Da sitzt er, „unser Junge“. Aus den USA nach Russland zurückgekehrt, sich als Freiwilliger für die Front in der Ukraine gemeldet, klare Vorstellungen davon, wie seine Angebetete zu sein hat: „eine Patriotin mit traditionellen Werten, bloß keine Feministin, keine Liberale“, sagt der Mann, blauer Anzug, erstarrtes Lächeln, im hell erleuchteten Fernsehstudio. Sergej, 43, wird am Ende mit Alina – „mit mir wirst du es lustig haben“ – von dannen ziehen, das Publikum dem „Prachtkerl“ und seiner „langbeinigen Blondine“ applaudieren. „Und vergesst nicht, den Domostroj“ zu lesen, wird ihnen die Moderatorin der Show, eine gealterte sowjetische Film-Diva, zurufen. Der Domostroj ist ein Gesetzeskodex aus der Zeit Iwan des Schrecklichen, der Prügelstrafen für die Ehefrau empfiehlt und vor allem in russischen Kirchenkreisen bis heute als vorbildlich gilt.
Die Unterhaltungsshow „Lass uns heiraten!“ läuft seit Jahren wochentags im russischen Staats-TV. Seit Jahren lässt sich dabei ablesen, wie die Geschlechterrollen im Land immer noch gesehen werden: die Frau als Heimchen am Herd, das ihre „natürliche Aufgabe“ der Kinderaufzucht erfüllt, der Mann als Versorger, der bitte stets eine saubere Wohnung und den Borschtsch auf dem Essenstisch vorfinden soll. Seit einiger Zeit sitzen immer mehr „SWO-Teilnehmer“, wie Russland seine Kämpfer im Feldzug gegen die Ukraine bezeichnet, im Studio und zeigen, welche Geschlechterrollen der Staat für sein Volk vorsieht: Frau als Mutter, Mann als Soldat. Dafür kommen immer mehr staatliche Maßnahmen zum Tragen, zumal das Land sich am „Rande zur Demografie-Grube“ sieht.
Russland schrumpft. Nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine. Eine ähnlich niedrige Geburtenrate wie in westeuropäischen Ländern trifft hier auf eine viel geringere Lebenserwartung. Mittlerweile wird die „demografische Senke“ in den geburtenschwachen 1990er Jahren deutlich, die durch den Krieg noch verschärft wird. Denn die ohnehin wenigen 25- bis 30-Jährigen, die Kinder bekommen könnten, sind entweder im Krieg, ausgewandert oder haben schlicht keine Lust aufs Kinderkriegen, weil ihnen die Zukunft als viel zu ungewiss erscheint und die finanzielle Lage als unsicher.
„Demografische Spezialoperation“
„Die Jungen haben viel zu sehr das schöne, freie Leben gerochen und wollen sich selbst verwirklichen“, sagen da gleich mehrere Abgeordnete, allesamt Frauen. Das will der Staat ändern. Nina Ostanina, die 68-jährige Vorsitzende des Familienschutz-Ausschusses in der Staatsduma, fordert eine „demografische Spezialoperation“, nach der jede zweite Familie in Russland eine kinderreiche Familie mit vier bis fünf Kindern werden soll. Ihre Kollegin Tatjana Buzkaja sagt: „Wir müssen die jungen Frauen dazu zwingen zu gebären.“ Dabei sollen Arbeitgeber in die Pflicht genommen werden und einen „Koeffizienten der Geburtenrate von Angestellten“ zusammenstellen.
Wir müssen die jungen Frauen dazu zwingen zu gebären
Das erinnert stark an die Menstruationspolizei zu Zeiten des Diktators Nicolae Ceausescu in Rumänien, als Frauen am Arbeitsplatz gynäkologisch untersucht wurden. Das beste Alter zum Kinderkriegen, so findet Buzkaja, seien 18, 19 Jahre, quasi direkt nach Schulabschluss. Erst so könnten die Frauen im Lauf ihres Lebens mehr Kinder bekommen. „Sieben, acht oder gar mehr“, wie auch Russlands Präsident Wladimir Putin immer wieder gern sagt. Das seien „ausgezeichnete Traditionen unserer Großmütter und Großväter“.
Neues Schulfach: „Familienführung“
Die Biologie-Professorin Maria Wedunowa aus Nischni Nowgorod sieht ein ganz klares Übel: „Die Menschheit hat einen großen Fehler gemacht, indem sie die Ausbildung von Frauen zuließ. Wenn Frauen Karriere machen, wer soll denn Kinder auf die Welt bringen?“, fragte sie in einem Interview vor einem Jahr und sah sich, vor allem in den sozialen Netzwerken, einem Shitstorm ausgesetzt. Doch auch Senatorinnen, Abgeordnete oder auch Menschen auf der Straße finden nicht selten, dass „die Mädchen zu viel Freiheit“ hätten und die „Hochschulbildung zu nichts“ führe. Die Funktion junger Frauen, so sagt es auch Margarita Pawlowa, Senatorin aus Tscheljabinsk, liege im „Kinderkriegen, nicht in der Ausbildung“. Putin will „Kinderreichtum“ zum „neuen Lebensstil“ machen, wie er bereits im vergangenen Jahr sagte, bevor er das Jahr 2024 zum „Jahr der Familie“ erklärte. Abtreibungen sollen in staatlichen Kliniken nach und nach untersagt werden.
Die Menschheit hat einen großen Fehler gemacht, indem sie die Ausbildung von Frauen zuließ
Frauen in Russland wird immer mehr die Rolle als Gebärmaschine aufgebürdet. Die Kirche mahnt sie zur Mutterschaft, das Fernsehen zeigt sie als Anhängsel des Ehemanns, der Staat will mit ihnen das demografische Problem lösen. Schon in den Schulen lernen Jugendliche im neuen Fach „Familienführung“, dass eine kinderreiche Familie Pflicht sei. Der Erzpriester Andrej Tkatschow erzählt bei seinen Predigten, dass eine Frau, die ihre Brust nicht zum Stillen benutze, gar nicht erst hätte geboren werden dürfen. Die Staatsduma hat eine „russlandfremde Childfree-Bewegung“ ausgemacht und will jeden, der die „Kinderlosigkeit propagiert“, mit hohen Bußgeldern bestrafen. Vor einer Scheidung sollen die Noch-Eheleute verpflichtend von Psychologen beraten werden. Und selbst Ein-Zimmer-Wohnungen stören. Würden sie verboten, so meint der Senator Anatoli Schirokow, entstünde sofort eine „demografische Revolution“. Kaum einer, der derzeit laut nach Kinderreichtum schreit, hat selbst – offiziell – mehr als zwei Kinder.
De Maart
Der Planet ist mit über acht Milliarden Homo Sapiens jetzt schon über Bevölkert!.....🧐🤔😱🫢🤫