Auf nahezu sommerliche Temperaturen konnte sich das Großherzogtum diese Woche freuen. Was für viele Picknicks im Park und gebräunte Haut bedeutet, ist für andere der bittere Weg zurück auf die Straße. Der Frühling markiert nämlich für viele obdachlose Menschen das Ende der „Wanteraktioun“ (WAK). Für einige bedeutet das den Verlust ihres sicheren Schlafplatzes, für andere der Verlust einer Notlösung.
Seit 2001 organisiert der luxemburgische Staat in Zusammenarbeit mit verschiedenen sozialen Organisationen die WAK. Während der kalten Monate öffnet die multifunktionale Notunterkunft am Findel ihre Tore für bis zu 300 obdachlose Menschen. Von Mitte November bis Mitte April können sie dort schlafen, essen, duschen und sich aufwärmen. Seit 2021 wird die Struktur von der Dräieck ASBL betrieben. Doch seit dem 15. April ist Schluss. Das bedeutet für viele den Weg zurück auf die Straße — oder, wenn möglich, in behelfsmäßige Unterkünfte. Diese sind jedoch oft überfüllt.
Im Winter drohen den Obdachlosen Erfrierung und Unterkühlung, im Sommer Hitzeerschöpfung oder Dehydrierung. Immer wieder wird das Thema Wohnungslosigkeit in Luxemburg sichtbar, wenn sich Bewohner über die Zustände in ihrer Nachbarschaft beschweren oder Politiker Maßnahmen zur Vertreibung der Obdachlosen unternehmen. Die Zahl der obdachlosen Menschen ist schwer zu erfassen, und offizielle Statistiken gibt es dazu keine.
Keine Privatsphäre
Ben Said ist 79 Jahre alt. Er ist einer von sechs Obdachlosen, mit denen sich das Tageblatt an einem Montagmorgen in Luxemburg-Stadt unterhalten hat. Er war den Winter über jeden Tag bei der Winteraktion. „Man bekommt saubere Laken, eine anständige Suppe, und die Leute da geben sich Mühe“, erzählt er. Es sei friedlicher als anderswo, obwohl es auch dort oft zu Spannungen kommt. „Wenn einer betrunken ist oder es Streit gibt, kommt schnell die Polizei.“ Dass die WAK nun wieder geschlossen hat, hat für ihn schlimme Konsequenzen. Gerade erst hat er sich einer Katarakt-Operation unterzogen. „Der Arzt hat gesagt, ich soll nicht auf der Straße schlafen, solange ich noch heile“, sagt Ben Said. „Aber ich habe keine Wahl.“ Notunterkünfte sind abends voll. Beim Versuch, morgens einen Platz zu reservieren, ist meist kein Bett mehr frei. Das sei vor ein paar Jahren noch nicht so gewesen. Die Rente, die Ben Said bezieht, reicht nicht, um in Luxemburg ein Zimmer zu mieten.
Ich wünsche mir eine richtige Wohnung, nicht nur ein Bett für ein paar Nächte
Marian ist Rumäne, lebt seit zehn Jahren in Luxemburg und spricht Rumänisch und Italienisch. Zur WAK geht er nie. „Jeder spricht da nur Französisch“, meint er. Er fühle sich deshalb nicht willkommen und bleibe lieber fern. Er schläft jede Nacht draußen, ist aber oft zum Essen bei der „Stëmm vun der Strooss“.
Ein anderer Mann – seinen Namen will er nicht verraten – erzählt uns, dass er seit mehr als zehn Jahren auf der Straße lebt. Er bewohnt gemeinsam mit anderen einen Squat und fühlt sich dort sicherer als in Notunterkünften. Ein Squat entsteht, wenn eine oder mehrere Personen einen Ort ohne die Zustimmung des rechtmäßigen Inhabers für Wohnzwecke besetzen. „Wir passen aufeinander auf“, sagt der Mann. „Ich wünsche mir eine richtige Wohnung, nicht nur ein Bett für ein paar Nächte.“ Die vielen leeren Wohnungen, die er jeden Tag in Luxemburg-Stadt sieht, regen ihn auf.
Zwei weitere Männer, die lieber anonym bleiben wollen, suchen die WAK nur im äußersten Notfall auf. „Man muss morgens raus, wenn es noch bitterkalt ist“, sagt einer der beiden. „Man hat auch wenig Privatsphäre.“ Für die beiden Männer bleibt es eine Notlösung. „Wir brauchen etwas fürs ganze Jahr“, stellen sie klar. Jean, freiwilliger Helfer bei der Croix-Rouge, bestätigt dem Tageblatt, dass die Schlafsäle bis zu 60 Menschen beherbergen können. Privatsphäre gebe es quasi keine.
