Der Jubel ist zwar groß, als Friedrich Merz um 18.34 Uhr die Bühne betritt. Doch nach „Rambo Zambo“, wie der Kanzlerkandidat nach dem ersten TV-Duell neu kreiert hat und wie er die Feierlaune in der Parteizentrale an diesem Abend beschreibt, ist nicht jedem zumute. Klarer Sieger der Bundestagswahl, ja. Deutlich über 30 Prozent, wie angepeilt, nein. Im Konrad-Adenauer-Haus sieht man also nicht nur freudestrahlende Gesichter unter den 1.000 Gästen der großen Wahlparty.
Auch die Präsidien und die Vorständler, die um Merz herumstehen, lächeln zwar, aber beste Stimmung sieht anders aus. Der Kanzlerkandidat ruft also: „Wir haben die Bundestagswahl 2025 gewonnen.“ Er wisse um die Dimension der Aufgabe, die nun vor ihm liege. „Ich begegne dem mit größtem Respekt. Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird“, betont Merz. Man habe einen harten Wahlkampf geführt, „aber jetzt werden wir miteinander reden, um so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung in Deutschland zu schaffen, mit einer guten parlamentarischen Mehrheit.“ Das klingt versöhnlich, weil es halt schwierig zu realisieren sein wird.
Historische Niederlage für die SPD
Die SPD-Spitze zeigt sich am Abend erschüttert, Scholz stellt sich eine knappe Stunde nach den ersten Zahlen auf die Bühne. Rund 16 Prozent. Es ist das schlechteste Ergebnis für die SPD bei einer Bundestagswahl überhaupt. Scholz versucht, die Wucht der Enttäuschung auf sich zu ziehen – um von anderem Spitzenpersonal wegzuleiten. Er spricht von einem „bitteren Wahlergebnis“ für die SPD. Die Sozialdemokraten hätten die Wahl klar verloren. Es sei jetzt aber wichtig für die SPD, „gemeinsam nach vorne“ zu gehen. Scholz macht klar, er trage für das Ergebnis Verantwortung. Scholz dankt für das Vertrauen, der neunte Regierungschef in Deutschland gewesen zu sein. Zugleich macht er klar, er werde das Amt bis zum letzten Tag ausführen.

Nach Scholz ergreift Co-Parteichefin Saskia Esken das Wort. Sie spricht auch von einem bitteren Ergebnis, von Rücktritt aber nicht. Erst als nach ihr Co-Parteichef Lars Klingbeil das Mikrofon in die Hand nimmt, spricht er von einer Zäsur. Es brauche Umbrüche in der Partei. Und dann zählt er sie auf: organisatorische, programmatische und auch personelle Umbrüche. Konkret wird er nicht, sagt aber, dass man einen Generationenwechsel in der SPD einleiten werde. „Dafür stehen wir geschlossen“, so Klingbeil. Dass es nach dieser krachenden Niederlage in der SPD nun sehr schnell zu personellen Veränderungen kommen wird, zeichnet sich also vorerst nicht ab. Am späteren Abend will das Präsidium in der Parteizentrale beraten. Am Montag folgen weitere Gremiensitzungen, am Dienstag tritt dann erstmals die neue Fraktion zusammen, am Mittwoch wählt sie ihren neuen Vorsitzenden.
Bei den FDP-Anhängern im Berliner Hans-Dietrich-Genscher-Haus brandet für einen kurzen Moment Jubel auf unter den FDP-Anhängern, als das ZDF um 18.22 Uhr seine erste Hochrechnung präsentiert: Hier schafft die FDP knapp die Fünf-Prozent-Hürde. In der ersten ARD-Hochrechnung dagegen liegt sie knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde. Darauf reagiert die Menge mit Schweigen. Der Wahlabend der FDP gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt. „Es bleibt spannend“, sagt FDP-Mitglied Lutz Kuschel.
Parteichef Christian Lindner zeigt sich erst kurz vor 19.30 Uhr, die Anhänger begrüßen ihn mit rhythmischem Klatschen. „Im letzten Herbst sind wir (mit dem Ausstieg aus der Ampelkoalition, d. Red.) in das volle politische Risiko gegangen für unser Land. Wir zahlen einen hohen Preis dafür, für Deutschland aber war diese Entscheidung richtig“, sagt Lindner unter dem Jubel seiner Parteifreunde. „Wir haben es nicht vermocht zu zeigen, welche Erfolge wir in der Ampel erreichen konnten. Es ist heute eine Niederlage für die Freien Demokraten. Dennoch bin ich überzeugt, es ist keine Niederlage für den politischen Liberalismus“, ruft er. „Am heutigen Abend werden wir noch starke Nerven beweisen müssen. Die Freien Demokraten sind nicht endgültig besiegt, weil der politische Liberalismus zu dieser Republik gehört.“ In der so genannten Elefantenrunde der ARD kündigt Lindner wenig später an, dass er zurücktreten werde, sollte das amtliche Endergebnis anzeigen, dass die FDP unter die Fünf-Prozent-Hürde gefallen ist. „Es ist völlig klar, dass ich dann aus der Politik ausscheide. Wenn morgen meine politische Laufbahn endet, dann scheide ich mit einem Gefühl aus: Dankbarkeit“, sagt er.
Wählerwanderung von FDP zur AfD
Lindner hatte die Partei 2017 fast im Alleingang zurück ins Parlament geführt, nachdem sie 2013 bereits einmal ausgeschieden war. Möglicherweise wird die FDP in einer neuen Regierung sogar noch gebraucht: Wenn Union und SPD die FDP in einer Deutschland-Koalition mit ins Boot holen müssten, weil Schwarz-Rot allein keine Mehrheit hätte. Lindner und die FDP haben im kurzen Wahlkampf alles gegeben – und dennoch könnten sie am Ende vor einem Scherbenhaufen stehen. Der Parteichef trat allein auf mehr als 75 Wahlkampfveranstaltungen auf. Trotzdem verliert die FDP mehr als eine Million Stimmen an die Union und 750.000 an die AfD.

