Donnerstag23. Oktober 2025

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Nordmazedonien„Es wird keine Gnade für irgendjemanden geben“ – Disco-Feuer sorgt für Wut bei Regierung und Angehörigen

Nordmazedonien / „Es wird keine Gnade für irgendjemanden geben“ – Disco-Feuer sorgt für Wut bei Regierung und Angehörigen
Die bei dem Brand in der Diskothek verletzten Menschen mussten teilweise in Krankenhäusern benachbarter Länder untergebracht werden Foto: AFP/Robert Atanasovski

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Nach der Brandkatastrophe in einem Nachtclub in Kocani gesellt sich in Nordmazedonien zur Trauer über mindestens 59 Tote zunehmend die Wut: Es mehren sich die Hinweise auf Bestechung und die kriminelle Missachtung von Sicherheitsauflagen.

Aufgebrachte Angehörige und weinende Eltern, die auf der Suche nach den Überresten ihrer Kinder die Krankenhäuser belagern: Nach der Brandkatastrophe in einem Nachtclub in Kocani gesellt sich in Nordmazedonien zur Trauer über mindestens 59 Todesopfer zunehmend die Wut: Es mehren sich die Hinweise auf Bestechung und die kriminelle Missachtung von Sicherheitsauflagen.

Über 500 zumeist jugendliche Besucher drängten sich laut den jüngsten Ermittlungserkenntnissen in dem Musikclub „Pulse“, als während eines Konzerts der Hiphop-Band DNK gegen 2.30 Uhr ein vermutlich durch den Funkenschlag des Bühnenfeuerwerks ausgelöster Band ausbrach: Auch weil der Notausgang an der Rückseite des Gebäudes geschlossen blieb, kamen bei ihren panischen Fluchtversuchen aus dem Flammeninferno im Gedränge viele der Konzertbesucher zu Fall – und wurden hilflos am Boden liegend von anderen überrannt.

„Wir sahen, wie ein Teil der Decke zu brennen begann und innerhalb von zwei Minuten fing das Dach Feuer“, berichtete gegenüber dem TV-Sender „Kanal 5“ ein Konzertbesucher, der seinen Namen nicht nennen wollte: „Überall war Rauch. Die Leute stolperten übereinander. Jeder versuchte, in Panik zum Ausgang zu gelangen, um sich irgendwie zu retten.“ Einige seiner Freunde seien verletzt, von dem Schicksal anderer habe er nichts mehr vernommen: „Jetzt warte ich vor dem Krankenhaus, um Neuigkeiten von einem Freund zu hören, der schwere Verbrennungen im Gesicht und an den Händen erlitten hat.“

20 der 155 Verletzten schweben nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Skopje noch immer in Lebensgefahr. Wegen der begrenzten Kapazitäten und Behandlungsmöglichkeiten der heimischen Krankenhäuser wurden über 50 Patienten mit schweren Verbrennungen mittlerweile in ausländische Kliniken überführt – vor allem in den Nachbarländern Bulgarien, Serbien und Griechenland, aber auch in der Türkei und Litauen.

Betriebsgenehmigung offenbar „gefälscht“

Offen ist die Frage, wie der mittlerweile verhaftete Betreiber des Club Pulse überhaupt die Genehmigung erhalten konnte, in der heruntergekommenen Halle eines früheren Teppichlagers seit 2020 einen Musikclub zu betreiben. Es bestehe der Verdacht, dass „Bestechung und Korruption“ im Spiel gewesen seien, so Innenminister Pance Toskosovi.

Die letzte, im März 2024 ausgestellte Betriebsgenehmigung sei „gefälscht“, allerdings von dem damaligen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium unterzeichnet worden, so Premier Hristijan Mickoski. Laut seiner Aussage sei der für Massenveranstaltungen völlig ungeeignete Club zum letzten Mal 2022 von einem staatlichen Inspektor überprüft worden: Warum dieser damals keine Mängel feststellen konnte, müsse noch ermittelt werden.

Außer der „rigorosen“ Überwachung der Einhaltung der siebentägigen Staatstrauer kündigte der Premier die Überprüfung aller Betriebs- und Baugenehmigungen von Musikclubs und Diskotheken an: „Es wird keine Gnade für irgendjemanden geben.“ Selbst denkt der seit dem letzten Jahr amtierende Würdenträger nicht an den Rücktritt: Er werde im Amt bleiben, solange „bis das korrupte System besiegt“ sei.

Er hatte sein Leben erst begonnen – und ist jetzt tot. Was bleibt mir noch im Leben? Ich benötige es nicht mehr.

Dragi Stojanov, Familienvater

Wegen des Verdachts der Mitverantwortung für den Brand sind 20 Verdächtige bereits verhaftet worden, weitere könnten folgen. Zwei Jahre lang habe er den von ihm als „außergewöhnlich geldgierig“ beschriebenen Betreiber des „Pulse“ mehrmals darauf hingewiesen, dass der Club mit minderwertigem Billigmaterial isoliert und viele der Besucher minderjährig seien, so der Wachdienstbetreiber Blagojco Georgiev, der aber auch die zuständigen Behörden in der Verantwortung sieht: „Wer hat für dieses Loch von Diskothek die Genehmigung erteilt, wer die Inspektionen geleitet?“

„Sehr junge“ Eltern und Opfer

Unter den Toten befinden sich auch drei Mitglieder und eine angeheuerte Begleitsängerin der populären Hiphop-Band DNK: Einer der verstorbenen Sänger, der sich bereits gerettet hatte, war laut Medienberichten in die brennende Halle zurückgekehrt, um Verletzte zu bergen. Vermutlich an den Folgen der Erschöpfung oder des erlittenen Schocks ist derweil ein Rettungsfahrer in Kocani verstorben, dessen Tod im eigenen Bett zu Wochenbeginn vermeldet wurde: Der 59-jährige Ila Govevski hatte zuvor die ganze Nacht aus dem Club geborgene Verletzte in aufnahmebereite Notfallkliniken des Landes gefahren.

Nicht nur die Opfer, sondern auch deren Eltern seien „sehr jung“ und meist „um die 40 Jahre alt“, berichtete ein Freiwilliger des Roten Kreuz in Skopje von „chaotischen, brutalen und schrecklichen“ Szenen bei der Identifizierung der Opfer: „Leider gingen viele junge Leben verloren.“ Sein ums Leben gekommener Sohn sei sein einziges Kind gewesen, so der erschütterte Familienvater Dragi Stojanov in Kocani: „Er hatte sein Leben erst begonnen – und ist jetzt tot. Was bleibt mir noch im Leben? Ich benötige es nicht mehr.“