Romina begegnen wir im Bahnhofsviertel. Sie wird von ihrem temperamentvollen Hund begleitet. Hunde sind in Notunterkünften mittlerweile öfter erlaubt, auch in der WAK. Doch da ihr Hund regelmäßig bellt, kommt sie mit ihm in keiner Unterkunft unter und hat den Winter somit draußen verbracht. „Ich würde nie meinen Hund abgeben“, sagt Romina. „Er ist mein ganzes Glück.“
Zuhause anstatt Notlösung
Die Gespräche mit Betroffenen zeigen: Die WAK ist eine willkommene Notmaßnahme im Winter. Doch manchen Menschen kann sie nicht helfen – und nötig wäre sie eigentlich das ganze Jahr über. Dazu verschlimmert sich das Phänomen der Armut und der Obdachlosigkeit im Land. In Luxemburg ist laut Statec eine von fünf Personen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Genaue Zahlen zur Obdachlosigkeit gibt es keine. Zählungen von Inter-Actions und die Bilanz der WAK zeigen jedoch eine klare Tendenz nach oben. Im Gespräch mit dem Tageblatt erzählt uns Jean, der Freiwillige von der Croix-Rouge: „Wir sehen bei der WAK immer mehr Personen und Familien, die trotz stabilen Einkommens auf der Straße landen.“ Ein Gehalt reiche in Luxemburg nicht zum Leben. Ein Problem, das sich von Jahr zu Jahr ausweitet.
Erklärung von Lissabon
2021 wurde in Lissabon die Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit ins Leben gerufen. Sie fordert die EU-Mitgliedstaaten auf, auf die Beseitigung der Obdachlosigkeit bis 2030 hinzuarbeiten. Mit der Unterzeichnung der Erklärung wurden folgende Ziele vereinbart:
Niemand muss wegen eines Mangels an zugänglichen, sicheren und geeigneten Notunterkünften auf der Straße schlafen;
niemand muss länger in Not- und Übergangsunterkünften leben, als für eine dauerhafte Lösung der Unterbringungsfrage notwendig ist; niemand wird ohne das Angebot einer angemessenen Unterkunft aus einer Einrichtung (z.B. Haftanstalt, Krankenhaus, Pflegeeinrichtung) entlassen; Zwangsräumungen sollten vermieden werden, wann immer dies möglich ist; niemand wird seiner Wohnung verwiesen, ohne beim Finden einer angemessenen Unterbringungslösung unterstützt zu werden, wenn dies notwendig ist; niemand wird aufgrund seiner Obdachlosigkeit diskriminiert.
Luxemburg scheint weit davon entfernt, die in der Erklärung von Lissabon festgelegten Ziele (siehe Infobox) zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu erreichen. Finnland gilt in der EU als Musterschüler. Laut der Helsinki Times hat das Land die Zahl der Obdachlosen von rund 16.000 in den 1980er Jahren auf heute unter 4.000 gesenkt. Ihre Lösung: Housing-First-Programme. Der Ansatz ist simpel: Menschen bekommen zuerst eine Wohnung — bedingungslos. Erst danach folgen psychologische Betreuung, Sozialhilfe oder Suchtberatung. Der Grundgedanke: Nur wer ein Dach über dem Kopf hat, kann überhaupt daran arbeiten, weitere Probleme zu lösen.
Doch kann so etwas in Luxemburg funktionieren? Im Großherzogtum gibt es seit einigen Jahren erste Housing-First-Projekte, betrieben vom nationalen Komitee für soziale Verteidigung, Inter-Actions und „Hëllef um Terrain“. Housing First könnte für viele der Ausweg sein, doch Luxemburg hinkt hinterher. Die Vereinigung „Solidaritéit mat den Heescherten“ bedauert in einem Communiqué vom 17. April, dass bis jetzt nicht mehr als 46 solcher Wohnungen existieren.
Viele der Betroffenen, denen wir begegnet sind, wünschen sich genau das: ein Zuhause. Nicht für einen Winter, sondern für ein Leben. Um internationalen Verpflichtungen nachzukommen, müsste Luxemburg deutlich mehr in nachhaltige Lösungen für sozial ausgegrenzte Menschen investieren. In der Hoffnung, dass auch in Luxemburg das Recht auf Wohnen nicht mehr nur in der Verfassung steht. Oder wie der Mann aus dem Squat erklärt: „Wir brauchen keine Notlösungen, sondern Wohnungen.“
De Maart
Di Menschenrechter Regelungen brengt nemmen d'Leit dozo'u den Problemer an den Hiirkunftslaenner fort zelaafen, amplatz sech do, so'uguer mat hirem Liewen , anzesetzen fir dass et an hirer Heemecht besser gett !
Eis Sozialsystemer sinn ze groosszuegig an dofir hun di Rietsextreempartei'en so'uvill Zo'ulaaf !
Wir haben nicht einmal bezahlbaren Wohnraum für unsere eigenen Staatsbürger, woher sollen wir denn Obdachlose aus aller Herren Länder aufnehmen.....?