Die aus Russland stammende und mittlerweile in Deutschland wohnhafte Künstlerin Darja Linder hat in einer zweigliedrigen Schau im Centre d’art Dominique Lang ihren eigenen Lebensweg dargestellt. Gemeinsam mit Katja Pilisi fasst sie dies so zusammen: „mute ist der Versuch, die eigene Geschichte und Identität in Worte zu fassen und in ihrer Beziehung zu sich selbst und zu ihrer Tochter ein neues Kapitel zu schreiben.“
In der Tat, Linder geht nicht nur auf ihre Erfahrungen als emigrierte Person und die eigenen Entwicklungen in Körper und Geist ein, sie unterzieht generell auch die Verhältnisse Mutter-Tochter sowie Tochter-Tochter einer kritischen Selbstanalyse. Es geht da die Rede von „transgenerationalen Traumata, Mutter-Tochter-Beziehungen und die Suche nach Identität in westlicher Popkultur“. Die Künstlerin wandelt auf schmalem Grat zwischen „Aneignung und Abgrenzung kapitalistischer Dynamiken“ und verbindet „persönliche Narrative und gesellschaftliche Analysen, legt Schichten von Stereotypen, Rollenbildern und struktureller Ungleichheit frei“. Zur Popkultur hingezogen, setzt sie Lyrics aus Songtexten als Titel ihrer Werke ein, ob Gemälde oder Installationen, u.a. von Britney Spears.
Britney und Puppen

Sie stellt sich selbst in einer „Puppen-Figur“ dar und nutzt zur Illustration der Wandlung das Matroschka-Puppenspiel und andere Posen bis hin zu einem Video mit im Zentrum der von Stereotypen geprägten Loreley. Zwei Videos und fünf Gemälde, in denen die Symbolfigur in unterschiedlichem Statut in kräftigem Rot gekleidet auftaucht, dokumentieren den beschwerlichen aber befreienden Weg der Frau als Tochter und Mutter, von „Sprachlosigkeit und Ohnmacht ihrer Vorfahren“ geprägt, dies in der Sorge, diese Erbschaft nicht „weiter zu vererben“. Im Begleittext notieren Pilisi und Linder: „Darja Linder eignet sich die Macht ihres Körpers, ihrer Sexualität, ihrer Geschichte an und benutzt sie als Protest.“ „mute“ ist nach ihrer Performance in Saarbrücken ein weiterer Eckpfeiler in der Karriere dieser interessanten Künstlerin.
Aus dem Schatten ins Licht
„Moustache gracias“ der Luxemburger Künstlerin Jeannine Unsen im Centre d’art Nei Liicht ist mehr als die künstlerische Umsetzung eines selten besprochenen Themas: die „périménopause“. Die Kunst-Historikerin Fanny Weinquin sagt dazu: „Elle [Unsen] donne corps et voix à un moment charnière de la vie des femmes rarement mis en images: la périménopause.“ Diese Phase könne lange vor den Wechseljahren physische und mentale Symptome hervorrufen und das Leben der Frau stark beeinträchtigen, heißt es weiter. Davon ausgehend hat Jeannine Unsen ihre Ausstellung zu diesem Thema in fünf Etappen samt Zusatz unterteilt, wobei sowohl Schmerzen als auch andere Empfindungen der Frau plastisch dargestellt werden.
Eingangs der Expo thronen eine imposante Silhouette und der Schriftsatz: „En l’absence d’amour et d’appartenance, il y a toujours souffrance“, auf der Galerie-Wand. Der Ton ist gegeben. Die Künstlerin hat sich ausführlich in diese Thematik eingearbeitet, zahlreiche Fachliteratur studiert, so dass eine Auswahl an Büchern dem Besucher die Dimension und Wichtigkeit der angesprochenen Fragen nicht nur für die betroffenen Frauen, sondern für die ganze Gesellschaft ersichtlich werden. In einem Faltblatt kommen diesbezüglich noch einige Frauen kommentierend zur entsprechenden Literatur ihrer Wahl zu Wort. Am 27. September sowie am 11. Oktober sind Begleitevents (Führungen) zu Aspekten dieser Thematik geplant.
Passende Raumgestaltung
„Moustache gracias“ gliedert sich in folgende Etappen: „Verrat“ (Foto mit einem zwischen Hemmnis und Befreiung schwankenden/tanzenden Körper), „Verlassen“ (Verdunklung im Raum wie in einer Grotte), „Aufdeckung“ (zahlreiche Teller mit zentralem Bildmotiv an der Wand), „Gegenwart“ (Broderien mit vielen Fragen zur Liebe), „Auftauchen“ (Video mit 12 tanzenden Frauen) und schließlich, im sechsten Raum, „Wiedereroberung“ (Schrifttafeln, ein feierliches Kleid, ein beeindruckendes Bild „Reclaiming the power of the goddess“). Bei der Gestaltung dieser Räume haben zig Personen in dieser oder jener Funktion mitgewirkt. Die Basis-Ideen und die Konzeption des Ganzen stammen jedoch von Jeannine Unsen.
Infos
„Mute“ von Darja Linder im Centre d’art Dominique Lang, bis zum 9. November 2025
„Moustache gracias“ von Jeannine Unsen im Centre d’art Nei Liicht, bis zum 9. Novmeber 2025
Beide Kunstzentren sind jeweils von mittwochs bis sonntags von 15 bis 19 Uhr geöffnet.
Der von ihr suggerierte Weg durch die Ausstellung fächert sich in diverse Phasen auf. Diese sind stets ausführlich dokumentiert; passende, die Beschreibung begleitende Totem-Tiere sind ebenfalls aufgeführt; die Räume durch passende Wandeinfärbungen abgestimmt und mit ausgefallenen Stoffen ins korrekte Ambiente getaucht oder ganz schlicht gehalten. Die Übergänge durch die vorhandenen Türöffnungen sind mit Stoffbahnen verhangen, auch um den Schritt in die nächste Etappe zu verdeutlichen. Die Künstlerin hat variierte Materialien zum Einsatz gebracht und ihre traditionelle Fotografie maßgeblich ergänzt. Einzelne in der Schau ausgestellte Elemente (Teller, Bilder, Textilien …) können auch erworben werden.
Schlussfolgernd verweisen wir gerne auf den zusammenfassenden Satz der Kunsthistorikerin Weinquin: „Moustache gracias n’est pas un récit figé.“ In der Tat, Jeannine Unsen zeichnet einen nachdenklichen und bewegten Nachempfindungsweg durch eine für die Betroffenen herausfordernde Lebensphase auf. Es ist an den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung, daraus persönliche oder aber gesamtgesellschaftliche Lehren zu ziehen.
De Maart
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