Es ist Mitte September, und auf dem Plateau Roschten in Lintgen herrscht konzentrierte Stille, während die Luft in der Spätsommersonne flimmert. Die Szenerie: eine verlassene, abgelegene Straße, ein defektes Auto und zwei Frauen, deren unterdrückte Konflikte an die Oberfläche drängen. Die 24-jährige Céline Coutelier Schlesser steht hier zum ersten Mal als Regisseurin hinter der Kamera – und sie weiß genau, was sie will.
„Moteur! Action! Couper!“
„Moteur, s’il vous plaît! Action! Couper!“ – wieder und wieder hallen diese Worte über das Set. Die Crew, ein eingespieltes Team aus 15 jungen Filmemacher*innen, bewegt sich mit einer Mischung aus konzentrierter Hektik und kreativer Euphorie zwischen Kamera, Licht und Ton. Es ist ihr Film. Ihre Vision. Und ihre erste echte Feuerprobe.
Regisseurin Céline Coutelier Schlesser steht am Rande des Sets auf einer riesigen Wiese am Waldrand. Die junge Frau wusste schon früh, dass sie etwas mit Film machen wollte. Aber Regie? Das kam erst später. „Eigentlich wollte ich Schauspielerin werden“, erzählt sie. Doch als sie 2016 oder 2017 mit ihrem Onkel zu einer Filmpremiere ging, änderte sich alles. „Das hat mich komplett gepackt. Ich wollte nicht mehr nur Teil der Geschichte sein – ich wollte die Geschichten erzählen.“
Seither hat sie sich in der Filmbranche hochgearbeitet – vor allem als 3rd Assistant Director und Setdesignerin bei über 20 Produktionen. Doch die Arbeit im Hintergrund reichte ihr nicht: „Ich will Geschichten erzählen, die politisch, menschlich und relevant sind.“ Und so entstand „Ce qu‘il reste“ – ein Film, der an persönliche Grenzen geht.

„Es ist krass, wie sich Dinge fügen“, sagt sie. „Ich hab das Drehbuch damals während meines BTS-Studiums geschrieben, aber dann noch mal komplett überarbeitet. Die Idee blieb, aber alles andere hat sich entwickelt. Damals war die Geschichte noch anders, sie spielte an einer Raststätte, nachdem das Auto liegen geblieben war. Aber die Kernthemen waren bereits da – Verlust, Mutter-Tochter-Dynamik, unausgesprochene Emotionen.“
Möglich gemacht hat das Ganze ihr früherer BTS-Professor Eric Lamhène, der den Film gemeinsam mit director of photography und Co-Produzentin Rae Lyn Lee realisiert. „Ich unterrichte jetzt seit vier Jahren BTS-Klassen, und Céline fiel mir von Anfang an auf. Sie hatte eine sehr klare Vorstellung von Film, von dem, was sie erzählen will. Als wir in der Klasse verschiedene Drehbücher diskutierten, war mir klar: Ihr Skript hat etwas Besonderes. Die emotionale Tiefe und das intime Setting machten es ideal für einen Kurzfilm mit kleinem Budget“, sagt er. „Als sich dann die Chance bot, dieses Projekt als Carte Blanche umzusetzen, wusste ich: Das muss sie machen. Hier kann sie experimentieren, Fehler machen und lernen.“
Anschließend unterstützte Lamhène sie in der Strukturarbeit: „Wir haben zwei Tage lang intensiv daran gearbeitet. Uns war wichtig, dass jede Szene ihre Funktion erfüllt. Céline hat dann mit ihrer Intuition und ihrem Gefühl für Emotionen das Ganze mit Leben gefüllt.“
Es ist schön, mit jungen Menschen zu arbeiten, die so viel Leidenschaft mitbringen
Die Geschichte hinter der Kamera
Die Geschichte von „Ce qu’il reste“ ist leise, aber kraftvoll. Lou und ihre Mutter Valérie haben gerade den letzten Weg ihrer Großmutter begleitet – in eine Euthanasie-Klinik. Nun sind sie auf dem Rückweg, aber die Reise verläuft anders als geplant. Ihr Auto gibt mitten im Nirgendwo den Geist auf. Eine Zwangspause, die ihre ohnehin brüchige Beziehung ins Wanken bringt. Worte, die lange unausgesprochen blieben, brechen nun hervor. Es geht um Trauer, Entfremdung und eine mögliche Versöhnung.
