Mittwoch12. November 2025

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SaarbrückenMax Ophüls Preis: Die Highlights des deutschen Filmnachwuchses

Saarbrücken / Max Ophüls Preis: Die Highlights des deutschen Filmnachwuchses
Viele strahlende Gewinner: die Preisträger des 45. Filmfestivals Max Ophüls Preis 2024 Foto: Oliver Dietze

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Der Raum für den deutschen Filmnachwuchs wird enger, die wirtschaftliche Situation prekärer. Und trotzdem schaffen junge Filmemacher zuweilen große Kino-Momente, wie sich auf dem 45. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken zeigt.

Beginnen wir mit einer positiven Nachricht. Nicht mit den vielen Hiobsbotschaften der Filmbranche. Kein Fördergeld hier, uneinsichtige Redakteure da. In Saarbrücken ging gerade das 45. Filmfestival Max Ophüls Preis zu Ende und die Kinosäle waren eine Woche lang voll. Bis auf den letzten Platz. Egal ob Mittwochvormittag oder Freitagabend. Egal ob Multiplex oder Programmkino. Spontan Tickets kaufen? Meist Fehlanzeige. „Das macht uns sehr viel Mut für das Kino“, sagt Regisseur Christian Schwochow, Ehrengast in Saarbrücken, am Ende der Festivalwoche.

Das Festival Max Ophüls Preis, das jedes Jahr im Januar in Saarbrücken stattfindet, ist das wichtigste Festival für den deutschsprachigen Nachwuchsfilm. Eine Plattform für Experimente und Austausch, die umso mehr an Bedeutung gewonnen hat, seit die Berlinale-Leitung im vergangenen Sommer ankündigte, die Nachwuchs-Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ ab der kommenden Festivalausgabe 2024 zu streichen. Der Raum für den jungen Film in Deutschland ist wieder ein Stück enger geworden. Festivalleiterin Svenja Böttger gibt am Eröffnungsabend ihr Bestes, um gegen alle Widerstände zu motivieren: „Macht eure Filme, erzählt eure Geschichten.“


Taufe eines Sünders: Timotheus kämpft in „Gotteskinder“ mit seinen vermeintlichen Dämonen
Taufe eines Sünders: Timotheus kämpft in „Gotteskinder“ mit seinen vermeintlichen Dämonen Foto: Kinescope Film

Götter, Schwestern und Dämonen

Es fällt schon beim ersten Durchstöbern des Programmhefts ins Auge: Mehrere Filme, über Sparten hinweg, beschäftigen sich in diesem Jahr mit dem Thema Religion. Neben dem Dauerbrenner Identität wohl einer der – gewollt oder ungewollt – roten Fäden des Festivals. Da ist die Dokumentation „Zwischen uns Gott“, in der die österreichische Filmemacherin Rebecca Hirneise nach Jahren der Distanz Interviews mit ihren strenggläubigen Verwandten führt – und dabei überraschende Brüche ans Tageslicht bringt. Ganz ohne Reibung kommt der Dokumentarfilm „Wie im Himmel so auf Erden“ aus. Die Regisseurin Daria Kuschev hat ein Jahr lang die Schwestern des einzigen russisch-orthodoxen Frauenklosters in Deutschland begleitet. Was nach einer dokumentarischen Goldgrube klingt, gerät aber allzu affirmativ. „Wie im Himmel so auf Erden“ ist eine meditative Erfahrung und ein schöner Einblick in orthodoxe Bräuche, aber alles in allem eine vergebene Chance: Während der Dreharbeiten im Jahr 2022 begann Russland seine Vollinvasion der Ukraine, in Moskau stellte sich der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche hinter Putin. Der Krieg und seine Folgen werden in „Wie im Himmel so auf Erden“ jedoch in keiner Sekunde thematisiert – auch wenn sie deutlich zu spüren waren, wie Regisseurin Kuschev im Filmgespräch verrät.

