Donnerstag11. Dezember 2025

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InterviewMonika Hauser: „Es gibt keinen Krieg, in dem sexualisierte Gewalt kein Thema ist“

Interview / Monika Hauser: „Es gibt keinen Krieg, in dem sexualisierte Gewalt kein Thema ist“
Gründete 1993 die Frauenrechtsorganisation „medica mondiale“: Monika Hauser Foto: Bettina Flitner

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In den Neunzigern half sie Betroffenen sexualisierter Kriegsgewalt in Bosnien, sie ist die Gründerin der internationalen Frauenrechtsorganisation „medica mondiale“: Die Gynäkologin Monika Hauser ist in Luxemburg zu Gast und spricht mit dem Tageblatt über ihren weltweiten Kampf gegen sexualisierte Gewalt.

Tageblatt: Monika Hauser, was für eine Rolle spielt sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten?

Monika Hauser: Es gibt keinen Krieg, in dem sexualisierte Gewalt kein Thema ist. Sie umfasst nicht nur Vergewaltigungen, sondern auch unerwünschtes Anfassen, Zwangsprostitution und Zwangsschwangerschaft, ungewollte Entblößungen und oft auch die anschließende Tötung. Am häufigsten betroffen sind Frauen und Mädchen, aber auch queere Menschen, nicht-binäre und trans Personen sowie Jungen und Männer. Sexualisierte Gewalt kann als Kriegswaffe funktionalisiert und auch für politische sowie militärische Zwecke instrumentalisiert werden. Das beobachteten wir in Ruanda, wo sie die Vertreibung ethnischer Gruppen zum Ziel hatte.

Gilt das auch für aktuelle Konflikte?

Wir wissen von den Übergriffen durch russische Soldaten in der Ukraine, in Butscha. Der russische Präsident Putin hat die Täter von Butscha öffentlich für ihren Einsatz im Allgemeinen geehrt und damit ein klares Signal gesendet: Die russischen Soldaten können bedenkenlos tun, was sie wollen, auch sexualisierte Gewalt verüben. Ein weiteres Beispiel ist die extreme sexualisierte Gewalt durch die Hamas und andere bewaffnete Gruppierungen im Zuge des 7. Oktober in Israel. In den meisten Fällen braucht es nicht mal eine konkrete Anordnung. Das erschwert auch die Strafverfolgung, denn eine völkerrechtliche Verurteilung der militärischen Führung und somit der Hauptverantwortlichen ist durch den Internationalen Strafgerichtshof nur durch eine nachweisbare Befehlskette möglich.

Sexualisierte Gewalt kann als Kriegswaffe funktionalisiert und auch für politische sowie militärische Zwecke instrumentalisiert werden

Monika Hauser, Gründerin „medica monidale“

Bestehen Unterschiede zu vorangehenden Kriegen?

Die Kriegsführung mag sich in den vergangenen 30 Jahren verändert haben, nicht aber die Formen und Ursachen sexualisierter Gewalt. Wir sprechen deshalb von einem Kontinuum der Gewalt, denn sie existiert vor, während und nach dem Konflikt. Und es gibt sie auf allen Seiten, weltweit und unabhängig der Region oder Herkunft der Täter. Auch unter Soldaten der NATO oder UN, die als Friedensmission in Konfliktgebieten arbeiten.

Sie spielen unter anderem auf den Skandal im Kongo an.

Damals ging ein Aufschrei durch die Welt: 2004 deckte ein Bericht den sexuellen Missbrauch durch Soldaten und Mitarbeiter der UN auf – ihnen wurde Vergewaltigung, Zwangsprostitution und Kindesmissbrauch vorgeworfen. Der Generalsekretär Kofi Annan verhängte sofort eine „zero tolerance“-Richtlinie. Diese ist jedoch nur wirksam, wenn sie eingehalten und umgesetzt wird – und das passiert nicht. Ähnliches beobachten wir bei der Istanbul-Konvention gegen sexualisierte Gewalt. Noch immer mangelt es am politischen Willen zur Umsetzung und an den notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen. Es braucht ein strenges Monitoring dieser Regularien und Aufklärungsarbeit. Außerdem müssen Frauen vor Ort über internationale Autoritäten und über ihre Rechte aufgeklärt werden, damit sie wissen, dass es eine Anlaufstelle gibt und sie Anklage erheben können.

Eine Mitarbeiterin von „medica mondiale Afghanistan“ bei einem Workshop an einer Universität
Eine Mitarbeiterin von „medica mondiale Afghanistan“ bei einem Workshop an einer Universität Foto: Zahra Khodadadi

Was bekämpft sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe?

