Nach der EU-Wahl im Juni und der Nationalratswahl Ende September feierte die FPÖ am Sonntag auch bei der Landtagswahl in der Steiermark einen erdrutschartigen Sieg. Sie verdoppelte sich gegenüber 2019 auf knapp 35 Prozent der Stimmen und liegt damit acht Prozentpunkte vor der zweitplatzierten ÖVP, die um neun Punkte abstürzt. Die Verluste der Sozialdemokraten blieben mit minus 1,6 auf 21,4 Prozent vergleichsweise erträglich, die schwarz-rote Landesregierung hat im Grazer Landtag aber keine Mehrheit mehr. Eine mögliche Erweiterung des Verlierer-Bundes um die auf 6,2 Prozent halbierten Grünen oder die nur um einen halben Punkt auf 5,9 Prozent gestiegenen Neos hätte auch nur eine hauchdünne, für den politischen Alltag zu knappe Mehrheit.
Doch anders als in Wien, wo der Bundespräsident nach der Wahl mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken einen Regierungsbildungsauftrag erteilt (und FPÖ-Chef Herbert Kickl nach dessen Wahlsieg verweigert hat), gibt es in der steirischen Landesverfassung einen Automatismus: Der Wahlsieger bildet die Regierung. Dazu ist FPÖ-Landeschef Mario Kunasek auch fest entschlossen. Seine Chancen stehen dabei etwas besser als die von Herbert Kickl, der es sich mit seinen verbalradikalen Rundumschlägen selbst mit der den Freiheitlichen programmatisch eng verwandten ÖVP verscherzt hat. Der ehemalige Verteidigungsminister Kunasek ist eines der freundlichen Gesichter der FPÖ, einer, der mit allen kann und sich im Wahlkampf die Türen sowohl zur ÖVP als auch zu den Genossen offengelassen hat.
Gemäß dem Ranking am Wahlsonntag wird er zuerst mit der ÖVP sondieren. Den Landeshauptmann-Posten muss sich ÖVP-Chef Christopher Drexler als potenzieller Juniorpartner jedenfalls schon einmal abschminken.
ÖVP Kickls Hauptfeind
Ob er überhaupt Kunaseks erste Wahl ist, steht in den Sternen. Denn in der Sozialpolitik hat die FPÖ durchaus Schnittmengen mit der SPÖ. Und was ihre harte Linie in der Migrationspolitik angeht, bewegen sich auch die Genossen ungeachtet ihres ultralinken Parteichefs Andreas Babler in Wien immer mehr nach rechts. Für den FPÖ-Bundesvorsitzenden Kickl ist ohnehin die ÖVP das größere Feindbild.
Ein blau-roter Honeymoon ist allerdings durch SPÖ-Parteitagsbeschlüsse eigentlich ausgeschlossen. Eigentlich. Tatsächlich denkt die rote Lokalprominenz in der Steiermark schon ziemlich laut über eine Koalition mit der FPÖ nach. „Manchmal ist ein Paradigmenwechsel nötig, auch wenn es weh tut“, meinte gestern Kurt Wallner, SPÖ-Bürgermeister von Leoben, der zweitgrößten Stadt im Land. „Kunasek ist nicht Kickl, nicht so radikal“, sagt Wallner. Eine blau-rote Koalition wäre „im Interesse der SPÖ“. Das sähen auch viele SPÖ-Bürgermeisterkollegen so. Öffentlich äußerte sich in diesem Sinne auch der Kapfenberger Bürgermeister Matthäus Bachernegg. Schon im Wahlkampf eine Koalition mit der FPÖ nicht ausgeschlossen hatte SPÖ-Spitzenkandidat Anton Lang.
Erschütterungen in Wien
Was auch immer die Parteien in Graz nach dem Politbeben aushandeln, das Nachbeben in Wien ist garantiert. Noch verhandelt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) dort unbeeindruckt weiter mit SPÖ und Neos über eine „Zuckerlkoalition“. Er sowie Babler stehen unter Zeitdruck und befinden sich in einer Doppelmühle: Überwinden die drei Parteien schnell ihre ideologischen Gräben, um ein Anti-Kickl-Bündnis zu schmieden, inszeniert sich die FPÖ weiter als Ausgrenzungsopfer und setzt ihren Höhenflug fort. Lassen sich Nehammer und Babler zu lange Zeit, dürften in ihren Parteien die zentrifugalen Kräfte stärker werden. Nach dem steirischen Debakel wird in ÖVP-Onlineforen noch intensiver über eine Wiederbelebung des 2019 geplatzten Bündnisses mit der FPÖ diskutiert. Dem türkisen Wirtschaftsflügel graut ohnehin vor einer Koalition mit dem Marxisten Babler. Setzen sich diese Stimmen durch, wäre das politische Ende von Kanzler Nehammer besiegelt. Und auch der SPÖ-Chef wäre ohne Regierungsbeteiligung wohl bald Geschichte.
De Maart
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