Die Grünen haben sich für ihren Wahlabend einen hippen Partyort in Berlin ausgesucht, den Festsaal Kreuzberg. Es herrscht durchaus Partystimmung bei der Bündnispartei, doch sie ist nicht ungetrübt. Die Grünen landen nach den ersten Hochrechnungen leicht unter ihrem Wahlergebnis von 2021, verlieren allerdings deutlich weniger als die anderen Ex-Ampel-Parteien SPD und FDP. Kanzlerkandidat Robert Habeck spricht am Abend von einem „achtbaren Ergebnis“ für seine Partei –„mehr nicht“, fügt er in der sogenannten Elefantenrunde in ARD und ZDF noch hinzu. Beim Wahlabend seiner Partei sagt er zuvor auch, er sei „stolz“ darauf, „was wir geschafft haben, dass wir uns rausgekämpft haben aus dem Loch, aus dem Umfragetief“. Aber man müsse auch sagen, „dass alle von mehr geträumt haben“. Habeck gratuliert dem Unionskanzlerkandidaten. „Der Regierungsauftrag ist bei Friedrich Merz und bei der Union.“
Die alles entscheidende Frage für die Grünen nach dieser Wahl ist, ob sie weiterregieren oder sich mit der Oppositionsrolle abfinden müssen. Für Habeck wie für andere Spitzengrüne ist völlig klar, dass sie wieder regieren wollen. „Wir sind eine Kraft, die auch für Regierungsverantwortung steht“, sagt Grünen-Chefin Franziska Brantner im ZDF kurz nach 18 Uhr am Sonntagabend. Das Credo des Kanzlerkandidaten geht so: Wer politische Veränderung erreichen will, muss die Verantwortung suchen. Nur mit den Grünen in der Regierung werde es eine zukunftsgerichtete, progressive Politik geben, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Einsatz für Europa, warb Habeck im Wahlkampf.
Verbales Abrüsten nach dem Wahlkampf
Mit dem offen zur Schau getragenen Regierungswillen will Habeck sich nicht zuletzt von der Linken abgrenzen, die im Wahlkampf klargemacht hatte, keine Regierungsbeteiligung anzustreben. Für die Grünen ist der Aufschwung der schon totgesagten Linken ein Problem, denn beide Parteien sprechen Wähler in einem linken urbanen Milieu an. Habeck sieht die Abstimmung der Union im Bundestag gemeinsam mit der AfD mit dem Ziel, massive Verschärfungen in der Migrationspolitik zu erreichen, als ausschlaggebenden Punkt für den Zuwachs der Linkspartei. Anders als die Linke hätten die Grünen eine Koalition mit der Union aber nicht ausschließen können. „Dieser Weg ist mir verbaut“, sagt Habeck in der Elefantenrunde. „Ich will, dass wir die Veränderung in Verantwortung umsetzen und stehen.“ Doch die Partei hat noch ein anderes, deutlich größeres Problem: Friedrich Merz. Nach dem Attentat von Aschaffenburg hatte Merz massive Verschärfungen in der Migrationspolitik im Bundestag zur Abstimmung gestellt und dabei die Zustimmung der AfD in Kauf genommen. Die Grünen warfen ihm daraufhin einen schweren Wort- und Tabubruch vor.

In der Berliner TV-Runde der Spitzenkandidaten am späteren Abend erneuert Friedrich Merz die Absage an eine Koalition mit der AfD. Er betont zugleich: „Ich werde mich darum bemühen, eine Bundesregierung zu bilden, die die ganze deutsche Bevölkerung repräsentiert“ – und die die Probleme löse. „In jedem Fall wird die Regierungsbildung schwierig.“ Aber es müsse jetzt zügig gehen. „Ich bleibe bei meiner persönlichen Hoffnung, auch der Dringlichkeit der Aufgabe geschuldet, dass wir bis Ostern eine Regierung gebildet haben.“ Angesprochen darauf, ob er erneut Porzellan zerschlagen habe mit seinen letzten Äußerungen beim Wahlkampfabschluss in München, es werde keine „linke Politik“ mehr in Deutschland geben, reagiert Merz abweisend. Gegen ihn sei auch nicht mit „Wattebäuschchen“ geworfen worden, so der CDU-Mann.
CSU-Chef Markus Söder sitzt auch in der TV-Runde. Er ist extra nach Berlin gereist, um mit Merz den Wahlabend zu verbringen. Er sagt mit Blick auf das Wahlergebnis: „Man spürt die Verunsicherung der Deutschen.“ Mit Blick auf die Grünen als Koalitionspartner erklärt Söder: „Wir glauben einfach nicht, dass mit den Grünen ein Richtungswechsel zu organisieren ist.“ Söder schiebt aber auch nach: „Wenn’s irgendwie geht bleiben wir ganz klar dabei.“ Das Nein des Bayern zu den Grünen, es wird im Lichte der Zahlen weicher. „Wir sind gesprächsbereit“, sagt in der Berliner Runde der grüne Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck. Man wird sehen. Und Scholz? Er wird als Bundeskanzler weiterhin die Regierungsgeschäfte führen, bis der Bundestag einen neuen Kanzler wählt. Ins Kabinett von Merz wird er nicht eintreten. Und er verteidigt seine Kandidatur. Auf die Frage, ob die ein Fehler gewesen sei, entgegnet Scholz am Abend im Fernsehen: „Das glaube ich nicht.“ Die Partei habe dies „sehr sorgfältig erwogen“.
De Maart
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