Die Verhinderung von Kriegen und die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, auch im Frieden! Die internationale Politik der vergangenen Jahre trägt eine große Mitverantwortung für die Konflikte, die wir jetzt erleben. Es muss ein Bewusstsein für die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen entstehen, um wirksame Maßnahmen zu erarbeiten. Es braucht das, was wir als „medica mondiale“ seit Jahrzehnten fordern: die Inklusion von Frauen bei Friedensverhandlungen und der Ausarbeitung von Sicherheitsstrategien. Nur so wird ihre Perspektive berücksichtigt. Das Verfolgen einer feministischen Außenpolitik bedeutet auch, in die Unterstützung von Frauenrechtlerinnen vor Ort zu investieren; mit lokalen Hilfsorganisationen zusammenzuarbeiten und genderspezifische Daten in allen politischen Segmenten zu erheben.

Es muss ein Bewusstsein für die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen entstehen, um wirksame Maßnahmen zu erarbeiten. Es braucht das, was wir als „medica mondiale“ seit Jahrzehnten fordern: die Inklusion von Frauen bei Friedensverhandlungen und der Ausarbeitung von Sicherheitsstrategien.

Monika Hauser, Gründerin „medica mondiale“

Wie empfinden Sie den Umgang mit Kriegsflüchtlingen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind?

Es besteht hierzu eine EU-Richtlinie, nach der die Mitgliedstaaten die Traumata von Kriegsflüchtlingen feststellen, anerkennen und ihnen einen Schutzstatus gewähren müssen. Nur sind die Behörden oft unqualifiziert und verkennen die Situation der Betroffenen. In Deutschland sind den Beratungsstellen viele Fälle bekannt, in denen Frauen mit Migrationshintergrund, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, unzumutbaren Anhörungsbedingungen ausgesetzt sind: Es steht nur ein männlicher Dolmetscher zur Verfügung, schlimmstenfalls aus der sogenannten „Feindes-Ethnie“; die Beamten sind größtenteils Männer. In dem Umfeld zögern die Frauen, offen über ihre Erfahrungen sexualisierter Gewalt zu sprechen oder können sie nicht lückenlos rekonstruieren. Ungeschulte Autoritäten interpretieren das als Unglaubwürdigkeit. Die Frauen werden durch das Fehlverhalten des medizinischen, juristischen und pflegenden Personals re-traumatisiert.

Eindrücke einer Demo in Köln für Frauenrechte 
Eindrücke einer Demo in Köln für Frauenrechte  Foto: Sophie Dettmar

Was sollte stattdessen passieren?

Die aufgezählten Berufsgruppen müssen im Umgang mit Betroffenen geschult werden. Es darf keinesfalls passieren, dass den Frauen misstraut und sie dadurch erneut verletzt werden. Wir müssen die Betroffenen stärken, ihnen Stabilität und Sicherheit vermitteln. Nur so finden sie zurück ins Leben und vererben ihre Traumata nicht.

Das geschieht selbst in Friedensregionen, in denen Frauenrechte verteidigt werden, nicht.

Wir sollten nicht mit dem Finger auf Afghanistan oder den Irak zeigen und uns über andere Länder erheben: Wir müssen unsere eigene Gesellschaft kritisch analysieren. In Deutschland wird fast jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Expartner ermordet. Westeuropäische Länder können sich noch so hochentwickelt und progressiv geben: Wir stehen nach wie vor erst am Anfang der Dekonstruktion patriarchaler Gesellschaftsmodelle und der Machtungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Aus dem Grund ist frauenspezifische Gewalt weiterhin allgegenwärtig.

Fehlt es an politischem Willen?

In Deutschland gibt es viel zu wenig Plätze in Frauenhäusern – aber unter den Betroffenen befinden sich nicht nur Migrantinnen, um mit diesem Vorurteil zu brechen! – und den Beratungsstellen fehlen Ressourcen. Die Verurteilungsrate der Täter liegt in Deutschland bei nur knapp acht bis zehn Prozent, trotz guter Gesetzgebungen – und das sind nur die angeklagten Fälle. Die zuständigen Autoritäten haben patriarchale Denkmuster internalisiert: Sie glauben dem Täter, statt der betroffenen Frau. Keine Regierung, weltweit, ist diese Probleme bisher ausreichend angegangen. Das ist eine Schande, auch für Deutschland.

