eher versteckten Diskriminierung war die Rede. Viele Betroffene trauten sich nicht, etwas zu sagen. Den Stein ins Rollen brachte erst 2018 die Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte über das „Being Black in the EU“, bei der Luxemburg schlecht abschnitt. Bei einer im November 2019 organisierten Konferenz im hauptstädtischen Cercle Cité unter dem Titel „Being Black in Luxembourg“ kamen etwa Personen mit afrikanischen Wurzeln zu Wort.
Im Zuge der weltweiten Black-Lives-Matter-Proteste gegen die tödlichen Polizeiübergriffe in den USA 2020 landete das Thema, als vor der hiesigen US-Botschaft demonstriert wurde, erneut auf die politische Agenda. Die Abgeordnetenkammer nahm nach einer Debatte im Juli 2020 einen Antrag an, in dem eine Untersuchung über den Rassismus hierzulande gefordert wurde. Daraufhin gab das Familien- und Integrationsministerium die Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ in Auftrag.
Wegweisende Studie
Etwa zwei Jahre später bestätigten die von den Forschungsinstituten LISER und CEFIS durchgeführten quantitativen beziehungsweise qualitativen Erhebungen, was die Betroffenen sowieso schon wussten: dass rassistische Diskriminierung hierzulande eine Realität ist. Der Bericht schlägt „konkrete Wege zur Verbesserung der Situation“ vor und liefert „reichhaltiges und tiefgründiges Material für Überlegungen und Maßnahmen“.

Dass es mehr als weitere drei Jahre dauern sollte, bis nun der nationale Aktionsplan Antirassismus vorliegt, war nicht abzusehen. Der PAN AR, vorgestellt von Familienminister Max Hahn sowie Bildungs- und Logementminister Claude Meisch (beide DP) und Georges Mischo (CSV), zu diesem Zeitpunkt noch Arbeitsminister, umfasst insgesamt 23 Ziele und 118 Maßnahmen. Er betrifft sechs Bereiche: Daten und Statistiken (vier Maßnahmen), Unterstützung für Betroffene (zehn), Sensibilisierung (21), aber vor allem jene Sektoren, in denen – laut Studien – rassistische Diskriminierung am stärksten auftritt: Arbeit (25), Bildung (32) und Wohnen (14).
Um die verschiedenen Maßnahmen umzusetzen und zu überwachen, enthält der PAN AR Indikatoren und einen Zeitplan für jede einzelne Maßnahme. Für das Monitoring sind eine interministerielle Koordinierungsgruppe und eine Begleitgruppe aus der Zivilgesellschaft und von Menschenrechtsinstitutionen vorgesehen. Die eine ist die „Groupe de pilotage interministériel“ mit Vertretern der 13 Ministerien, die andere eine „Groupe de suivi“ aus Akteuren der Zivilgesellschaft und unabhängigen Institutionen, die im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung engagiert sind, unter anderem die konsultative Menschenrechtskommission (CCDH), das „Centre pour l’égalité de traitement“ (CET), der Ombudsman und der „Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher“. Die Koordination hat das Familienministerium inne.
Vage Maßnahmen
Zwar ist eine zentrale Anlaufstelle vorgesehen, die Unterstützung und einen sicheren Raum für den Austausch zwischen den Betroffenen bietet und Opfern Hilfe anbietet sowie über Möglichkeiten einer Strafanzeige informiert. Doch bleiben die Maßnahmen relativ unkonkret und vage. So soll es eine Weiterbildung zum Thema „Rassismus verstehen, um zu handeln“ geben, die für verschiedene Zielgruppen im Bildungs- und Immobiliensektor und in der Arbeitswelt nicht verpflichtend ist, sondern ihnen nur vorgeschlagen werden soll. Zudem sollen Akteure aus dem Privatsektor wie auch im öffentlichen Sektor das Anti-Rassismus-Label „Je m’engage contre le racisme“ erhalten, wenn sie bestimmte, noch zu definierende Kriterien erfüllen.
In dieser Hinsicht zeigen sich Organisationen wie die „Association de soutien aux travailleurs immigrés“ (ASTI) und das „Comité de liaison des associations d’étrangers“ (CLAE) skeptisch. Die Gefahr besteht, dass das Label nur als Marketinginstrument benutzt wird. Zu kritisieren ist auch, dass die sogenannte Interkultur kein essenzieller Bestandteil der Regierungspolitik ist. Der Begriff beschreibt nach den Worten des Migrationsforschers Mark Terkessidis im Gegensatz zu den normativen Vorstellungen der Integration die kulturelle Barrierefreiheit für die Individuen einer Gesellschaft der „Vielheit“. Überhaupt ist der Kultur kein eigenes Kapitel gewidmet. Diskriminierte Künstler werden außen vorgelassen. Darüber hinaus wird nicht auf die Überschneidung und Gleichzeitigkeit verschiedener Formen von Diskriminierung wie Rassismus, Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung), Sexismus und Homophobie eingegangen, auf die aus dem Schwarzen Feminismus stammende Intersektionalität.

