Dienstag21. Oktober 2025

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Großbritannien„Nächstes Mal ist er dran“: Premier Johnson fällt bei seiner Partei immer mehr in Ungnade

Großbritannien / „Nächstes Mal ist er dran“: Premier Johnson fällt bei seiner Partei immer mehr in Ungnade
„Boris Johnson, die Party ist vorbei“: Die liberale Helen Morgan triumphierte bei der Nachwahl in der Tory-Hochburg Shropshire Foto: AFP/Paul Ellis

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Premier Johnson macht die Medien für die schwere Niederlage seiner Partei bei einer Nachwahl verantwortlich. Die Unruhe in der konservativen Partei wird damit nicht kleiner. Im Gegenteil.

„In aller Demut“, behauptete Premier Boris Johnson am Freitagmittag beim Besuch eines Impfzentrums, akzeptiere er das Votum der Wähler von Shropshire. Diese hatten der konservativen Regierungspartei bei der Nachwahl tags zuvor eine schallende Ohrfeige verpasst: Der Wahlkreis, der seit 1832 stets Torys nach London geschickt hatte, entschied sich diesmal für eine Liberaldemokratin. Einen „Wendepunkt britischer Politik“ wollte der liberale Parteichef Edward Davey ausgemacht haben. Johnson trinke jetzt „im Pub zur letzten Chance“, teilte kühl die einflussreiche Tory-Schottin Ruth Davidson mit.

Nach wochenlangen Negativ-Schlagzeilen hatten am Dienstag mehr als ein Viertel der Fraktionsmitglieder ihrem Regierungschef die Gefolgschaft verweigert. Bei der Abstimmung über neue Corona-Einschränkungen, insbesondere die Einführung der 3G-Regel für Großveranstaltungen, setzte sich eine bunte Gruppe von enttäuschten Ex-Ministern, rechten Hardlinern, libertären Spinnern und Jung-Politikern über Johnsons Appell in letzter Minute hinweg. Die Rebellion blieb ergebnislos, weil die Labour-Opposition unter Keir Starmer alle Maßnahmen befürwortete.

Wirkung aber dürfte das indirekte Misstrauensvotum vieler Torys gegen ihren eigenen Premier gezeigt haben. In Shropshire jedenfalls sahen sich viele jener lebenslangen Tory-Wähler bestätigt, die diesmal dem Premierminister einen Denkzettel verpassen wollten. Viele blieben zu Hause, andere entschieden sich für die regional verwurzelte Liberaldemokratin Helen Morgan. Dass die Torys einen Rechtsanwalt aus der 100 Kilometer entfernten Metropole Birmingham ins Rennen um die Gunst der Wähler von Oswestry geschickt hatten, machte manchen die Entscheidung leichter.

Lametta-Lockdown

Vor allem aber drehte sich die Stimmung, seit in den vergangenen Wochen immer neue Fotos zu bestätigen schienen, dass vor Jahresfrist am Regierungssitz in der Downing Street fröhlich Weihnachtsfeiern begangen wurden, während im Land Kontaktbeschränkungen bestanden, kurz darauf sogar ein Lockdown verhängt wurde. Besonders Furore machte eine Abbildung des Regierungschefs mit zwei Lametta-geschmückten Mitarbeitern. Offenbar hatten sich Beamte und Minister in Whitehall ungeniert über alle Vorschriften hinweggesetzt, auch Johnson selbst.

Da hätten der Premier und seine Leute „die Öffentlichkeit zum Narren gehalten“, fasste Labour-Chef Keir Starmer die Stimmung im Land zusammen. Die Verstöße werden jetzt vom höchsten Beamten des Landes untersucht; für einen besonders eklatanten Fall, der weniger die Regierung als die örtliche Londoner Partei betrifft, interessiert sich sogar die Kriminalpolizei.

Nicht umsonst höhnte die Wahlsiegerin Morgan nach ihrem triumphalen Sieg um 4 Uhr morgens: „Boris Johnson, die Party ist vorbei.“ Statt 62 Prozent wie vor zwei Jahren holten die Konservativen diesmal nur 31 Prozent, wodurch die Liberaldemokratin mit 47 Prozent den Wahlkreis gewinnen konnte. Ausdrücklich bedankte sich Morgan bei jenen Labour-Wählern, die aus taktischen Gründen für sie gestimmt hatten.

Die Nachwahl war überhaupt nur durch einen schweren politischen Fehler Johnsons nötig geworden. Der langjährige konservative Abgeordnete Owen Paterson hatte gegen klare Lobbying-Regeln verstoßen und sollte deshalb vom Ältestenrat für 30 Tage vom Unterhaus ausgeschlossen werden – eine harte, aber völlig gerechtfertigte Strafe für „korrupte Handlungen“, wie Ausschusschef Chris Bryant sagte. Angestachelt von seinen Brexit-Weggefährten hebelte Johnson mithilfe der konservativen Parlamentsmehrheit die geltenden Regeln aus. Schon tags darauf musste der Premier das Vorhaben zurückziehen, weil Labour die Mitwirkung an einem neuen System der Bestrafung von Abgeordneten verweigerte. Daraufhin trat Paterson zurück. Zurück blieben wütende Hinterbänkler, die sinnlos vom Premierminister ins Kreuzfeuer öffentlicher Empörung geschickt worden waren.

Medienschelte

Am Freitag erhoben sich prompt Stimmen, die den Chef unmissverständlich zur Umkehr aufriefen. In Shropshire habe „ein Referendum über das Management in der Downing Street“ stattgefunden, teilte Fraktionsveteran Roger Gale der BBC mit und verwies auf die Brutalität, mit der die Konservativen erfolglose Parteichefs stürzen: „Beim nächsten Mal ist er dran.“ Die schottische Baronin Ruth Davidson, bis vor kurzem Leiterin der Regionalpartei im Norden der Insel, stieß ins gleiche Horn. Johnson habe von Abgeordneten und Wählern je eine Warnung erhalten: „Er befindet sich jetzt im Pub ‚Zur letzten Chance‘“.

Aufgeregt kursierten im Parlament Spekulationen, wonach mehrere Hinterbänkler eine Vertrauensabstimmung über den Chef verlangt hätten. Johnson selbst gab sich ungerührt, im Gegenteil. Beim Besuch eines Impfzentrums demonstrierte der 57-Jährige die Grenzen seiner Demut angesichts der Wahlniederlage, indem er Medienschelte betrieb: Anstatt von den Großtaten seiner Regierung wie der massiven Booster-Kampagne im Kampf gegen Sars-CoV-2 hätten die Menschen auf der Insel immer nur „eine Litanei von Dingen über Politiker“ zu hören bekommen.