Lou wirft ihrer Mutter vor, sich emotional zurückgezogen zu haben, wie einst bei der Großmutter. Eine Diskussion entfacht, gefühlsintensiv, schmerzhaft, kathartisch. Ein Film über Abschied, über Beziehungen, über das, was bleibt, wenn alles andere vergeht.
Céline Coutelier Schlesser selbst beschreibt die Inspiration so: „Es geht um die Beziehungen zwischen Frauen – um Verlust, Trauer und Versöhnung. Ich wollte die feinen Nuancen dieser Dynamik einfangen“, erklärt sie. Die Inspiration dazu stammt aus ihrem eigenen Leben: „Euthanasie ist ein Thema, das mich persönlich bewegt. Mein Großvater wollte diesen Weg gehen, und ich habe oft darüber nachgedacht: Wie hätte das unsere Familie beeinflusst? Was wäre gewesen, wenn? Welche Gespräche hätte es vielleicht noch geben müssen?“
Die junge Regisseurin erzählt, dass sie sich bei der Entwicklung der Geschichte stark von echten Emotionen und realen Situationen hat leiten lassen. „Ich wollte, dass sich die Zuschauer*innen darin wiederfinden. Familie ist etwas so Universelles, aber jede Beziehung ist anders.“
Die Schauspielerinnen: Eine besondere Chemie
Am Set selbst ist Céline Coutelier Schlesser in ihrem Element – aber auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. „Ich bin mega zufrieden, aber natürlich gibt es immer Momente der Unsicherheit“, gibt sie zu. „Einige Szenen, bei denen ich mir am Anfang nicht sicher war, ob sie funktionieren, gehören jetzt zu meinen Lieblingsaufnahmen. Man entdeckt immer wieder neue Seiten.“
Ein Filmset ist ein Mikrokosmos. Alles muss ineinandergreifen, sonst stürzt das fragile Kartenhaus zusammen. Vorbereitung ist alles. „Wir hatten zwei Tage Proben mit den Schauspielerinnen“, erzählt Coutelier Schlesser. „Das war Gold wert. Wir wussten genau, welche Szenen wir wie drehen wollten. Und trotzdem: Es gibt immer Dinge, die einen überraschen.“
Céline ist unglaublich entspannt und gleichzeitig total fokussiert. Sie weiß, was sie will, aber sie lässt Raum für Spontanität. Das macht es als Schauspielerin leicht, sich fallen zu lassen.
Für die Rollen der Mutter Valérie und der Tochter Lou wählte Céline Coutelier Schlesser Valérie Bodson und Juliette Moro. Die beiden kennen sich gut, was die Dynamik zwischen den Figuren glaubwürdig macht. Juliette erzählt: „Céline hat mich zu einem Casting eingeladen, nachdem wir uns bei einem anderen Dreh kennengelernt hatten. Es fühlte sich sofort richtig an.“
Moro ist in Luxemburg keine Unbekannte. Sie ist in einer Künstlerfamilie aufgewachsen, ihre Mutter ist selbst Schauspielerin. „Ich habe mit 14 am Konservatorium angefangen, weil ich die Schule gehasst habe“, erzählt sie lachend. „Dann bin ich für meine Ausbildung nach Brüssel gegangen, aber ich wusste immer, dass ich zurück nach Luxemburg komme.“ Heute wechselt sie zwischen Bühne und Leinwand, und sie weiß: „Ich will davon leben. Kino und Theater, beides.“
Ihre Zusammenarbeit mit der jungen Regisseurin beschreibt sie als erfrischend: „Céline ist unglaublich entspannt und gleichzeitig total fokussiert. Sie weiß, was sie will, aber sie lässt Raum für Spontanität.“
Auch Valérie Bodson, die Mutterrolle im Film, lobt Céline Coutelier Schlesser für ihre Art, Regie zu führen: „Sie ist unglaublich sanft. Sie gibt präzise Anweisungen, aber auf eine ruhige, durchdachte Art. Sie kann eine Szene in verschiedenen Nuancen durchspielen lassen – mal sanfter, mal härter – und gibt uns als Schauspielerinnen dadurch viele Optionen.“ Die erfahrene Schauspielerin und Theaterdozentin hatte bereits in einem früheren Projekt mit ihr zusammengearbeitet. „Céline rief mich vor zwei Jahren für ihren ersten Film an, in dem ich ebenfalls eine Mutter spielte“, erzählt sie.
