Die britische Innenministerin Priti Patel muss nun eine Nachfolge-Lösung finden. Entsprechende Kandidaten sollten über „Stärke und Entscheidungsfreude“ verfügen, teilte die Konservative am Freitag mit, „um das öffentliche Vertrauen wiederherzustellen“. Der Rücktritt führte sofort zu Spekulationen über die kriminalpolizeiliche Untersuchung von zwölf Lockdown-Partys in der Downing Street. Erst diese Woche hatte die zuständige Abteilung für heikle Aufgaben (special enquiry team) den rund 50 Betroffenen umfangreiche Fragebögen über ihre Beteiligung an den einzelnen Events in Aussicht gestellt. Das Verfahren unter der Leitung von Kriminaldirektorin Catherine Roper und beaufsichtigt von Dicks Stellvertreterin Jane Connors werde ganz normal weitergehen, hieß es am Freitag bei Scotland Yard.
Premier Boris Johnson hat Dick stets den Rücken gestärkt. Am Freitag dankte er der Spitzenbeamtin: Sie habe dem Land jahrzehntelang „engagiert und ausgezeichnet“ gedient. Die Präsidentin stand in vielen polizeilichen Fragen den Vorstellungen der Konservativen näher als jenen der Labour-Party; insofern könnte das Führungsvakuum an der Behördenspitze sogar die Gefahr für Johnson eher vergrößern.
Nicht zuletzt hatte die 61-Jährige Anfang Dezember, als erstmals Berichte über die eklatanten Lockdown-Verstöße am Sitz des Regierungschefs erschienen waren, eine Untersuchung abgelehnt. Es gebe „nicht genug Beweise“, hieß es damals zur Begründung – als sei deren Beschaffung nicht genuine Polizeiaufgabe. Erst Ende Januar vollführte Dick eine Kehrtwende und ließ ihre Beamtinnen die Ermittlungen aufnehmen.
Der Wunsch von Innenministerin Patel nach einer „Wiederherstellung“ des öffentlichen Vertrauens spielt auf die lange Reihe von Skandalen an, die der mit 43.500 Mitarbeitern größten und weitaus wichtigsten Polizeibehörde des Landes seit Dicks Amtsantritt 2017 zu schaffen machen. Keineswegs nur auf der politischen Linken ist die Ansicht verbreitet, die Bürgermeister Khan so zusammenfasste: In der Metropolitan Police (Met) gebe es „Rassismus, Sexismus, Homophobie, Mobbing, Diskriminierung und Frauenfeindlichkeit“. Nicht umsonst befürwortet Khans früherer Berater Nick Bowes eine komplette Neugründung der 192 Jahre alten Behörde, analog der Umwandlung der nordirischen Royal Ulster Constabulary zur PSNI im Jahr 2001.
Selbst weniger radikale Polizeikenner halten die riesige Behörde für beinahe unregierbar. Neben der Sicherheit für die Bewohner der multikulturellen 8,5 Millionen-Einwohner-Metropole zählt auch die Terrorabwehr für ganz Großbritannien zu ihren Zuständigkeiten. Bei Scotland Yard angesiedelt ist zudem der Personenschutz für die Queen und die gesamte Königsfamilie sowie die Bewachung des Parlamentsgebäudes an der Themse.
Skandale und Schlamperei
Drei Skandale hatten Dick allein im vergangenen Jahr ins Wanken gebracht. Ganz persönlich griff eine unabhängige Kommission die Präsidentin an: Diese habe die Untersuchung eines 35 Jahre zurückliegenden Mordes an einem Privatdetektiv systematisch behindert und Tatsachen verschleiert. Der Mord bleibt unaufgeklärt, vieles deutet auf eine Mitwisserschaft, womöglich sogar Mittäterschaft von Polizeibeamten hin.
Im März 2021 versammelten sich Tausende Frauen im Süd-Londoner Park Clapham Common zu einer stillen Mahnwache für die junge Londonerin Sarah Everard, die von einem Polizisten entführt, vergewaltigt und ermordet worden war. Dem Buchstaben des Gesetzes nach war die friedliche, sorgfältig auf Abstand und das Tragen von Gesichtsmasken bedachte Demonstration illegal, weshalb die Beamten vor Ort sie ruppig auflösten. Darüber zeigte sich schon damals Bürgermeister Khan so empört wie Tausende von Londonerinnen; Dick dürfte damals gerettet haben, dass die Aufsicht über die Met zwischen Bürgermeister und Innenministerin aufgeteilt ist.
Harsche Kritik übte ein Untersuchungsrichter am Vorgehen einer Mordkommission im Osten der Stadt: Die Beamten seien dem Tod eines jungen Mannes nicht auf den Grund gegangen, sodass der Serientäter weitere drei Londoner ermorden konnte. Grund für die tödliche Schlamperei sei Homophobie gewesen – alle Opfer waren schwul.
Wie wenig die Berufung der ersten Frau und gleichzeitig der ersten offen in einer homosexuellen Beziehung lebenden Person an der Mentalität vieler Beamter geändert hatte, brachten vergangenen Monat Vorgänge im innenstädtischen Polizeirevier Charing Cross ans Licht. Dort hatten Beamte in einer WhatsApp-Gruppe Fantasien über häusliche Gewalt und die Tötung schwarzer Kinder ausgetauscht. Neun von 14 Polizisten blieben im Dienst, einer wurde sogar befördert.
De Maart
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