Wer in den kommenden Tagen zufällig hinter dem Rathausgebäude von Strassen vorbeikommt, wird seinen Augen nicht trauen: Auf dem Sportgelände, normalerweise von Fußballspielern und Freizeitsportlern genutzt, stehen seit Sonntag Zeltstädte, Banner und Absperrungen. Inmitten dieser Kulisse: über 800 Kinder im Alter von acht bis elf Jahren – die sogenannten „Wëllefcher“. Sie verbringen hier, im nationalen Camp der „Lëtzebuerger Guiden a Scouten“ (LGS), eine Woche unter dem Titel „Mystaria 25“. Das Thema: Hexen, Magie und Gemeinschaft.

Eine Woche lang leben Kinder in einer fiktiven Zauberwelt – mit eigenen Ritualen, Kreativwerkstätten und Geschichten. Doch hinter dem märchenhaften Titel steckt ein logistisches Großprojekt. „Wir bauen hier für über 1.200 Menschen eine eigene kleine Welt auf“, sagt Mucky Nicolay, 36, Camp-Chefin. „Das ist nicht nur ein Camp. Das ist unser eigenes kleines Ökosystem“, fügt PR-Leiter Fränk Prim, 26, hinzu.
Das Grundprinzip ist einfach: Jedes Kind kommt mit seiner lokalen Gruppe – einem sogenannten Rudel. Pro zehn Kinder ist immer mindestens eine erwachsene Bezugsperson (Chef) zuständig. Das Programm wird vom zentralen Team organisiert und angeboten – die Durchführung passiert in enger Abstimmung mit den Gruppenleitungen. So bleiben Orientierung, Struktur und Sicherheit auch bei dieser Menge an Kindern gewährleistet.
Die Woche ist vollgepackt: Wasseraktivitäten in den Strassener Thermen oder direkt auf dem Gelände, eine Rallye durch den Wald und ein Kreativtag mit über 20 Ateliers. Ausflüge führen ins Science Center, ins PLOMM-Museum, auf pädagogische Bauernhöfe usw. Am Freitag folgt die große Olympiade – ein bunter Abschluss vor der Rückkehr in den Alltag.
Was viele nicht wissen
Ein nationales „Wëllefcherscamp“ ist ein sehr seltenes Ereignis. „So etwas gibt’s bei uns eigentlich nur alle sieben Jahre – wenn überhaupt“, erklärt Mucky Nicolay. „Das letzte reine nationale ,Wëllefcherscamp‘ liegt jetzt 15 Jahre zurück.“ Dazwischen gab es zwar auch größere Camps wie den „Go Urban“ 2017 auf dem Kirchberg – allerdings war dieses international ausgerichtet.
Kein kleines Unterfangen
Das diesjährige Camp wird von Grund auf selbst organisiert. Kein Caterer, keine Security-Firma, keine bezahlten Eventagenturen. Alles läuft über Ehrenamt – auf einem Niveau, das in so mancher Gemeinschaft nicht selbstverständlich ist. Viele studieren oder arbeiten Vollzeit – und nehmen sich Urlaub, um hier mitzuhelfen. Alle zahlen ihr Essen selbst und einige sind sogar bis zu vier Wochen am Stück vor Ort.
Gut zwei Jahre Planung stecken hinter „Mystaria“. Seit eineinhalb Wochen bauen Freiwillige den Platz auf. „Der jüngste Helfer ist 15, der älteste 72“, erzählt Nicolay. Das Gelände wurde frühzeitig gesichert – über Kontakte zur Gemeinde Strassen. Der Bürgermeister Nico Pundel ist selbst Scout (gewesen) und kannte die Anforderungen eines solchen Camps aus eigener Erfahrung.
Die „Wëllefcher“ schlafen in Rudeln in Großzelten auf Feldbetten. Die Verpflegung kommt nicht aus Dosen oder Lieferdiensten – sie wird vor Ort gekocht. Frisch, regional, bio. Eine riesige Küche aus elf Containern versorgt täglich alle Teilnehmer. „So eine Küche ist normalerweise bei der NATO im Einsatz“, erklärt Fränk Prim.
