28. November 2025 - 14.24 Uhr
Wenn die Bank nicht schütztMehr als 1 Million Euro Schaden: Luxemburger Betrugsopfer ziehen vor Gericht
Eine Gruppe Menschen sitzt gemeinsam am Tisch. Stimmengewirr und Gelächter erfüllen den Raum. Es ist eine bunte Mischung – unter dem Tisch tummeln sich Sneaker, Oxfords und High-Heels. Ein Kellner in der Differdinger Villa Hadir stellt Getränke auf den Tisch. Man könnte denken, dass die neun Anwesenden bei einem Vereinstreffen sind. Allerdings geht es hier nicht um Sport oder Freizeit. Die Anwesenden sind allesamt Opfer von Online-Betrügern geworden. Davor kannten sie sich nicht. Sie wollen nun ihr Geld zurück – und gemeinsam dafür sorgen, dass Luxemburgs Banken mehr Verantwortung übernehmen.
Das Tageblatt berichtete im Juli über mehrere Fälle von Online-Betrug, bei denen den Opfern Tausende Euro abgebucht wurden – angefangen mit dem von Juliana Mondot, die auf diese Weise 8.800 Euro verlor. Die Betroffenen fühlten sich von ihrer Bank im Stich gelassen – und haben sich seither zusammengetan, um gemeinsam gegen das Problem vorzugehen. Zu ihnen gehört Nina*, die an diesem Abend auch mit am Tisch sitzt und über ihren Fall spricht.
Täter hatten detaillierte Kontoinformationen
Nina* wurde während einer Urlaubsreise betrogen. Als sie sich nach einer langen Anfahrt schlafen gelegt hatte, erhielt sie einen Anruf – vermeintlich von LuxTrust. Eine automatisierte Frauenstimme warnte sie, „dass mein BIL-Konto bedroht sei und versucht werde, Geld nach Rumänien zu überweisen“, sagt Nina*. Daraufhin sei sie an einen vermeintlichen Mitarbeiter weitergeleitet worden: „Er behauptete, er könne die betrügerische Transaktion verhindern, wenn ich dringend bestimmte Schritte unternehme.“ Sie solle außerdem sofort ihre Kreditkarte sperren lassen. Besonders beängstigend: Während des Telefonats nannte der Betrüger konkrete Details zu Ninas* Konto, darunter den ungefähren Kontostand. Er wusste auch, dass sie an diesem Tag persönlich mit ihrer sonst kaum benutzten Visa-Karte bezahlt hatte, und behauptete, dass das Problem möglicherweise dort seinen Ursprung hatte.
Der Betrüger forderte Nina* auf, die URL einer Website manuell einzugeben. Diese war eine identische Kopie der LuxTrust-Homepage. „Er ließ mich absichtlich durch mehrere Seiten navigieren und ahmte dabei den üblichen Ablauf der LuxTrust-Website genau nach, anstatt mich direkt auf eine Login-Seite weiterzuleiten“, sagt Nina*. Eine derart ausgeklügelte Täuschung geht für sie über typische Phishing-Methoden hinaus. Als Nina* nach Ende des Telefonats dann doch stutzig wurde und ihren Kontostand überprüfte, war es bereits zu spät – mehr als 12.000 Euro waren abgebucht worden. Die Betrüger hatten ihr Konto vollständig geleert.
Von der BIL fühlt sie sich – wie andere Betroffene – im Stich gelassen. Sie listet in einem Brief an die Bank, der dem Tageblatt vorliegt, eine ganze Reihe an Vorwürfen auf. Dazu gehört, dass die BIL eine Überweisung von mehr als 12.000 Euro an einen ihr unbekannten Empfänger im Ausland genehmigte – ohne zu hinterfragen, dass ihr Konto durch diese für ihr Profil untypische Bewegung leergeräumt wurde. Darüber hinaus konnte sie nach dem Betrug bei der BIL niemanden erreichen. Deren Büros sind an Wochenenden nicht besetzt.
„Es gibt unterschiedliche Betrugsmaschen, aber was uns zusammenbringt ist, wie die Bank mit uns umgegangen ist.“
Mehr als 80 Menschen, deren Geschichte denen von Juliana Mondot und Nina* stark ähneln, haben sich inzwischen zu einer Arbeitsgruppe zusammengefunden. Sie wollen gemeinsam kämpfen – um ihr Geld zurückzubekommen, aber auch damit die Banken künftig nicht mehr jegliche Verantwortung von sich abzuwenden. Sie alle teilen das Gefühl, dass den Banken ihre Kunden egal sind. „Es gibt unterschiedliche Betrugsmaschen, aber was uns zusammenbringt ist, wie die Bank mit uns umgegangen ist“, sagt Nina*.
