Donnerstag6. November 2025

Demaart De Maart

ÖsterreichLiberale lassen Koalitionsverhandlungen mit ÖVP und SPÖ platzen

Österreich / Liberale lassen Koalitionsverhandlungen mit ÖVP und SPÖ platzen
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat die Koalitionsverhandlungen wegen nicht ausreichendem Reformwillen bei den beiden potenziellen Koalitionspartnern platzen lassen Foto: Max Slovencik/APA/AFP

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Mit dem Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen mit Christ- und Sozialdemokraten sorgte die liberale Neos-Partei zum Auftakt des dritten Rezessionsjahres in Österreich für ein politisches Erdbeben, das wohl einige Nachbeben provozieren wird. Der Profiteur des Chaos steht fest: die rechtspopulistische FPÖ.

Obwohl das Platzen der Verhandlungen schon vorige Woche im Raum stand, weil sich der vor allem von den Neos erträumte flotte Reformdreier als ziemlich lahm erwies, kam der Stopp am Freitag dann doch überraschend. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger trat vor die Presse und informierte anstatt über Fortschritte beim nächtlichen Verhandlungsmarathon nur über dessen Scheitern. In zentralen Fragen seien „leider nicht nur keine Fortschritte, sondern eigentliche Rückschritte gemacht“, beklagte sie und kritisierte, dass ihre Verhandlungspartner „wieder einmal nur bis zum nächsten Wahltag gedacht“ hätten und es wieder nur um einen Abtausch wie „auf einem Bazar“ gegangen sei. Für grundsätzliche Reformen des föderalen Systems, des Gesundheits- und Pensionssystems habe es mehrfach ein Nein gegeben. Die Kritik der Liberalen verteilt sich aber nicht gleichmäßig auf SPÖ und ÖVP, was darin zum Ausdruck kam, dass Meinl-Reisinger zwar dem amtierenden Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Karl Nehammer ausdrücklich für die Verhandlungen dankte, nicht aber dem SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler.

Tatsächlich hatten sich die unter Babler weit nach links gerückten Genossen mit ihren Forderungen nach – von ÖVP und Neos abgelehnten – Vermögens- und Erbschaftssteuern als harte Nuss erwiesen. Selbst der ÖVP nicht fern stehende Finanzexperten hatten allerdings angesichts eines auf heuer voraussichtlich über vier Prozent ausufernden Budgetdefizits auch zu einnahmenseitigen Sanierungsmaßnahmen geraten.

Anti-Kickl-Koalitionen

Drei Monate nach den von der FPÖ gewonnenen Nationalratswahlen heißt es damit zurück an den Start. Wie es weitergehen soll, wusste gestern niemand zu sagen, wohl auch, weil es selbst keiner der Akteure weiß. Die Alternativen zur „Zuckerkoalition“ unter Ausschluss der Freiheitlichen sind eher nur noch theoretische Optionen. Zur Not könnten SPÖ und ÖVP auch ohne Neos weitermachen, was aber nicht nur angesichts des tiefen ideologischen Grabens, sondern auch wegen der Mehrheitsverhältnisse im Parlament unwahrscheinlich ist: Beide Parteien hätten zusammen nur ein Mandat Überhang, weshalb schon die Abwesenheit einer oder eines Abgeordneten das Ende bedeuten könnte.

Ein Ausweg wäre die Hereinnahme eines dritten Partners, der mit den Grünen zwar zur Verfügung stünde. Das würde wohl vielen in der SPÖ gefallen, die nicht gerade in ihrem Wahlkreis ein Straßenbauprojekt realisieren möchten. Für die ÖVP käme es allerdings einer Neuauflage der gerade im Dauerstreit beendeten Koalition mit den Grünen sehr nahe – mit noch größerem Konfliktpotenzial durch die rote Beteiligung.

Babler & Nehammer vor Aus?

Nach dem Scheitern der Verhandlungen ist aber nicht nur unklar, wie es weitergeht, sondern auch mit wem. Nehammer und Babler sind jedenfalls angezählt. Für den einen war nach dem Wahldesaster im September die Bewahrung des Kanzleramtes für seine Partei die Überlebensversicherung, für den anderen der erhoffte Abschied der Genossen von der harten Oppositionsbank. Sowohl in der ÖVP als auch in der SPÖ hatten viele ihren Unmut über die an der Spitze verbliebenen Wahlverlierer nur mühsam unterdrückt. Je länger sich die Verhandlungen hinzogen und je mehr sich deren Scheitern abzeichnete, desto lauter wurde das Rumoren hinter den Kulissen.