Westeuropäische Länder können sich noch so hochentwickelt und progressiv geben: Wir stehen nach wie vor erst am Anfang der Dekonstruktion patriarchaler Gesellschaftsmodelle und der Machtungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Aus dem Grund ist frauenspezifische Gewalt weiterhin allgegenwärtig.

Monika Hauser, Gründerin „medica mondiale“

Im Gegensatz zu Luxemburg vertritt Deutschland offiziell weiterhin eine feministische Außenpolitik, doch gelingt die Umsetzung?

Eine glaubwürdige feministische Außenpolitik funktioniert nur, wenn wir eine ebensolche Innenpolitik verfolgen. Die Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, hat das Konzept feministischer Außenpolitik von Anfang an nach vorne getragen. Dafür wurde sie im Parlament belächelt. Wir befürworten die feministische Außenpolitik, sind aber nicht zufrieden mit ihrer Umsetzung, doch man muss bedenken: Baerbock trat ihr Amt in einer Ausnahmesituation an. Kurz danach kam es zum Angriff auf die Ukraine, es folgte die Situation in Israel und Gaza. Würde Deutschland schon länger eine feministische Außenpolitik verfolgen, hätten sich manche außenpolitischen Beziehungen auf Basis einer genderanalytischen Bewertung vielleicht anders entwickelt.

Ist jetzt der Moment für feministische Außenpolitik, zu deren Kernforderung die Entmilitarisierung gehört?

In der aktuellen Situation ist es schwer, diese Politik zu verfolgen. Auf lange Sicht ist sie jedoch die einzige, für die wir kämpfen sollten – schon allein aus Solidarität mit den Frauen weltweit.

Weiterkämpfen für die Frauen – das tun Sie mit „medica mondiale“. Was hat Sie in dem Rahmen bisher besonders geprägt?

Vor Jahren traf ich bei einer Konferenz in Sarajewo auf eine ehemalige Klientin, die ich 1993 in Bosnien kennenlernte: Sie war damals sehr jung und schwanger durch eine Vergewaltigung. Ich erinnere mich, dass sie über einen Schwangerschaftsabbruch nachdachte, sich am Ende aber für das Kind entschied. Wir unterstützten sie über die Jahre hinweg. Heute ist diese Tochter Psychologin geworden und hat die NGO Forgotten Children of War mitgegründet: eine der ersten Hilfsorganisationen weltweit, die sich an junge Menschen richtet, die im Kriegskontext geboren wurden nach einer Vergewaltigung. Damit schließt sich für mich ein Kreis: Mutter und Tochter kämpfen jetzt gemeinsam gegen die Stigmatisierung von Betroffenen sexualisierter Gewalt.

Monika Hauser ist heute Abend, 6. November, von 19 bis 21 Uhr in der Abtei Neimënster zu Gast und spricht auf Einladung des CID Fraen an Gender über „Armed Conflict and Gender“. Eine Anmeldung via Mail an [email protected] ist erforderlich. Mehr Infos unter: cid-fg.lu.

Über „medica mondiale“

„medica mondiale“ ist eine feministische Frauenrechtsorganisation. Seit über 30 Jahren setzt sie sich gegen sexualisierte Kriegsgewalt ein und gegen Machtverhältnisse, die Frauen unterdrücken. Gemeinsam mit Partnerorganisationen in Afghanistan, Bosnien und Herzegowina, Liberia, der Demokratischen Republik Kongo und anderen Ländern unterstützt sie Überlebende sexualisierter Gewalt, stellt sich gegen diskriminierende Machtverhältnisse und stärkt Frauenrechtsaktivist:innen. „Für eine gerechtere Welt. Für alle“, wie es vonseiten der Organisation heißt. (Quelle: medica mondiale)

Über Monika Hauser

„Die Medien berichteten ausgiebig über die massenweisen Vergewaltigungen auf dem Balkan. Von Hilfe für die traumatisierten Frauen aber war nirgends die Rede“, wird die Gynäkologin Monika Hauser auf der Website von „medica mondiale“ zitiert. „Ich habe mir gesagt: Ich kann jetzt nicht weiter auf dem Sofa sitzen und diese Berichte lesen.“ Stattdessen brach Hauser 1992 mitten im Jugoslawienkonflikt nach Bosnien auf und schaffte einen Betreuungsort für traumatisierte Frauen und Kinder. Im Folgejahr entstand daraus die internationale Frauenrechtsorganisation „medica mondiale“. Für dieses Engagement wurde sie beispielsweise 2008 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.