Ein anderer Film scheut nicht die Konfrontation: Der Wettbewerbsspielfilm „Gotteskinder“, ausgezeichnet mit dem Preis der Jugendjury, entwickelt sich während seiner zweistündigen Laufzeit zu einer filmischen Tour de Force. Ein aufwühlender Film, eine nahezu körperliche Erfahrung. Man ballt die Fäuste im Kinosessel angesichts der Ungerechtigkeit, die die beiden Geschwisterprotagonisten in der evangelikalen Kirchengemeinde ihrer Eltern erleiden müssen. Was harmlos beginnt mit Gitarrenkonzerten und sehr US-amerikanischen „Jesus!“-Chören, steigert sich in das Porträt einer Gemeinschaft, die freien Willen und menschliche Vielfalt nicht nur nicht akzeptiert, sondern aktiv auszulöschen versucht. Ein beeindruckender Debütfilm von Frauke Lodders, der vor allem von der herausragenden Leistung der drei jungen Darsteller Flora Li Thiemann, Serafin Mishiev und Michelangelo Fortuzzi getragen wird.


Isa Schieche: Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin von „Die Räuberinnen“, dem besten Kurzfilm
Isa Schieche: Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin von „Die Räuberinnen“, dem besten Kurzfilm Foto: Isa Schieche

„Diversity matters“, aber nicht ohne Konflikte

Der deutsche Nachwuchsfilm sprengt langsam, aber sicher die Strukturen der deutschen Filmlandschaft auf. Diversität vor und hinter der Kamera sei in diesem Jahrgang so stark gewesen wie noch nie, sagt Regisseurin und Autorin Pola Beck, Mitglied der Jury im Wettbewerb Kurzfilm. Unterschiedliche Perspektiven und Sichtweisen, das betont auch die Festivalleiterin Svenja Böttger im Laufe der Woche immer wieder, seien zentral für das Kino der Zukunft. Beck hat jedoch auch Kritikpunkte: Viele Filme dieses Jahrgangs seien „konfliktfrei“ gewesen, „Gefühlskino“. Die Jurorin wünsche sich, dass Figuren ihre Probleme wieder mehr miteinander verhandeln würden statt in sich selbst. „Die Räuberinnen“, Gewinner in der Kategorie bester Kurzfilm, steht stellvertretend für diese Tendenz im deutschen Nachwuchskino. Geschrieben, gedreht und in der Hauptrolle gespielt von Isa Schieche. „Die Räuberinnen“ erzählt die Geschichte von drei Trans-Frauen, die einen Raubüberfall proben. Wie diese drei Frauen männliche Bewegungen einstudieren (und dabei auch retraumatisiert werden), ist ein spannendes Filmsujet, doch bleibt die Außenwelt auf verstörende Art außen vor.


Verfolgung, Flucht und ihre Folgen für eine Familie: „Exile Never Ends“ von Bahar Bektas
Verfolgung, Flucht und ihre Folgen für eine Familie: „Exile Never Ends“ von Bahar Bektas Foto: Pink Shadow Films

Migration, Flucht und die Wunden des Exils

Die dringlichen politischen Themen der Gegenwart, sie finden sich selbstverständlich auch im Programm eines Filmfestivals wieder. Ganz besonders natürlich in der Sektion Dokumentarfilm: „Echoes from Borderland“ von Lara Milena Brose (Bester Dokumentarfilm) und „Exile Never Ends“ von Bahar Bektas (Preis der Filmkritik Bester Dokumentarfilm) erzählen Geschichten von Flucht, Migration und Exil und den Wunden, die sie ins Leben von Menschen schlagen. Regisseurin Brose, die als Filmemacherin und Fotografin viele Jahre an den europäischen Außengrenzen verbracht hat, erzählt, wie sich die Situation dort immer mehr verschlimmert habe. Auf der Bühne des Max Ophüls Preises hat sie aber zugleich auch eine hoffnungsvolle Botschaft. Brose ruft junge Filmemacherinnen und Filmemacher dazu auf, nicht den Mut und das Interesse an politischen Dokumentationen zu verlieren. „Sie könnten eines Tages olympische Feuer sein“, so die Regisseurin. Auch wenn sie in der Gegenwart vielleicht nichts bewirken könnten, würden ihre Ideen von der nächsten Generation weitergetragen werden.