Der Entschluss, die Mahlzeiten nicht liefern zu lassen, war bewusst: „Es gab früher oft Beschwerden über das Essen. Also dachten wir: Wir machen’s einfach selbst“, sagt Mucky Nicolay. „Wir wollten wissen, was auf den Teller kommt – und dass es gesund ist.“
Unterstützt werden sie dabei von vielen Sponsoren: vom Stromanbieter Creos, der für die riesige Küche eine Starkstromleitung zum Platz gelegt hat, über die „Œuvre nationale Grande-Duchesse Charlotte“, die die aus Hamburg gelieferten Küchencontainer zum Großteil finanziert, bis hin zum lokalen Fleisch- und Gemüselieferant. Die Küche erfüllt alle Normen der Lebensmittelsicherheit – und das GIMB-Label („Gesond iessen – méi beweegen“) des Gesundheitsministeriums wurde beantragt.
Die Magie liegt im Miteinander
So ein Großevent braucht natürlich auch ein ausgefeiltes Sicherheitskonzept. Und das existiert bis ins letzte Detail: Der gesamte Camp-Platz ist eingezäunt und es gibt eine eigene Krankenstation mit zwei Ärzten und einer Pflegekraft. Und sollte doch etwas Größeres passieren: Das nächste Kinderkrankenhaus ist nur wenige Minuten entfernt. „Wir haben auch ein System mit Armbändern mit QR-Codes. Wenn ein Kind verloren geht, kann man es sofort identifizieren und Kontakt aufnehmen“, so Nicolay.
Was bei den Aufbauarbeiten auffällt: Die Stimmung auf dem Gelände ist konzentriert, aber entspannt. Niemand brüllt, niemand kommandiert. Es gibt keine sichtbaren Machtverhältnisse. Alteingesessene Scout-Veteranen teilen ihr Wissen mit jungen Helfern. Neue übernehmen Verantwortung.
Scout zu sein ist eine Haltung, eine Lebenseinstellung
Was alle verbindet, ist mehr als nur das Tragen eines Halstuchs. „Ich bin seit meinem achten Lebensjahr bei den ,Guiden a Scouten‘ – heute bin ich 26“, erzählt Fränk Prim. „Viele bleiben ihr Leben lang. Weil es eben nicht nur ein Hobby ist, sondern eine Einstellung.“ Nicolay nickt: „Man sieht sofort, wer Scout ist. Das sind die Menschen, die nicht lang fragen, sondern einfach machen. Die mitarbeiten und mitdenken.“
Besonders bei so großen Projekten wie Mystaria zeigt sich dies: Tischler, Elektriker, Köche, Pädagogen – viele aus dem Team bringen berufliches Know-how ein. „Das ist unser Schatz: Wir haben Spezialisten in den unterschiedlichsten Bereichen. Unsere Leute wissen, was sie tun. Sonst wäre so ein Event wie dieses gar nicht möglich“, sagt Prim.
Trotz aller Professionalität bleibt eines im Mittelpunkt: das Miteinander. „Wir wollen, dass jedes Kind teilnehmen kann – egal aus welchem sozialen Umfeld“, sagt Nicolay. „Ein Camp darf kein Luxus sein.“ 250 Euro kostet die Teilnahme – ein vergleichsweise hoher Betrag. „Aber ohne die ganzen Sponsoren und Helfer wäre das locker doppelt so viel“, sagt Prim. „Wir tun alles, damit kein Kind ausgeschlossen wird.“
Nach zwei Jahren Planung entsteht nun aus Excel-Tabellen, Lageplänen, Budgetlisten und Bauzeichnungen ein echtes Erlebnis. „Das ist der Moment, auf den wir hingearbeitet haben“, sagt Nicolay. „Jetzt wird’s endlich real.“
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