Spaniens radikaler KurswechselMadrid will Covid-19 nur noch als Grippe einordnen

Spaniens radikaler Kurswechsel / Madrid will Covid-19 nur noch als Grippe einordnen
In Valencia warten Kinder in einer Schule auf ihre Impfung – mit dem Boostern bei Erwachsenen hapert es noch beim einstigen Impfmusterschüler Spanien Foto: EUROPA PRESS/dpa/Jorge Gil

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Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sorgt für Wirbel. Es sei an der Zeit, sagte er beiläufig in einem Radio-Interview, der Pandemie weniger Bedeutung beizumessen. Virologen sind alarmiert.

Wer aus Luxemburg in die spanische Hauptstadt Madrid reist, reibt sich verwundert die Augen: Das Leben pulsiert in den Ausgeh- und Einkaufsvierteln der Metropole, als ob es kein Corona und keine Omikron-Welle geben würde.

Niemand verlangt in Madrid einen Gesundheitsnachweis, um in Cafés, Kneipen, Restaurants oder Theater zu gehen. Hunderttausende Kinder drücken nach den Winterferien wieder die Schulbank – ohne jegliche Testpflichten für Schüler und Lehrer.

Auch der Spitzenfußballklub Real Madrid spielt weiterhin vor Zehntausenden von Fans. Das Stadion darf zwar nur zu 75 Prozent mit Zuschauern besetzt werden. Aber ein Covid-Zertifikat oder eine negative Corona-Analyse müssen die Besucher nicht präsentieren.

Virologen warnen vor „Spiel mit dem Feuer“

Zugleich sorgt Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez mit der Ankündigung eines Strategiewechsels für Wirbel. Es sei an der Zeit, sagte er beiläufig in einem Radio-Interview, der Pandemie weniger Bedeutung beizumessen und Corona künftig wie andere wiederkehrende Krankheiten zu betrachten. Etwa wie die jährliche Grippe-Wellen.

Das bedeute zum Beispiel, dass man sich von der bisherigen aufwendigen Erhebung und Verfolgung aller Corona-Infektionsfälle und auch von den bisherigen Massentests verabschieden sollte. „Die Situation der Pandemie ist heute nicht mehr jene, die wir vor einem Jahr hatten“, sagte Sánchez.

Gesundheitsministerin Carolina Darias lieferte später Einzelheiten zum Vorstoß ihres Chefs. Darias verwies vor allem auf die hohe Impfquote in Spanien, die dem Land im Herbst viel internationales Lob einbrachte und den Ruf, zu Europas Impfmusterschülern zu gehören. In der ersten Impfkampagne hatte Spanien mit ansehnlichen 80 Prozent die dritthöchste Impfquote Europas erreicht.

Doch nun, in der Booster-Kampagne, läuft es nicht mehr so gut. Bisher holten sich nur 36 Prozent der Spanier den Auffrischungsstich. Damit liegt das Land lediglich im europäischen Mittelfeld. Experten befürchten, dass sich die wachsende staatliche Gelassenheit im Umgang mit Corona auf die Bevölkerung übertragen und die früher so große Impfbereitschaft beeinträchtigen könnte.

Um die Quote doch noch nach oben zu treiben, gab die Regierung jetzt das Boostern für alle Spanier ab 18 Jahren frei. Bisher war es nur für die über 40-Jährigen und für Menschen mit Immunschwäche möglich. Bedingung für alle ist, dass die letzte Impfung wenigstens fünf Monate zurückliegt.

Virologen warnen derweil davor, dass Spaniens Corona-Entspannungskurs einem „Spiel mit dem Feuer“ gleichkommt. Man dürfe die Pandemie nicht banalisieren. „Das Einzige, was wir erreichen werden, wenn wir nicht handeln, sind noch mehr Infektionen“, sagt der Epidemiologe Daniel López Acuña.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisierte Spaniens Einschätzung, dass die Viruspandemie zunehmend mit einer Erkältungs- oder Grippewelle vergleichbar sei. Denn es sei immer noch ungewiss, wie es mit der Corona-Epidemie weitergehe, sagte der WHO-Europadirektor Hans Kluge. „Wir haben es mit einem Virus zu tun, der sich schnell fortentwickelt und die Welt immer wieder vor neue Herausforderungen stellt.“

Während Spanien seine Corona-Politik immer weiter lockert, explodieren die Infektionen im ganzen Land. Spaniens offizielle Sieben-Tage-Inzidenz befindet sich momentan bei 1.500 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner, auf Mallorca übersteigt sie schon 1.600. In den vergangenen sieben Tagen wurden mehr als eine Million neue Infektionen gemeldet.

In Wirklichkeit ist die Inzidenz noch höher, da die Gesundheitsämter angesichts der Masse der Infektionen nicht bei allen Verdachtsfällen eine Analyse machen können. Mangels staatlicher Testmöglichkeiten versuchen deswegen immer mehr Menschen mit Selbsttests aus der Apotheke, Klarheit zu bekommen. Das nutzte die Branche, um den Bürgern bis zu 15 Euro pro Test abzuknöpfen.

Bremse gegen Preiswucher bei Selbsttests

Deswegen legte die Regierung nun einen Höchstpreis für die Selbsttests fest: Sie dürfen nun nicht mehr als 2,94 Euro kosten. In Super- und Drogeriemärkten dürfen die Covid-Tests, im Gegensatz zur Praxis in den Nachbarländern, allerdings weiter nicht verkauft werden.

In Spaniens Krankenhäusern ist die Lage zwar noch nicht kritisch, aber besorgniserregend. In immer mehr Hospitälern müssen Routineoperationen verschoben werden. Zuletzt lagen mehr als 17.000 Corona-Patienten im Spital, davon 2.200 auf den Intensivstationen, deren Betten im nationalen Schnitt zu 24 Prozent mit Covid-Kranken belegt sind.

„Das medizinische Personal hat die Nase davon voll, dass von den Politikern nicht genügend unternommen wird, um die Infizierungen zu bremsen“, klagt der Dachverband der Intensivmediziner. „Spanien hat stark auf die Impfung gesetzt, die tatsächlich hilft. ­Aber sie allein reicht nicht.“ 

Sahirat Sawda
16. Januar 2022 - 12.59

@HTK: Mitnichten , Spanien scheint den Weg zu beschreiten, den Herr Drosten in einem Interview des Tagesspiegel am Sonntag ,22/01/22 klar und deutlich ausdrückt. Ich zitiere frei.Die Impfung nur eine begrenzte Zeitlösung ist, man nicht alle Monate boostern kann und eine dauerhafte Immunität nur durch natürliche Infektion mit dem Virus erreicht werden kann.

HTK
15. Januar 2022 - 11.12

Der Mann hat wohl zu viel Sangria getrunken. Oder hat er mit BoJo einen Meinungsaustausch gehabt? Sein Land (auch BoJo's) ächzt unter der Last der Pandemie und was macht er? Er ermutigt die Menschen das Virus auf die Liste aussterbender Arten zu setzen. Das ist Stierkampf ohne Muleta und Banderilla.Olé.