Dienstag11. November 2025

Demaart De Maart

Am FreitagLetztes Jahr in Marienbad: Avant-Pop-Künstlerin Julia Holter kommt nach Düdelingen

Am Freitag / Letztes Jahr in Marienbad: Avant-Pop-Künstlerin Julia Holter kommt nach Düdelingen
Die US-amerikanische Künstlerin Julia Holter spielt am Freitagabend im Kulturzentrum „opderschmelz“ Foto: Camille Blake

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Julia Holter bringt das Experiment in den Pop. Oder ist es umgekehrt? Ihre Musik zumindest ist erhaben und erhebend. Und doch zu jeder Sekunde ein Tanz am Abgrund.

Manchmal braucht es den Hinweis eines guten Freundes, um etwas zu sehen, das einem selbst zuvor verborgen geblieben ist. „Du kennst Julia Holter nicht?“, fragte mich ein guter Freund vor einigen Jahren. Wir standen, das weiß ich noch, vor meinem Plattenregal, hatten gerade von Kate Bush und Joanna Newsom geschwärmt, die wir beide sehr schätzten, er fügte den Namen „Julia Holter“ in die Reihe und ich antwortete mit einem fragenden Blick. „Du kennst Julia Holter nicht?“ Sätze wie dieser klingen in den Ohren der meisten Menschen zu Recht wie die Spitze des Musik-Snobismus. Zu Recht, weil sie meist genauso gemeint sind – als Distinktionswerkzeug. Mein Freund aber legte damals keine Spur von Überheblichkeit in seine Stimme. Vielmehr war da etwas anderes, ein kleines bisschen Verwunderung, vor allem aber Vorfreude auf die anstehende Entdeckung, zu der er mir verhelfen würde.

„Du kennst Julia Holter nicht?“ war also mein Einstieg in den Kosmos dieser US-amerikanischen Künstlerin, irgendwo zwischen Ambient, Electronica, Folk, Pop und Neue Musik. Kosmos, diese Kunstkritik-Phrase nutze ich hier ganz bewusst, denn ergründen oder durchdringen konnte ich die weite Welt der Julia Holter trotz vieler Stunden vor den Lautsprechern bis heute nicht. Ein Rest Mysterium ist geblieben. Dass dieses Rätsel sich niemals auflöst, erklärt die große Sogkraft dieser Musik. Damals, es muss 2012 gewesen sein, hatte Holter gerade ihr zweites Album „Ekstasis“ veröffentlicht. Mein Freund schenkte es mir kurz nach unserem Gespräch, ob zum Geburtstag oder Weihnachten habe ich vergessen. Woran ich mich jedoch genau erinnere, ist das erste Mal, als ich den ersten Track dieses Albums gehört habe.

Klingt verkopft, geht aber ins Herz

„Marienbad“ beginnt mit einem plätschernden Synthie. Die ersten Zeilen prallen im Stakkato auf den Hörer: „I-can-hear-a-sta-tue, won-der-why-they’re-so-still“. Plötzlich beginnt Holters Stimme mit sich selbst zu tanzen, sie verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht sich. Ein kleines Orchester setzt ein, versucht Holter einzufangen. Bis heute muss ich bei diesem Song an den Statuen-Garten von „L’Année dernière à Marienbad“ denken. Ich kannte Alain Resnais’ labyrinthischen Film noch aus dem Studium. Sein Spiel mit Traum und Realität, mit Vergangenheit und Gegenwart passt so perfekt zu diesem fluiden Song, dass ich Julia Holter mit der Titelwahl Absicht unterstelle – ohne es jemals nachweisen zu können.

So oder so steht „Marienbad“ symptomatisch für den Beginn ihrer Karriere. Atmosphäre über Struktur. Mehr Vibe als Song. Was nicht bedeuten soll, dass ihre Musik unterkomplex ist. Holter ist studierte Komponistin, ihre Musik folgt einem Konzept. Ihre frühen Alben basierte sie auf Literatur, ihr Debüt „Tragedy“ von 2011 arbeitet Euripides’ antikes Drama „Hippolytos“ auf, „Loud City Song“ von 2013 die Novelle „Gigi“ der französischen Schriftstellerin Colette. Das klingt verkopft, geht aber ins Herz. Weil Holter trotz aller Intellektualisierung dem Drang zur Melodie gefolgt ist. Ihre Entwicklung der vergangenen Jahre ist erstaunlich. Während Holters Songs sich immer deutlicher weg vom Experiment hin zum Pop bewegen, ist ihre Arbeitsweise experimenteller geworden. Vorbei ist die Zeit der starren Konzepte, heute spielt sie intuitiver, improvisierter. 

Den vorläufigen Höhepunkt hat diese Entwicklung auf „Something in the Room She Moves“ gefunden, dem Album, das Julia Holter im März dieses Jahres veröffentlicht hat. Auf dem gleichnamigen Song ist alles da: die sanfte, jazzige Instrumentierung, die Harmonie ihrer Stimme, die Melodien. Ein erhabener, erhebender Pop-Song – und doch zu jeder Sekunde ein Tanz am Abgrund. Schönheit kurz vor der Auflösung. Pop und Experiment. Der Titel ist nur eine kleine Drehung vom Beatles-Zitat „Something in the way she moves“ entfernt – und schon öffnet sich ein ganz neuer Raum, eine neue Welt.

Julia Holter in Luxemburg

Freitagabend, 29. November, ab 19 Uhr im Kulturzentrum „opderschmelz“ (1a, rue du Centenaire) in Düdelingen, noch wenige Tickets und weitere Informationen: atelier.lu.