Theaterstück „Nornen“Loki trifft auf Xi Jingping

Theaterstück „Nornen“ / Loki trifft auf Xi Jingping
Die Nornen: Catherine Elsen, Anne Klein und Frédérique Colling (v.l.n.r.) Foto: Patrick Galbats

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In „Nornen“ stürzt das Theaterkollektiv Independent Little Lies nordische Schicksalsfrauen in eine Sinnkrise und wirft spannende Grundsatzfragen auf, die jedoch in Schenkelklopfern unterzugehen drohen.

In den ersten Minuten von „Nornen“ versteht das Publikum nur Bahnhof, außer es spricht fließend schwedisch: Die titelgebenden Nornen, gespielt von Frédérique Colling, Catherine Elsen und Anne Klein, vereinen sich am Brunnen und tragen im Halblicht rhythmisch ihre Zeilen auf schwedisch vor. Eine Stimme aus dem Off unterbricht die Szenerie und versichert – keine Panik, der Rest des Stücks ist auf luxemburgisch.

Mit einfachem Bühnenbild und Kostümen im Gothic-Style führen die Regisseur*innen Claire Wagener und Jacques Schiltz in die Geschichte der Nornen ein: In der nordischen Mythologie sind sie schicksalsbestimmende Frauen, welche die Geschicke der Menschen und Götter lenken. Damit springt das Kollektiv Independent Little Lies (ILL) auf den anhaltenden popkulturellen Hype um nordische Mythologie auf. Marvel füllt seine Kassen seit Jahren mit Filmen, Serien und Merch rund um Thor und Loki, zwei ihrer Protagonisten; die erfolgreiche Serie „Game of Thrones“ enthält ebenfalls entsprechende Referenzen.

ILL präsentiert allerdings keinen billigen Abklatsch, sondern stellt die Frauenfiguren der Mythologie in den Mittelpunkt und geht den Hintergründen der Erzählungen nach. Ihr Dreigespann hat dabei mehr mit den Moiren aus Disneys Adaptation von „Herkules“ gemein als mit den „Weird Sisters“ in Shakespeares „Macbeth“: Colling, Elsen und Klein spielen gekonnt eigensinnige, streitlustige und unterhaltsame Frauen. Auf diese Weise brechen die Schauspielerinnen, alle drei in Komik erprobt, mit der mystischen Vorlage ihrer Figuren. Während den Proben feilten sie gemeinsam mit den Regisseur*innen an dem Text, für dessen Dramaturgie Samuel Hamen verantwortlich ist. 

Neue Held*innen braucht die Welt

Wie so oft ist die Modernisierung mythischer Figuren auf der Theaterbühne Geschmackssache. In „Nornen“ geht sie jedenfalls mit einer Sprache voller Anglizismen und einem rauen Umgangston zwischen den Frauen einher – Collings Figur entschuldigt sich beispielsweise an einer Stelle für den inflationären Gebrauch von „Klont“, zu Deutsch „Hure“. Die Kraftausdrücke sind der Situation der Frauen geschuldet, die eine existenzielle Krise durchleben. Immerhin steht ihre Daseinsberechtigung auf dem Spiel. Die Haupthandlung ist die Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie sie erfolgreich Geschichten erzählen können. Waren sie sich bis dahin ihrer Vorgehensweise sicher, zweifeln sie ihre Routine sowie Theaternormen jetzt an.

Neben der Frage nach der Form, stellt sich auch die nach dem Inhalt: Wen können sie überhaupt als Held*in verkaufen? Als Fallbeispiel führen Wagener und Schiltz den chinesischen Präsidenten Xi Jingping an. Jingping wird als autokratischer Machthaber bezeichnet, gleichzeitig herrscht ein Personenkult um ihn. Lullen die Nornen das Publikum zunächst mit seiner rührenden Kindheitsgeschichte ein, flechten sie schon bald Knoten in sein Schicksalsseil. Die stehen unter anderem für Jingpings Vorgehen gegen die ethnische und religiöse Minderheit der Uiguren in China. 

Damit äußern Wagener und Schiltz eine allgemeine Skepsis gegenüber den Autor*innen, denn am Ende sind sie es, die über die Inhalte einer Erzählung entscheiden. Entfernt erinnert dieser Gedanke auch an die #MeToo-Bewegung, durch die seit 2017 vermehrt über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch debattiert wird. Ähnliche Parallelen bestehen zu anti-kolonialistischen Diskursen, wie sie in Luxemburg zuletzt Lëtz Rise Up und Richtung22 lostraten. In beiden Fällen geht es ebenfalls darum, Erzählweisen zu überdenken und mit dem Kult um problematische Held*innen und Pop-Ikonen zu brechen.

Zu verkopft ist die Darbietung nicht – zum Leidwesen all jener, die sich gerne mehr auf die erzähltheoretischen Inhalte eingelassen hätten. Statt tiefergehender Überlegungen gibt es unnötige Wortspiele und Flachwitze, die das spannende Hauptthema überschatten. Dies scheint allerdings im Sinne von Jacques Schiltz zu sein. Im Interview mit dem Radiosender 100,7 beschrieb er das Stück nämlich wie folgt: „Boulevard trifft auf Philosophie – und sie boykottieren sich gegenseitig.“ Wer sich selbst ein Bild machen möchte: „Nornen“ wird nach den ersten Vorführungen im Escher Ariston an diesem Freitag, dem 26. April, um 20 Uhr im Cube 521 in Marnach aufgeführt. Weitere Vorstellungen sind im Juli im Kasemattentheater in Luxemburg-Stadt geplant.

Nornen

26. April um 20 Uhr im Cube 521 (1, Driicht, L-9764 Marnach)
3., 4., 11. und 12. Juli um 20 Uhr im Kasemattentheater (14, rue du Puits, L-2355 Luxemburg-Stadt)