Gegen Babler hat der Parteirebell Rudi Fußi seinen Hut in den Ring geworfen. Schon vor Weihnachten hatte er angekündigt, mehr als 46.000 Unterschriften von SPÖ-Mitgliedern für eine Neuwahl des Parteivorsitzes gesammelt zu haben. „Damit wird Andreas Babler ohnehin Geschichte sein“, so Fußi, der gestern auch den Noch-Vorsitzenden für das Debakel verantwortlich machte: „Regierungsverhandlungen an weltfremdem Babler-Kurs gescheitert. Gratulation an diese Dilettanten!“, postete Fußi auf X.

Hoffen auf „Messias“

Unter den Christdemokraten wiederum wächst gerade die Sehnsucht nach einem, der sie schon einmal aus dem Jammertal geführt hat. In geschlossenen ÖVP-Facebookgruppen etwa löste gestern die Schlagzeile der deutschen Bild-Zeitung „Ex-Kanzler Kurz vor Sensations-Comeback“ geradezu euphorische Kommentare aus. „Ja, bitte“, postete ein ÖVPler. Schon zu Wochenbeginn war dort der Hilferuf „Sebastian, wir brauchen Dich!“ zu lesen. Diskutiert werden in den ÖVP-Foren auch interne Umfragen, denen zufolge der vor drei Jahren als Spätfolge des Ibiza-Skandals zurückgetretene Ex-Kanzler der Einzige sei, der die ÖVP wie schon einmal 2017 aus dem Tief führen könne. Eine Wiederholung dieser Geschichte, das ist es, wovon viele in der ÖVP jetzt träumen. Bedenken, dass der im Vorjahr erstinstanzlich (noch nicht rechtskräftig) wegen Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss zu acht Monaten bedingter Haft Verurteilte nicht wirklich für ein Comeback prädestiniert sei, werden mit Verweisen auf den gegen justizielle Probleme offenbar immunen Donald Trump vom Tisch gewischt.

Der „Messias“ selbst hält sich bedeckt. Offiziell gilt noch immer sein Mantra, wonach er sich in seinem neuen Dasein als Unternehmer wohlfühle und ein Comeback kein Thema sei. Doch in den vergangenen Wochen hatte Kurz auffällig häufig Interviews gegeben und dabei nicht mit politischen Aussagen gespart. Der Wiener Boulevard-Sender oe24 wusste gestern zu berichten, dass Kurz gegenüber Vertrauten seine Bereitschaft zum Comeback erklärt habe, wenn man ihn frage.

Es riecht nach Neuwahl

Die Rolle des Juniorpartners in einer blau-türkisen Koalition erscheint nicht wenigen in der ÖVP noch immer attraktiver als der Chefsessel in einem alles andere als flotten Dreier mit Linken und Liberalen. Doch ein fliegender Wechsel in Herbert Kickls Arme ist schwer vorstellbar. Zum einen hat die ÖVP den FPÖ-Chef zum Gottseibeiuns erklärt, zum anderen hat dieser selbst eine alte Rechnung mit der ÖVP, insbesondere mit Kurz, offen: Nach dem Platzen des Ibiza-Skandals im Jahr 2019 und dem Rücktritt des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache hatte Kurz Kickls Abgang als Innenminister als Preis für eine Fortsetzung der türkis-blauen Koalition verlangt, obwohl dieser mit dem Skandal um die in einer Villa auf der Urlaubsinsel geheim aufgezeichneten Korruptionsfantasien seines Chefs gar nichts zu tun hatte. Das ÖVP-FPÖ-Bündnis war damit Geschichte.

Da jetzt keine realistische Koalitionsvariante in Sicht ist, riecht es in Wien nach Neuwahlen. Auch diese Option kann Kickl nur Recht sein. Die FPÖ segelt schon Richtung 40 Prozent. Bei der Wahl Ende September hatten die Blauen noch mit knapp 29 Prozent der Stimmen Platz eins erobert. Die ÖVP hat dagegen seither weiter an Boden verloren und liegt bei etwa 20 Prozent ex aequo mit der SPÖ etwa dort, wo 2017 Sebastian Kurz an die Spitze trat. Sein Erlöserpotenzial dürfte allerdings inzwischen begrenzt sein. Dem Ex-Kanzler drohen weitere Gerichtsverfahren, demnächst wird ihn sein Ex-Vertrauter Thomas Schmid als Kronzeuge in einem Verfahren belasten, in dem es um den Kauf von wohlwollender Berichterstattung mit vom ÖVP-geführten Finanzministerium in Boulevardmedien geschalteten Inseraten geht. Anders als 2017 würde Kurz dieses Mal nicht als junger Newcomer, sondern aus der Defensive starten. Ob er sich das wirklich antun will, ist auch angesichts der Millionen, die er gerade im digitalen Business scheffelt, fraglich.