EditorialLuxemburg und das Experiment des freiwilligen Gehorsams

Editorial / Luxemburg und das Experiment des freiwilligen Gehorsams
Gestern nahm das Parlament das neue Covid-Gesetz an. Vor der Abstimmung riefen Premierminister Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette Lenert die Bevölkerung zu Eigenverantwortung und Zusammenhalt auf.  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Während die Akteure des Gesundheitswesens darüber rätseln, wie sie den drohenden Pflegemangel in den Krankenhäusern in den Griff bekommen, stimmte das Parlament gestern über den Gesetzentwurf der Regierung zur Verschärfung der Corona-Maßnahmen ab. Die Covid-19-Infektionszahlen sind inzwischen so hoch wie nie zuvor, doch die Belegungsrate der Krankenhaus- und Intensivbetten ist im Vergleich zum Höhepunkt der ersten Welle im April noch relativ gering. Noch muss man sagen, denn Ärzte und Virologen schlagen bereits Alarm, dass die Betten schon sehr bald knapp werden könnten.

Doch die Regierung will vorerst keinen neuen Lockdown. Sie senkt die Zahl der Zusammenkünfte von maximal zehn auf vier Personen und verhängt eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 23.00 und 6.00 Uhr. Gleichzeitig ruft sie die Bevölkerung dazu auf, doch bitte so oft wie möglich zu Hause zu bleiben. Die Regierung setzt auf die Eigenverantwortung ihrer Bürger, wie Premierminister Xavier Bettel (DP) es gestern im Parlament formulierte. Und die Bürger haben diesen Aufruf zur Selbstdisziplinierung angenommen, denn die neuen Maßnahmen haben bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes Wirkung gezeigt. Schon alleine aufgrund der sehr hohen Infektionszahlen sind viele verängstigt. Die meisten Cafés und Restaurants sind seit vergangener Woche so gut wie leer, immer weniger Menschen halten sich in ihrer Freizeit noch draußen auf. Im Kultur- und Sportbereich haben Verbände und Vereine bereits Veranstaltungen abgesagt, als das neue Gesetz noch nicht einmal geschrieben war.

Die Disziplin, die viele Bürger inzwischen an den Tag legen, verdient hohe Anerkennung. Sie kommen ihrer arbeitsmoralischen Pflicht nach, die darin besteht, die Wirtschaft trotz hoher Ansteckungsgefahr am Laufen zu halten. Gleichzeitig verzichten sie fast ohne Widerrede auf den hedonistischen Ausgleich, den ihnen die Freizeit in krisenfreien Zeiten für gewöhnlich bietet. Es bedarf keiner strengen Gesetze, damit sie die Autorität der Regeln anerkennen und sie mit freiwilligem Gehorsam erdulden. Wie lange die Bürger dieser Moralität folgen werden können, steht auf einem anderen Blatt. „Wir müssen zusammenstehen“, forderte Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) am Donnerstag. Aber höchstens zu viert oder sonst nur mit Maske oder einem Mindestabstand von anderthalb Metern, möchten wir hinzufügen.

Die Bestrebungen der Regierung, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu halten, in allen Ehren, doch de facto befindet sich Luxemburg längst in einer Art selbst auferlegtem Lockdown. Nur, dass er eben nicht so heißt. Der Vorteil dieser Situation liegt auf der Hand. Solange beispielsweise die Gastronomiebetriebe öffnen dürfen, braucht die Regierung ihnen keine substanziellen finanziellen Hilfen zu zahlen. Die Existenzängste der Betreiber werden dadurch natürlich nicht geringer, denn sie müssen trotz ausbleibender Kundschaft und geringer Einnahmen weiterhin Miete und Personalkosten bezahlen. Ferner hatten im Sommer noch sämtliche Parteien bekräftigt, ein zweiter Lockdown komme mit ihnen nicht infrage. Dieses Versprechen will nun eingehalten werden.

