Das Tageblatt hatte bereits über Sylvie Delleré-Boehm berichtet. Ein mehrfach verurteilter Straftäter, der immer wieder wegen rechtsextremer Aussagen auffällt, bedroht und beleidigt sie seit Jahren öffentlich. Auch in der Nähe ihres Wohnhauses ist er bereits aufgetaucht. Sie ist eine von mehreren antifaschistisch engagierten Personen, die ins Visier von rechten Usern geraten sind.
(…) wéi an der DDR den FANGSCHUSS ginn
Tom Delles, Direktor des „Lycée technique agricole“, hat mittlerweile Anzeige gegen S. und D. erstattet, zwei User, die auf Facebook regelmäßig fremdenfeindliche und LGBTQIA+-feindliche Inhalte posten oder teilen.
Ein Déjà-vu? Es handelt sich in der Tat um die gleichen Personen, die Sylvie Delleré-Boehm beschrieben hatte. Was den Fall S. betrifft, sei es zu Beginn des Jahres „massiv losgegangen“. Immer wieder greift S. Tom Delles in öffentlichen Posts an, stellt die Frage, ob der Schuldirektor denn pädophil sei, da er sich für LGBTQIA+-Rechte und deren pädagogische Behandlung in Schulen ausspricht (im Wortlaut: „Kann dat sin dass deen (…) Direkter vun der Ackerbau-Schoul Pedophile ass dass hien dat toloréiert dass Kanner vum LCBGTQ an der Schoul opgeklärt soll gin?“). Das ist nur ein Beispiel unter vielen Angriffen, die der Schuldirektor nun seit Monaten, teilweise Jahren, erdulden muss.

Als weniger auffällig, aber nicht weniger gefährlich wird D. von Delles beschrieben. Er sei der „Strippenzieher“ und würde Personen wie S. anstacheln. S., ein Mann, der unter anderem verurteilt wurde, nachdem er einem Jugendlichen aus der Nachbarschaft mit dem Tod gedroht hatte, als Spende für Flüchtlinge „zehn Liter Diesel“ vorschlug und einer Mitarbeiterin eines Geschäfts während der Covid-Pandemie ins Gesicht hustete, nachdem er sich geweigert hatte, einen Mundnasenschutz zu tragen. Aufruf zum Hass, Drohungen und Verharmlosung des Holocaust sind nur ein Teil der langen Liste seiner Straftaten. Seine Haftstrafen hat S. nie angetreten – laut Strafverteidigung sei er vermindert schuldfähig.
Delles formuliert die Frage, die sich viele Betroffene stellen: „Warum gibt es keine Kontrolle über seine Posts im Internet, obwohl alle seine letzten Verurteilungen damit zu tun haben? Obwohl er mehrfach vor Gericht verurteilt wurde, kam er immer wieder davon.“ Neben S. und D. hat der Schuldirektor Anzeige gegen einen weiteren Mann, L., erstattet. Letzterer bezeichnete ihn unter anderem als „dommsten, dengem Beruf no onwürdegst Stéck Fleesch wat hei am Land muht“, sowie als „erbärmlechen Kannerschänner“, dem man „wéi an der DDR den FANGSCHUSS ginn“ („Souguer als Kand géif ech ierch erschéissen“). Darüber hinaus hat er eine Anzeige gegen unbekannt erstattet: aufgrund eines Fotos von ihm, das ohne seine Erlaubnis gemacht wurde und nun von den genannten Personen im Netz verbreitet wird.
Die Resistenz der Demokratie in Luxemburg

Laut der antifaschistischen 161 Crew Luxembourg gehen die mutmaßlichen Täter auf eine spezifische Weise vor. „Es reicht, dass jemand eine Seite likt, die annähernd etwas mit linken Themen oder LGBT+-Rechten zu tun hat“, sagt das für den Kontakt mit der Presse zuständige Mitglied gegenüber dem Tageblatt. „Dann beginnt die Hetze mit mehreren Eskalationsstufen: Zuerst wird das Profil der Person und deren ,falsche‘ Gesinnung auf der Seite der Täter veröffentlicht, meist in Tateinheit mit Beleidigung und Diffamierung.“ Private Informationen wie die Anschrift werden, falls bekannt, veröffentlicht, teilweise folgen Ankündigungen persönlicher „Hausbesuche“ mitsamt Veröffentlichung von Fotos der Wohnhäuser oder Standortangabe auf Google Maps.
