KinoMit Witz, Charme und Genre: Die „Acide“ und „Kommunioun“ unter der Lupe

Kino / Mit Witz, Charme und Genre: Die „Acide“ und „Kommunioun“ unter der Lupe
Einmal von der Symbolik abgesehen, die Philippot auch nicht sonderlich interessiert, versucht sich „Acide“ im Spektakel Foto: Bonne pioche cinéma, Pathé films, France 3 cinéma, Canéo filma – 2023

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Die neue Kinowoche präsentiert das französischsprachige Autorenkino von seiner verspieltesten und besten Seite. Gleichzeitig haben sich Genre-Entwürfe unter die Neuerscheinungen gemischt. Eine dieser Produktionen ist sogar in Luxemburg entstanden.

(Viel) Smoke on the Water (um nichts)

„Acide“ von Just Philippot, mit u.a. Guillaume Canet, Laetitia Dosch und Marie Jung. Zu sehen im Kinepolis Kirchberg.

Wie oft wurde das Ende der Welt schon vorhergesagt? Aber weder Nostradamus noch die Mayas konnten mit ihren apokalyptischen Prophezeiungen Punkte sammeln. Im Kino wird nicht verhandelt, wann der Weltuntergang bevorsteht, sondern wie er vonstattengeht. Der französische Filmemacher Just Philippot reiht sich mit seiner zweiten abendfüllenden Regiearbeit „Acide“ in eine Tradition ein, die eigentlich aus den Vereinigten Staaten herrührt.

Ehe den Franzosen jedoch der Himmel auf den Kopf zu fallen riskiert, wird das Publikum durcheinandergebracht. „Acide“ öffnet mit Demonstranten, die sich ihren Weg in die Büros einer Fabrik erkämpfen. Unter ihnen der französische Jedermann Guillaume Canet, der etwas übereifrig und handgreiflich zur Sache geht. Mit dem Anmarsch des CRS eskaliert die Situation jedoch vollends. Mit elektronischer Fußfessel an der Ferse kommt Canet noch einmal glimpflich davon. Einerseits kann er seiner Freundin zur Seite stehen – ihr Unfall, der sie schwer verletzt hinterließ, war der Katalysator der Unruhen –, andererseits ist er der Vater einer pubertierenden Tochter. Während er versucht, sein Leben nicht komplett aus den Fugen geraten zu lassen, kommen aus Übersee katastrophale Neuigkeiten. Vom Himmel fällt ätzender Säureregen, der, wenn einmal unten angekommen, alles dem Boden gleichmacht. Es beginnt ein Kampf ums Überleben. Auch für Canet und seine Familie.

Große Teile der französischen Kritik erhoben 2021 ihre Stimme, als „Titane“ von Julia Ducournau die Palme d’or überreicht wurde. Dieser Preis würde einen Trend von mittelmäßigen bis schlechten Genrefilmen nach sich ziehen, hieß es. Aber es ist jetzt diese gleiche Kritik, die „Acide“ von Just Philippot in den Himmel lobt. In seinem Debüt „La Nuée“ widmete sich eine alleinerziehende Mutter der Insektenzucht – mit fatalen Folgen: Die Viecher interessierten sich nämlich für Menschenblut. Zwei Jahre später ist die Message von „Acide“ ähnlich. Wer sich der Natur zu ermächtigen versucht, bekommt auch irgendwann die Quittung dafür. Philippot versucht diese Beobachtung noch zu erweitern: So wie der Mensch die Natur, beutet der Kapitalismus den Menschen aus. Der daraus resultierende saure Regen scheint wie das moderne Pendant einer biblischen Säuberung. Einmal von der Symbolik abgesehen, die Philippot auch nicht sonderlich interessiert, versucht sich „Acide“ im Spektakel. Ein Spektakel, das vor allem aus angsterfüllenden großen Wolkenmassen besteht und Raucheffekten, die aus dem von Säure durchnässten Boden emporsteigen.

Von den digitalen Zerstörungswuchten eines Roland Emmerichs sind wir hier allerdings sehr weit entfernt. Philippot und Emmerich verbindet aber, dass der familiäre Zusammenhalt im Zentrum ihrer Geschichten steht. Diese Familien sind anfangs immer fragmentiert und müssen im Hinblick auf eine sich anbahnende globale Katastrophe zueinanderfinden. Der Großteil der Dialoge und die Situationen sind dabei lächerlich – bei Emmerich wie auch jetzt bei Philippot –, alles wird angerissen und nicht weitergedacht.

Auch einer Marie Jung gelingt es nicht, den Karren aus dem sauren Dreck zu ziehen. Ihre Rolle als Mutter eines kranken Kindes, die die Hauptprotagonisten mit nur wenig Überzeugung bei sich zu Hause aufnimmt, hatte Spielberg mit Tim Robbins in „War of the Worlds“ (vor 18 Jahren!) als paranoides Motiv der USA nach 9/11 dekliniert. In „Acide“ ist es ein großes Nichts. Ein paar coole Einstellungen machen noch lange keinen coolen Film. In Emmerichs Filmen wurde immerhin ganz New York geflutet und das Weiße Haus von Außerirdischen dem Boden gleichgemacht. Das war wenigstens in den 90ern cool.

An American Werewolf op der Musel

„Kommunioun“ von Jacques Molitor; mit u.a. Louise Manteau, Victor Dieu, Marja-Leena Junker und Marco Lorenzini. Zu sehen im Ciné Utopia und den Regionalkinos von Cinextdoor. 

Jacques Molitor ist im Genrekino zu Hause wie niemand sonst in Luxemburg. Im direkten Vergleich mit Just Philippots Film helfen Genreelemente Molitor dabei, etwas über seine porträtierten Menschen zu erzählen.

Nachdem ihr Sohn in der Schule wiederholt aggressiv aufgefallen ist und kurzzeitig suspendiert wird, packt Mutter Elaine ihn ins Auto und fährt mit ihm von Belgien nach Luxemburg. Zur Familie des mysteriös abwesenden Vater. Dort angekommen, werden die beiden mit den Bräuchen und Traditionen der Miseler Familie konfrontiert. Es kommt aber zum gegenseitigen Kennenlernen. Und Elaine wird dabei eine ganz neue Seite ihres Sohnes entdecken. Die Pubertät ist wahrlich keine einfache Zeit. Für niemanden. In diesem Fall ist es eine Pubertät mit Biss.

Wie bei „Mammejong“ beschäftigt sich Molitor auch hier mit der Mutter/Kind-Dynamik, zeichnet eine Coming-of-Age-Geschichte eines Pubertierenden, der sich auf allen Ebenen verwandelt, und macht dann noch ein gewagtes Porträt von Luxemburg und seinen Bewohnern. Molitor vertritt die These, dass Nationalidentität eine Sackgasse ist, aus der kein Ausweg zu sein scheint und aus der einige Menschen gar nicht herauszukommen gedenken. Das zu wollen, ist ein transgressiver Akt, für den man sich inneren Impulsen hergeben muss, die jedoch eigentlich zu unterdrücken sind. Integration in dieses Gesellschaftskonstrukt kann nur auf Kosten anderer passieren. Eine ernüchternde Einsicht.