Ob das reicht, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Bis Mittwoch will der Premierminister den nächsten ConGo („Conseil de Gouvernement“) einberufen, wie er gestern ankündigte. Wenn die Infektionszahlen bis dahin wieder sinken, werden Bettel, Lenert und Co. ihre schärfsten Kritiker Lügen strafen. Sollte das Experiment des freiwilligen Gehorsams scheitern, wird zumindest ein partieller Lockdown wohl unausweichlich sein. Denn das wirksamste Mittel, um den diagnostizierten Pflegemangel zu beheben, bleiben immer noch niedrige Infektionszahlen.

de Prolet
14. November 2020 - 14.05

Wenn es genügend Betten gibt für die Infizierten, ist der Spuk nur halb so schlimm: die Angst, die Unsicherheit, die Isolation, die Depressionen und Selbstmordrate werden dann im Handumdrehen geringer? So einfach ist das Problem? Pflegepersonal und Ärzte kann man nicht einfach so von heute auf morgen " aufstocken". Woher nehmen? Schade nur, dass die Verantwortlichen nicht früher auf diese Idee gekommen sind.

alois
6. November 2020 - 20.29

Das ganze Jahr über sind die Betten knapp im Gesundheitswesen,die Lösung ist weder ein schliessen von Restaurants etc.Wir müssen mit dem Virus leben sofern kein Impfstoff in Sicht,also anstatt die ganze Wirtschafft kaputt zu Lockdownen,das Effektif von Krankenbetten, Pflegepersonnal und Ärtzten versuchen aufzustockken. Wird auf lange Sicht billiger als Insolvenzen,Selbstmorde, Depressionspatienten,Arbeitslose....

Hary
30. Oktober 2020 - 13.46

Unsere Restaurants sind nächste Woche ausgebucht von Bürgern unserer Nachbarländer.

de Schmatt.
30. Oktober 2020 - 13.29

Die Kolateralschäden sind bald, wenn nicht jetzt schon, grösser als die Pandemie selbt. Bettel soll sich nicht einmischen, er sorgt durch seine hektische Art nur für noch mehr Unsicherheit in der Bevölkerung. Jetzt heisst es wirklich alles zu tun, um diese Pandemie in den Griff zu bekommen. Nicht nur Regierung, Gesundheitswesen und Wissenschaft sind gefragt sondern jeder Einzelner.

patient à risque dégoûté
30. Oktober 2020 - 12.14

op wat waarden bettel a lehnert? datt iiwerfellt intesivstatiounen aal leit guer net méi ophuelen, a se direkt stierwe lossen, well se 1 jonken covid éischter pflegen? oder datt militärcamionen cadaveren nuets wegféeieren? A la italia? oder datt bettel a lenert selwer op der intensiv landen, an no 1 woch geläutert sinn wi vill aner infizéiert politiker? HUELT ENDLECH AER RESPONSABILITéEITEN, Wéi ons noper F. D. B....

J.Scholer
30. Oktober 2020 - 10.35

Eine Gesellschaft denen man über Jahre zivilen Ungehorsam , Toleranz eingeimpft hat ist des freiwilligen Gehorsam nicht fähig.

J.Scholer
30. Oktober 2020 - 10.27

Wie kann die Politik von einer Gesellschaft den freiwilligen Gehorsam abverlangen , die Politik doch Toleranz , Erziehung zum Ungehorsam über Jahre im Zuge des Wandel zur Moderne dieser Gesellschaft eingeimpft haben.

Observer
30. Oktober 2020 - 10.15

Man will Kontaktbeschränkungen doch die Schulen müssen auf bleiben! Das ist in sich widersprüchlich und ein grosser Fehler! Die Schulen müssen dringend geschlossen werden.

titi
30. Oktober 2020 - 9.24

Freiwilliger Gehorsam In Luxemburg?????

patient à cancer non traitė
30. Oktober 2020 - 8.20

Hunn bettel a lenert selwer puer caféen a restauranten... déi se net wellen zou man??? Kéint ee mengen. All ons nopeschlänner man lockdown, ma hei bleiwt alles op. Alles ass jo wonnerbar gutt. Jojo. Kee problém a kliniken a schoulen, dixit regierung. Haha