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Die Arbeitsgruppe ist effizient, teilt Aufgaben auf und schaut für ihre nächsten Schritte in alle Richtungen. Während die einen sich zum Beispiel um die Recherche nach Präzedenzfällen und vergleichbaren Verfahren im Ausland kümmern, sammeln andere Informationen innerhalb der Gruppe, um eventuelle Muster oder Auffälligkeiten aufzudecken. So geht zum Beispiel aus einer gruppeninternen Umfrage, die dem Tageblatt vorliegt, hervor, dass der Betrag von 8.800 Euro innerhalb von nicht einmal drei Monaten 22 Mal gestohlen und ins Ausland überwiesen wurde. Dass bei der Bank dabei keine Alarmglocken geläutet haben, ist für die Erstellerin der Umfrage, Claire*, unverständlich.
„Es ist immer wieder derselbe Betrag“, sagt Claire*. Es sei „nicht normal“, dass die Bank eine solche Anzahl an identischen betrügerischen Überweisungen in nur wenigen Monaten nicht gesehen habe. Sie fragt sich, warum das Institut die Auffälligkeit nicht bemerkt und den betroffenen Betrag systematisch überprüft hat. Doch nichts dergleichen sei passiert – und es steht wieder die Frage nach der Verantwortung im Raum.
Rechtsanwalt unterstützt die Gruppe
Aus der Umfrage geht ebenfalls hervor, dass bis zum Zeitpunkt des Treffens insgesamt mehr als 860.000 Euro gestohlen wurden. Dabei ist zu bedenken, dass es sich bei der Summe lediglich um das Geld der Mitglieder der Arbeitsgruppe handelt – wie hoch der wirtschaftliche Schaden in Luxemburg durch derartige Betrugsmaschen tatsächlich ist, kann an diesem Abend niemand sagen. (Anm. der Red.: die Gesamtsumme der gestohlenen Beträge hat inzwischen 1 Million Euro überschritten. Aktuellen Angaben der Gruppe zufolge haben sich seit dem Treffen weitere Betroffene gemeldet – allein in einem Fall wurden weitere 104.000 Euro gestohlen).
An dem Abend gesellt sich auch der Rechtsanwalt Marc Theisen zu der Runde – und ist sichtlich beeindruckt von der geleisteten Vorarbeit. Er hat angeboten, sich der Gruppe für ein kostenloses Beratungsgespräch zur Verfügung zu stellen und ihre Fragen zu beantworten. Seine Kanzlei vertritt bereits ähnliche Fälle, weshalb er unter anderem auch Angaben zum Verlauf und den ungefähren Kosten eines solchen Prozesses machen kann. Problematisch für die Betroffenen ist nämlich, dass einige sich aufgrund der durch den Betrug verursachten finanziellen Schäden kaum an den Kosten für einen Prozess beteiligen könnten.
Betroffene wollen vor Gericht ziehen
Doch das soll kein Hindernis sein, denn wie sich aus dem Gespräch ergibt, haben Menschlichkeit und Fairness für die Gruppe Vorrang. Dem stimmt auch Anwalt Marc Theisen zu: Man solle „jemanden nicht ein zweites Mal hängen lassen, falls er sich nicht gleichermaßen an den Kosten beteiligen kann“. Die erlittenen Verluste hätten nicht für jeden die gleichen Konsequenzen. Die Kosten für ein Verfahren seien seiner Meinung nach im Vergleich zu einer Person, die allein zu einem Anwalt geht „weit von dem entfernt, was die Leute befürchten“.
Am Ende des Abends ist den Betrugsopfern klar, dass sie sich ihren nächsten Schritt gut überlegen müssen. Und einige Wochen nach dem Treffen in der Villa Hadir steht die Entscheidung: Die Gruppe wird vor Gericht ziehen. Wie Alice Pauly dem Tageblatt am Mittwoch mitteilt, haben sich aktuell mindestens 30 der Betroffenen dazu bereit erklärt, sich an einem Gerichtsprozess zu beteiligen. „Die ersten gehen jetzt zum Anwalt, um den Prozess zu starten“, sagt Pauly – und fordert Betroffene weiterhin auf, sich bei der Gruppe zu melden (Kontakt: [email protected] / [email protected]).
*Name von der Redaktion geändert
De Maart

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