ÖsterreichNach den EU-Wahlen folgt die Mutter aller Wahlschlachten

Österreich / Nach den EU-Wahlen folgt die Mutter aller Wahlschlachten
Der FPÖ-Chef Herbert Kickl bewarb sich bereits während des EU-Wahlkampfs bei Wahlveranstaltungen fürs Kanzleramt Foto: AFP/Alex Halada

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Die FPÖ hat die EU-Wahl zwar gewonnen, aber wesentlich knapper als prognostiziert. Da ÖVP und SPÖ fast gleich stark abschnitten, tobt in Österreich jetzt bis Ende September die Mutter aller Wahlschlachten ums Kanzleramt.

Angeblich „demütig“ bejubelte FPÖ-Chef Herbert Kickl das Ergebnis, mit dem „die Österreicher Geschichte geschrieben haben“. Historisch sind die 25,5 Prozent (plus 8,3) für die Rechtspopulisten insofern, als es ihnen am Sonntag gelungen ist, erstmals bei einer bundesweiten Wahl Platz eins zu holen. Tatsächlich hatten die Meinungsforscher die FPÖ aber schon bei 30 Prozent gesehen. Und das mit großem Abstand zu ÖVP und SPÖ. Der fiel jedoch viel geringer aus als erwartet. Die Christdemokraten erzielten zwar mit 24,7 Prozent (minus 9,9) ihr bisher schlechtestes EU-Wahlergebnis, das allerdings deutlich über den Umfrageprognosen lag. Bei den großen Veränderungen beider Parteien ist zu berücksichtigen, dass die Wahl 2019 unmittelbar auf das Platzen des Ibiza-Skandals folgte, der das Ende des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache und der türkis-blauen Koalition unter dem ebenfalls mittlerweile im politischen Nirwana gelandeten ÖVP-Superstar Sebastian Kurz markierte. Die FPÖ startete also dieses Mal aus einem Tief, die ÖVP hatte sich 2019 auf einem Höhenflug befunden.

Deshalb wurde die Stimmung in der ÖVP-Zentrale nach 23 Uhr auch deutlich besser, als das Endergebnis die bis dahin bekannten, einen viel deutlicheren FPÖ-Vorsprung signalisierenden Exit-Polls korrigierte. Parteichef Bundeskanzler Karl Nehammer fand es dennoch zwar „überhaupt nicht erfreulich“, ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker strich jedoch das Positive hervor: „Die Volkspartei ist viel stärker, als es ihr manche zugetraut haben“.

SPÖ verharrt im Tief

Getröstet hat die Türkisen auch das Ranking vor den Sozialdemokraten, die unter ihrem nun seit einem Jahr amtierenden neuen Vorsitzenden Andreas Babler mit 23,3 Prozent zwar nur einen kleinen Verlust von 0,6 Prozentpunkten hinnehmen mussten, aber weit von einer Rückkehr zu alten Hochs entfernt sind. Auch der SPÖ-Chef tröstete sich und seine Partei damit, dass der Abstand zur FPÖ nicht so groß wie prognostiziert sei.

Offensichtlich können die Genossen im Gegensatz zur FPÖ nicht von der Schwäche der Regierungsparteien profitieren. Auch die Grünen, deren Wahlkampf im Skandal um Rufmord-Vorwürfe gegen Spitzenkandidatin Lena Schilling untergegangen ist, mussten ein Minus von 3,2 Punkten auf 10,9 Prozent hinnehmen, reden sich das Ergebnis aber wie die Altparteien mit dem Hinweis auf die schlimmeren Befürchtungen schön.

Wirklich gewinnen konnten neben der FPÖ nur die liberalen Neos, die mit ihrem angesichts der EU-Skepsis vieler Österreicher mutigen Wahlslogan für „Vereinigte Staaten von Europa“ 10,1 Prozent (plus 1,6) erreichten.

Blaue Poleposition

Ging es schon im EU-Wahlkampf hauptsächlich um Innenpolitik, so wird Europa nun wohl endgültig ausgeblendet. Denn ab sofort geht es um die Ende September stattfindenden Nationalratswahlen, die nun spannender als erwartet werden. Während die ÖVP schon ein Match Kickl-Nehammer ausgerufen hat, hat tatsächlich ein Dreikampf begonnen, der wohl mindestens so schmutzig und untergriffig geführt wird wie der gerade beendete. Die mit der EU-Wahl geschaffene Ausgangslage ist dermaßen knapp, dass nach Einschätzung aller Beobachter alles möglich ist. Kickl, der sich mit seinem durchaus rechtsextremen Kurs schon auf dem Highway ins Kanzleramt gesehen hatte, befindet sich nun zwar tatsächlich auf der Siegerstraße, allerdings auf einer etwas holprigen. Er kann jedoch die 2,7 Prozent der am Sonntag an der Vier-Prozent-Hürde gescheiterten Impfgegner-Partei DNA zumindest teilweise der FPÖ zurechnen, da diese bei der Parlamentswahl nicht antreten wird. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die niedrige Wahlbeteiligung von 54 Prozent auf das Konto vieler FPÖ-affiner Wähler geht, die mit der EU nichts am Hut haben und daher am Sonntag zu Hause geblieben sind. Die für die Herbstwahl den Rechtspopulisten prognostizierten 30 Prozent sind also möglicherweise realistischer als die Umfragen zur EU-Wahl.

Hoffnung stirbt zuletzt

Solche Hoffnungsfaktoren haben ÖVP und SPÖ eher nicht. Die Kanzlerpartei kann angesichts der knappen Ausgangslage höchstens auf einen Jetzt-erst-recht-Effekt hoffen, der die Funktionäre aus dem Frust holt und noch einmal mobilisiert.

Die SPÖ muss sich zudem mit einer Konkurrenz abfinden, die auch den Grünen weiter zusetzen könnte: Die bei der EU-Wahl gar nicht angetretene „Bierpartei“ des Rockmusikers und Arztes Dominik Wlazny ist längst von einem Spaßprojekt zu einem ernstzunehmenden Faktor geworden. Die ihr derzeit prognostizierten sechs Prozent gehen vor allem zulasten der SPÖ und der Grünen, die Sozialdemokraten werden zudem am linken Rand von den wieder erstarkenden Kommunisten angeknabbert: Die KPÖ verfehlte zwar am Sonntag den Einzug ins Europaparlament, hat sich mit 2,9 Prozent aber gegenüber 2019 fast verfünffacht.

Was das Hauptthema der kommenden Wahlschlacht sein wird, ergibt sich aus den Wahlmotiven der EU-Wahl. Sicherheit und Migration stehen auf der Sorgenliste der Österreicher nun ganz oben, noch vor Teuerung und Klimaschutz. Kanzler Nehammer versprach, die „große Unzufriedenheit“ in der Bevölkerung aufzunehmen und in konkrete Politik zu gießen. Und sogar der linke Andreas Babler kündigte am Wahlabend an: „Wir werden auch in Asyl- und Migrationspolitik aufschlagen müssen mit einer konkreten Position.“ Der kurz vor der EU-Wahl vollzogene SPÖ-Schwenk hin zu einem Ja zur Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan und Syrien könnte nur ein Anfang gewesen sein.