Dass der Plan systematisch und koordiniert umgesetzt werden soll und die Regierung damit „ihr entschlossenes Engagement für den Aufbau einer integrativen Gesellschaft, die von gegenseitigem Respekt, Toleranz und Solidarität als Grundlagen unseres Zusammenlebens geprägt ist“, erklärte Max Hahn. „Jeder Mensch muss in Luxemburg seinen Platz finden können, unabhängig von seiner Herkunft.“ Auf das Bildungswesen bezogen, erklärte sein Parteifreund und Ministerkollege Claude Meisch: „Die Schule muss in der Lage sein, den Bedürfnissen einer sehr vielfältigen Schülerschaft gerecht zu werden, um allen Schülern gleiche Erfolgschancen zu bieten.“ In Hinsicht des Immobiliensektors nannte er es „unakzeptabel, dass Familien bei der Wohnungssuche aus denselben Gründen immer wieder abgelehnt werden“.
Erster Erfolg
Dass nun ein Aktionsplan gegen Rassismus vorliegt, sei bereits ein Erfolg, sagt Antonia Ganeto, Vizepräsidentin der beratenden Menschenrechtskommission. Es sei „das Ergebnis vieler Bemühungen, Überlegungen und Kämpfe in der luxemburgischen Gesellschaft und nicht zuletzt der Zivilgesellschaft“. Es sei ein wichtiger Schritt hin zu einer respektvollen, toleranten und inklusiven Gesellschaft. Sie weist darauf hin, dass viele Menschen noch nicht einmal genau wissen, was Rassismus ist, vor allem jene, die nicht davon betroffen sind. Sie hätten kein Verständnis dafür, wie Rassismus entsteht und welchen Impakt er habe. Bereits die Studie „Rassismus und ethnisch-rassistische Diskriminierung in Luxemburg“ hat gezeigt, dass Opfer von Diskriminierung diese nur sehr selten melden. „Wenn man es versteht, kann man auch besser dagegen angehen.“
Anfangen müsse man in der Bildung, ja sogar in der Spielschule, erklärt Ganeto. Ziel sei es, dass sich die Kinder wohlfühlen, „egal welche Hautfarbe sie haben“. Als Beraterin in interkultureller und antirassistischer Bildung stellt sie fest, „dass immer mehr Menschen aus dem Bildungsbereich um Rat und nach Begleitung fragen, Lehrende ebenso wie Psychologen“. Und sie weiß auch, welche Folgen rassistische Diskriminierung für Schüler haben könnte: „Geringe Motivation, psychische Probleme wie Depressionen, Angstzustände und geringe Selbstwertgefühle, schlechtere physische Gesundheit, verminderte Berufschancen durch Vermeidung bestimmter Felder sowie soziale Isolation und verhaltensauffälliges Verhalten.“
Wenn man es versteht, kann man auch besser dagegen angehen
Deshalb sei Chancengleichheit so wichtig, so die CCDH-Vizepräsidentin. Daher müssten auch besonders vulnerable Gruppen unterstützt werden. Sie sagt: „Ein Aktionsplan gegen Rassismus muss eine intersektionelle Vorgehensweise haben, weil Rassismus selten isoliert auftritt, sondern mit anderen Formen der Diskriminierung – wie etwa aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung und Behinderung – zusammenwirkt und sich überlappt, was spezifische und vielschichtige Lösungsansätze erfordert, um tatsächliche Gleichheit zu erreichen, anstatt nur oberflächliche Maßnahmen zu ergreifen.“
Außerdem müsste erforscht, hinterfragt und auch gelehrt werden, fügt Ganeto hinzu, welchen Impakt der Kolonialismus gehabt hat. Der PAN AR sei zwar „nicht perfekt“, unter anderem „wegen des Fehlens von jeglichen legislativen Maßnahmen“ und weil es versäumt worden sei, neben dem Anti-Schwarzen-Rassismus andere Formen von Rassismen zu bekämpfen, ganz besonders die Islamophobie, welche die European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) als Priorität einstuft. Nichtsdestotrotz sei der PAN AR unentbehrlich. Er solle ein „fortschreitender Prozess“ sein, der nach einiger Zeit, in dem Fall in drei Jahren, überprüft werden müsse. In diesem Sinne ist der Antirassismus ein ständiger Kampf.
*) Namen von der Redaktion geändert
Zahlen und Fakten
11,2%: Nur eine geringe Zahl der befragten Opfer von Diskriminierung reichen eine Beschwerde ein oder melden den erlebten Rassismus.
36,7% der befragten Personen bei der Studie über „Rassismus und ethnisch-rassistische Diskriminierung in Luxemburg“ gaben an, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft bei der Suche nach einer Wohnung diskriminiert worden zu sein.
Bei der Arbeitssuche: 34,9% der befragten rassifizierten Personen sind bei der Arbeitssuche Opfer von Diskriminierung.
Am Arbeitsplatz: 37,9% der befragten rassifizierten Personen sind Opfer von Diskriminierung am Arbeitsplatz.
Rassismus aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern
Die Studie „Rassismus und ethnisch-rassistische Diskriminierung in Luxemburg“ zeigt, dass rassifizierte Schüler täglich mit rassistischer Diskriminierung und Rassismus in der Schule konfrontiert sind.
26,7% der befragten rassifizierten Personen sind der Meinung, dass sie selbst oder ihre Kinder Opfer rassistischer Diskriminierung in der Schule geworden sind.
De Maart

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