„Electric Fields“ der Schweizer Regisseurin Lisa Gertsch, der verdiente große Gewinner des diesjährigen Festivals
„Electric Fields“ der Schweizer Regisseurin Lisa Gertsch, der verdiente große Gewinner des diesjährigen Festivals Foto: Sabotage Kollektiv

Mehr Magie wagen

Gleich dreimal muss sie am Abend der Preisverleihung auf die Bühne im Saarbrücker E-Werk: Lisa Gertsch, Regisseurin von „Electric Fields“, dem großen Abräumer des diesjährigen Festivals. Gewinner in den Kategorien bester Film, bestes Drehbuch und dem Preis der Filmkritik als bester Spielfilm. Und das alles völlig zu Recht. Der Schweizer Filmemacherin ist ein Debütfilm gelungen, wie man ihn auf einem Nachwuchsfestival selten sieht. Gertsch inszeniert mit einer Selbstsicherheit, die eigentlich nur erfahrene Meister und Meisterinnen ihres Faches an den Tag legen. „Electric Fields“ ist ein Episodenfilm, in kleinen Miniaturen erzählt er vom Tod, von Veränderung und Vergänglichkeit. Seine Figuren durchlaufen viele Enden, des Lebens, der Liebe, der Träume. Dabei durchzieht eine unglaubliche Wärme die kühlen Schwarz-weiß-Bilder, deren Mise-en-scène immer wieder Chaos in der Stille und Dynamik in der Statik einfangen kann. Ein Mann verschwindet im See, während die Kamera minutenlang auf der immer stürmischer werdenden Wasseroberfläche verharrt. Ein Liebespaar schläft in einem Hotelzimmer zum letzten Mal miteinander, während das Bullaugenfenster des Badezimmers sie schon voneinander zu trennen beginnt. „Electric Fields“ wagt einiges: elliptisches Erzählen, lange regungslose Einstellungen, lose Strukturen. Gertsch bricht mit dem Dogma des Realismus. So viel hätte schiefgehen können. Tut es nicht. Stattdessen gelingt ihr genau das, was nur das Kino schaffen kann: den Menschen und seine kleinen Probleme für ein paar Augenblicke größer als das Leben erscheinen zu lassen. Einer der besten Ophüls-Filme seit Jahren.


Alle Preisträger

Bester Spielfilm: „Electric Fields“ von Lisa Gertsch
Beste Regie: Sara Summa für „Arthur & Diana“
Bestes Drehbuch: Lisa Gertsch für „Electric Fields“
Bester Schauspielnachwuchs: Willi Geitmann in „Jenseits der blauen Grenze“ und Joshua Bader in „Söder“
Publikumspreis Spielfilm: „Jenseits der blauen Grenze“ von Sarah Neumann
Preis für den gesellschaftlich relevanten Film: Hannes Schilling für „Good News“
Preis der Jugendjury: „Gotteskinder“ von Frauke Lodders
Preis der ökumenischen Jury: „Jenseits der blauen Grenze“ von Sarah Neumann
Preis der Filmkritik Bester Spielfilm: „Electric Fields“ von Lisa Gertsch
Bester Dokumentarfilm: „Echoes from Borderland“ von Lara Milena Brose
Beste Musik in einem Dokumentarfilm: Johannes Blume & Markus Hossack für „Berlin Utopiekadaver“
Preis der Filmkritik Bester Dokumentarfilm: „Exile Never Ends“ von Bahar Bektas
Publikumspreis Dokumentarfilm: „Der Wunsch“ von Judith Beuth
Bester mittellanger Film: „Land der Berge“ von Olga Kosanovic
Publikumspreis mittellanger Film: „Land der Berge“ von Olga Kosanovic
Bester Kurzfilm: „Die Räuberinnen“ von Isa Schieche
Publikumspreis Kurzfilm: „Syncope“ von Linus von Stumberg