Mittwoch5. November 2025

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EditorialMenschenverachtung in Süß: Der Ghibli-Trend und seine Folgen

Editorial / Menschenverachtung in Süß: Der Ghibli-Trend und seine Folgen
Menschenverachtende Propaganda im süßen Anime-Look: Das Weiße Haus und der Ghibli-Trend Foto: Instagram/ White House

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Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird große Kulleraugen haben, sepiatönig-nostalgische Farben und wird überhaupt sehr süß aussehen, während er die Festnahme einer weinenden Migrantin feiert. So geschehen ist das vor einigen Tagen auf dem offiziellen Instagram-Account des Weißen Hauses. Eine Frau in Handschellen, Tränen in den Augen, daneben ein grimmig-knuffig dreinschauender Beamter der Immigrationspolizeibehörde ICE mit Flecktarnkappe. Ein KI-Meme-Trend, aufgegriffen von der Kommunikationsabteilung des Weißen Hauses. Abschiebung im Anime-Look. Man feiert die Festnahme einer vermeintlichen Fentanyl-Schmugglerin mit einem KI-generierten Bild. „Sie weinte bei ihrer Festnahme (Foto angehängt)“, heißt es stolz auf Instagram. Kurz zur Erinnerung, weil man das im Irrsinn dieser Tage manchmal vergisst: Das Weiße Haus ist der Amtssitz des US-amerikanischen Präsidenten, einer der größten Machtpole der Welt, traditionell das politische Zentrum der westlichen Welt. Heute teilt man dort menschenverachtende Memes. Und verpackt totalitäre Träume und autokratische Avancen in den Wohlfühl-Look des japanischen Animationsstudios Ghibli.

Mit diesem KI-Bild hat sich das Weiße Haus in einen globalen Trend eingereiht, der auch Luxemburg erreicht hat. Auch wenn der Ghibli-Trend in unseren schnelllebigen Zeiten längst am Abflachen ist, lohnt sich ein genauer Blick, weil die Mechanismen dahinter uns noch länger beschäftigen werden. Um die zu verstehen, muss man zurück zum Ursprung. Das KI-Unternehmen OpenAI, Heimat von ChatGPT, veröffentlichte vor einigen Wochen eine neue Technologie zur Bildgenerierung, mit der man unter anderem auch Bilder erzeugen kann, die dem Stil des berühmten japanischen Animationsstudios ähneln. Eine Imitationsmaschine, trainiert mit Ghibli-Material – natürlich ohne deren Einverständnis.

Schnell wurde daraus ein globaler Trend, der bis zum Weißen Haus reichte. Zufall war dieser virale Erfolg jedoch nicht. Man hatte sich bei OpenAI ganz bewusst für die weltweit beliebte Ghibli-Ästhetik als Showcase für die neue Technologie entschieden, wie Firmenchef Sam Altman auf X verriet. Um Urheberrechte schert man sich im Silicon Valley bekanntlich wenig. Noch immer gilt dort das alte Motto der kalifornischen Ideologie: „Move fast and break things“ oder „Don’t ask for permission, ask for forgiveness later“. Dass OpenAI sich jedoch ausgerechnet bei Ghibli bedient hat für seine KI-Kopien, zeugt von der Hybris der Amerikaner. Das Studio ist seit Jahrzehnten für seine detailversessene Arbeitsweise und seine zeitintensive Handarbeit bekannt. Bei Ghibli hat man schlechte Erfahrungen mit US-amerikanischer Vereinnahmung gemacht. Hätte OpenAI gefragt, hätte man wohl eine ähnliche Antwort bekommen wie Harvey Weinstein (ja, der Weinstein) in den Neunzigern. Als der Filmproduzent damals die US-Rechte des Ghibli-Films „Prinzessin Mononoke“ für seine Firma Miramax kaufen wollte, um ihn für das US-Publikum umzuschneiden, schickte ihm Ghibli-Gründer Hayao Miyazaki ein Katana, ein Samurai-Schwert, mit einer beigelegten Nachricht: „no cuts“, keine Schnitte.

Im nur oberflächlich harmlosen Ghibli-Trend spiegeln sich also gleich mehrere Probleme wider, mit denen uns KI und ihre Macher konfrontieren. Was mit der Missachtung von juristischen Standards wie dem Urheberrecht beginnt und die Lebensgrundlage vieler Kunstschaffender zerstört, geht über in die rücksichtslosen Grenzüberschreitungen der US-Tech-Oligarchie und das Potenzial des Missbrauchs von KI für Propagandazwecke – bis am Ende menschliche Kreativität selbst in Frage steht. Hayao Miyazaki hat sich übrigens bereits 2016 in einem Interview über KI geäußert, eine Aussage, die dieser Tage wieder die Runde macht: „Ich bin sehr der Meinung, dass dies eine Beleidigung des Lebens an sich ist.“

CESHA
14. April 2025 - 14.02

Es zeugt schon von einiger Chuzpe, wenn man einen Artikel über die Verletzung von Urheberrechten einleitet mit einer Verballhornung eines Zitates, welches Ignazio Silone zugeschrieben wird: Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: «Ich bin der Faschismus» Nein, er wird sagen: «Ich bin der Antifaschismus»