„Die nächste Eskalationsstufe ist der Kontakt zum Arbeitgeber“, beobachtet der 161-Crew-Pressesprecher. „Sie rufen am Arbeitsplatz an, mit dem Ziel, das Opfer dort schlechtzumachen. Die Vorgehensweise ist immer dieselbe: Das Opfer wird diffamiert und beleidigt, wehrt sich und beleidigt gegebenenfalls zurück. Diese Beleidigung wird dann dem Arbeitgeber zugespielt.“ Als letzte Stufe identifiziert er das Vorgehen im Fall Sylvie Delleré-Boehm. „Da wird konkret zu Übergriffen auf das Opfer aufgerufen, mit der klaren Absicht einer Körperverletzung.“
Hier findet aktive Demokratie-Beeinflussung statt. Ziel ist, dass die Opfer sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen oder einen Beitrag zu liken.
Für die 161 Crew, die aktiv wurde, nachdem sie einen „eindeutigen Hinweis rechtsradikaler Gesinnung sowie Staats- und EU-Feindlichkeit in Luxemburg“ festgestellt hatte, ist klar: „Hier findet aktive Demokratie-Beeinflussung statt. Ziel ist, dass die Opfer sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen oder einen Beitrag zu liken.“ Daraufhin stelle sich für die Gruppe die Frage: Wie resistent ist die Demokratie in Luxemburg?
„Er rief bei meinem Arbeitgeber an“
Ein weiterer Betroffener, dessen Name der Redaktion vorliegt, hat sich an das Tageblatt gewendet, nachdem S. bei seinem Arbeitgeber angerufen hatte. „Er rief bei der Rezeptionistin an, stellte sich mit Namen vor und behauptete, dass ich ihn mobben würde“, so der Mann, der nun Anzeige gegen S. erstattet hat. „Er sagte, er wolle mit meinem Chef reden.“
Der Anruf wurde letztendlich nicht weitergeleitet. Insgesamt zwei Anrufe am Arbeitsplatz habe es gegeben, außerdem seien Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlassen worden. Dem Tageblatt liegen Videos vor, in denen S. den Angestellten sowie dessen Arbeitgeber identifizierte und die deutliche Absicht mitteilte, sich beim Chef zu beschweren. Viel Hoffnung hat der Mann, der nun Anzeige erstattet hat, nicht. Dafür aber ein unwohles Gefühl. „Ich bin im Grunde kein ängstlicher Mensch“, sagt er, „sehe aber hier klar Gewaltpotenzial.“
Die „Äppel“ – da war doch was?
Tom Delles und der Pressesprecher der 161 Crew haben im Tageblatt-Gespräch ebenfalls ein deutliches Gewaltpotenzial bei den genannten Akteuren hervorgehoben. Sie alle fragen sich: Wie viel Zeit wird noch vergehen, bis etwas von juristischer Seite aus passiert? Auch sie wurden unter anderem wegen ihrer Verbindungen zu einer Facebook-Seite, die sie nicht betreiben, auf der sie jedoch als Follower kommentieren, zur Zielscheibe. Wie Sylvie Delleré-Boehm sollen sie Administratoren der satirisch-kritischen Seite „Äppel“ sein, was die eigentlichen Betreiber, deren Namen der Öffentlichkeit nicht bekannt sind, mehrfach dementiert haben.
Dass der Apfel so manchem sauer aufstoßen kann, dementiert ein Admin, mit dem das Tageblatt gesprochen hat und der anonym bleiben möchte, nicht. Viele Beiträge seien durchaus „pickeg“, sagt er, „wie Satire nun mal sein kann“. Des Weiteren streitet er nicht ab, dass sich das Team vor allem beim Wiederholungstäter S., der „offensichtlich Narrenfreiheit hat“, nicht zurückhalte und auch mal Kommentare von Followern, die „zu weit gingen“, gelöscht oder verborgen hat. Und dass die Betreiber ebenfalls mal vor Gericht stehen könnten. Das schreckt den Admin nicht ab – im Gegenteil: „Wir möchten, dass das Gericht irgendwann festlegt, was eine ,injure‘ ist, dass es klare Maßstäbe dazu gibt, was im Internet erlaubt ist und was nicht, und das Gericht diese anwendet.“
Diese Maßstäbe existieren zurzeit nicht. Stattdessen hebt dieses Dossier eine Grauzone hervor, die sich auch außerhalb des Web erstreckt. So klar die Fronten verteilt sind: Am Ende bleibt ein rechtliches Mischfeld, in dem sich Akteure austoben können – bis hin zu konkreten Drohungen und Eingriffen in den Arbeitsbereich.
Sind Sie betroffen?
Sind auch Sie online oder offline Opfer von rechtsextremen Akteuren geworden? Melden Sie sich beim Tageblatt: [email protected].
De Maart
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