Bodson leitet selbst Theater- und Filmprojekte und kennt die Luxemburger Filmszene sehr gut. „Ich unterrichte am Konservatorium in Esch/Alzette und ich liebe es, mit jungen Filmemacher*innen zu arbeiten“, sagt sie. „Diese Energie, dieser Enthusiasmus – das ist ansteckend.“ Ihre Karriere pendelt zwischen Bühne und Leinwand. „Manchmal hat man einfach genug davon, immer von Engagement zu Engagement zu rennen. Das Unterrichten gibt mir eine gewisse Stabilität. Aber Projekte wie dieses? Die machen es immer wieder spannend.“
Die Entstehung der Crew
Das gesamte Team – obwohl sehr jung – wirkt professionell eingespielt. Viele Mitglieder, darunter Zoé Desrumaux, 1st Assistant Director und Mitautorin, Tonassistent Andy-Lee Hoareau, Kamerafrau Léa Petitjean, Kostüm- und Szenenbildnerin Nikola Anna Pronobis, kennen sich aus dem BTS-Programm des „Lycée des arts et métiers“, in dem Coutelier Schlesser und andere ausgebildet wurden. „Es war uns wichtig, mit Leuten zu arbeiten, mit denen wir harmonieren“, sagt Letztere. „Das macht den Unterschied. Man verbringt ja Tage und Nächte zusammen – da muss die Energie stimmen. Zum Beispiel haben die Director of Photography Léa Petitjean und ich viel Zeit in die Vorbereitung gesteckt. Wir haben alles durchdacht, Skizzen gemacht, Probeaufnahmen gedreht“, erzählt sie. Trotzdem lässt sie Raum für Spontanität: „Manchmal entstehen die besten Momente einfach so.“
Trotz des limitierten Budgets von 32.000 Euro hat das Team ambitionierte Pläne. „Ich hoffe, wir können den Film auf Festivals wie dem LuxFilmFest zeigen“, sagt Céline Coutelier Schlesser. „Das wäre der perfekte Rahmen, um unseren Film vorzustellen. Außerdem wollen wir ihn auch bei internationalen Kurzfilmfestivals einreichen – in Deutschland, Belgien, überall.“
„Ce qu’il reste“ feiert seine Premiere beim Made with/in Luxembourg Short Film Evening am 10. März um 18.30 Uhr in Kinepolis, Saal 10. Eine Bühne für junge Talente, eine Chance, den Film mit einem größeren Publikum zu teilen.
Zukunftsträume zwischen Vision und Wirklichkeit
Ein erster Film ist immer ein Statement. In diesem Sinne soll „Ce qu’il reste“ nicht nur für Céline Coutelier Schlesser ein Sprungbrett sein, sondern auch für die gesamte Crew. „Das hier ist unser Testlauf“, erklärt sie. „Wir wollten eine Art Experimentierraum schaffen. Einen Ort, an dem Fehler erlaubt sind. Wo wir lernen können, ohne dass jemand von oben reinredet.“
Und obwohl der Weg zu ihrem ersten Langfilm wohl noch weit ist, hat sie klare Vorstellungen: „Ich liebe dystopische Dramen – Geschichten, die unsere Welt zeigen, aber mit einem Twist. Keine Horrorfilme, aber solche, die ein leicht unheimliches Gefühl hervorrufen. Ich möchte Filme machen, die bewegen – gerne mit politischer oder aktivistischer Botschaft.“
„Ce qu’il reste“ ist ein mutiges Erstlingswerk, das zeigt, wie viel Potenzial in Luxemburgs junger Filmszene steckt. Obwohl Céline Coutelier Schlesser mit ihrem ersten Film große Schritte geht, bleibt sie bescheiden. „Klar, das ist ein riesiges Ding für mich. Aber ich will mich nicht übernehmen. Lieber klein anfangen, Erfahrungen sammeln und dann Schritt für Schritt größer werden.“
Dazu gehört auch, dass sie Luxemburg nicht als Endstation sieht. „Ich würde gern ein Jahr nach Brüssel oder Paris gehen. Andere Sets kennenlernen, mich weiterentwickeln.“ Aber heute, hier auf dem Plateau in Lintgen, geht es um diesen einen Film. Um „Ce qu’il reste“. Und um das, was bleibt, wenn das Set abgebaut ist.
De Maart








































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