Donnerstag25. Dezember 2025

Demaart De Maart

SerieMit „American Primeval“ liefert Netflix einen gewaltigen Anti-Western

Serie / Mit „American Primeval“ liefert Netflix einen gewaltigen Anti-Western
Bricht mit dem amerikanischen Heldenmythos: Szenenbild aus der Serie „American Primeval“ Quelle: netflix.com

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

In „American Primeval“, der neuen Western-Serie auf Netflix, kämpfen eine Frau und ihr Sohn ums Überleben in einem Land, das im Werden begriffen ist, dabei beschaut sie die Gründerzeit ebenso revisionistisch wie gewalttätig.

„American Primeval“ – der Serientitel verspricht eine Rückbesinnung auf ein Amerika im Urzustand, als eine Welt aus Archaik und Gefahr. Eine kühle Ästhetik in beständigen grau-braun Tönen bestimmt das visuelle Erscheinungsbild der Serie, dazu gibt es harsche E-Gitarrenriffs auf der Tonspur – allein die audiovisuellen Zeichen stehen da als verheißungsvolle Einladung, freilich nicht für die Figuren der Serie, sondern für das Publikum.

Im Zentrum der Erzählung von „American Primeval“ stehen Sara Rowell (Betty Gilpin) und ihr Sohn Devon (Preston Mota), die auf der Reise von Kansas nach Fort Bridger in Wyoming sind. Devons Vater soll sich erfolgreich in einem Berggebiet namens Crook Springs niedergelassen haben, der raubeinige Jim Bridger (Shea Whigham), der dem scheinbar zivilisatorischen Vorposten seinen Namen gibt, rät von dem Unterfangen ab, so weit in unerschlossenes Gebiet vorzudringen. Als Antiwestern-Serie ist „American Primeval“ darum bemüht, einen möglichst rohen und unschönen Blick auf die Gründerzeit zu werfen – die Idee der Besiedlung des amerikanischen Kontinents als heroische Geste wird hier unter sehr viel Schlamm und Blut zu Grabe getragen. Dabei dient das Mountain-Meadows-Massaker, bei dem rund hundert Menschen auf dem Weg nach Westen bei einem Angriff der einheimischen Mormonen-Miliz und ihrer Paiute-Helfer ums Leben kamen, als historische Hintergrundfolie. Die Suche nach dem Vater, die auch ein verzweifelter Blick in die ungewisse Zukunft ist, legt die Hoffnungen, Wünsche und Desillusionen von Mutter und Sohn frei, die zum emotionalen Fixpunkt werden.

Umkehr eines Klassikers

Das Filmgenre des Western ist beinahe so alt wie der Film selbst, aus der klassischen Hollywood-Ära heraus idealisierte es den Prozess der Landnahme und thematisierte das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Zivilisation, Recht und Gesetz. Der Frontier-Mythos, der die Besiedlung und Erschließung des Landes beschreibt, bildete dabei den Hintergrund für die Entwicklung eines Heldenmythos. Dieser Mythos zeichnet ein Bild von Virilität und Männlichkeit, die sich durch Taten und den Kampf um die Durchsetzung des Gesetzes in einem noch ungezähmten Land manifestieren. Da wo die Ableger-Serie zu „Yellowstone“, „1883“ (2021) bei Paramount+, aus der Feder Taylor Sheridans, in dieser Tradition den Westerner überaus romantisierend in Szene setzt oder noch „Horizon – An American Saga“ (2024) von Kevin Costner im Kino eher verklärend von einem vielfältigen Figurenensemble berichtete, das in dem Zug nach Westen seine Bestimmung sucht, da setzen der Showrunner Mark L. Smith und der Regisseur Peter Berg auf eine Revision des Mythos, auch in der zentralen Figurenkonstellation: Die Hauptfigur ist hier eine Frau, die resolut und bestimmt ihr Vorhaben umsetzen will, dabei nicht von Rachegefühlen geleitet wird. Ihr wird der schweigsame Isaac (Taylor Kitsch) zur Seite gestellt, der zum unfreiwilligen Führer wird, aber bis in sein unmittelbares Erscheinungsbild hinein mit dem glanzvollen Image des Westernhelden nicht mehr viel gemein hat.

Die beschwerliche Reise entwickelt sich zu einer Konfrontation mit Gewalt, die ihre destruktive und mitunter sinnlose Seite offenbart, eine Gewalt, die indes reflexiven Charakter hat – da ist nichts Beschönigendes, nichts Verherrlichendes. „American Primeval“ zeigt Amerika als ein Ort verschiedenster Ethnien und Kulturen – da gibt es die Mormonenmiliz, die Siedler, die Soldaten der US-Bundesregierung und die Ureinwohner, nur die Gewalt scheint ihnen letztlich das übergreifende, allseits verständliche Kommunikationsmittel. In einer Schlüsselszene, in der ein Army-Captain versucht, eine Chronik der Ereignisse festzuhalten, wird ihm die Hand durch eine Gewehrkugel abgeschossen. Die Geschichtsschreibung wird mit Schießpulver und Blut besiegelt.