Seit 77 Jahren regieren die Christdemokraten im „heiligen Land“, jahrzehntelang mit absoluter Mehrheit, zuletzt mit den Grünen. Diese auch auf Bundesebene regierende Koalition wurde am Sonntag in Tirol abgestraft und abgewählt. Während die Grünen mit einem Rückgang 10,7 auf 9,2 Prozent der Stimmen vergleichsweise glimpflich davonkamen, stürzte die ÖVP von 43,3 Prozent bei der letzten Landtagswahl 2018 auf 34,7 Prozent ab. Bei der Wahlparty im Innsbrucker Arkadenhof brandete Sonntagabend dennoch Jubel auf, als das Ergebnis am Bildschirm aufblitzte. Der in manchen – von der ÖVP auch zur Mobilisierung genützten – Umfragen prognostizierte Super-Gau eines Absturzes unter die 30-Prozent-Marke ist nämlich ausgeblieben. ÖVP-Spitzenkandidat Anton Mattle, der den seit Beginn der Corona-Pandemie im Kreuzfeuer der Kritik stehenden Landeshauptmann Günther Platter ablösen soll, befindet sich sogar in einer taktisch komfortablen Position. Der 59-jährige, der 1999 als Bürgermeister von Galtür nach der dortigen Lawinenkatastrophe mit 38 Toten über Österreich hinaus bekannt wurde, präferiert eine Koalition mit den Sozialdemokraten, hat aber auch andere Optionen in unterschiedlichen Dreierkonstellationen mit Grünen und/oder Neos sowie der 2008 von der ÖVP abgespaltenen „Liste Fritz“. Nur eine Regierung mit der FPÖ schloss Mattle am Montag wie schon im Wahlkampf kategorisch aus. Da die ÖVP Stabilitätsgarant sein will, bleibt nur das Bündnis mit der SPÖ, da alle anderen Varianten im Landtag bloß mit einem bzw. zwei Mandaten abgesichert wären.
SPÖ unter Erwartung
Für die Sozialdemokraten ist die Regierungsbeteiligung auch Trost für ein eigentlich enttäuschendes Wahlergebnis. Denn das magere Plus von 0,2 auf 17,5 Prozent entspricht nicht dem Höhenflug in den Umfragen. Obwohl die massive Teuerung infolge der Ukraine-Krise auch im Landtagswahlkampf dominierte und die Genossen laut nach weitergehenden Ausgleichsmaßnahmen riefen, blieben sie mit Landeschef Georg Dornauer unter den Erwartungen.
FPÖ auf Platz zwei
Besonders bitter für die SPÖ ist der Aufstieg der FPÖ zur zweitstärksten Kraft. Die Rechtspopulisten bleiben zwar vom Mitregieren ausgeschlossen, konnten aber mit einem Plus von 3,3 Prozent auf 18,8 Prozent zulegen und so die SPÖ überflügeln. Die Freiheitlichen hatten sich freilich noch etwas mehr Rückenwind für ihren Präsidentschaftskandidaten Walter Rosenkranz erhofft, der am 9. Oktober den aus Tirol stammenden Amtsinhaber Alexander van der Bellen in eine Stichwahl zwingen möchte.
Atempause für Nehammer
Auch in der Wiener ÖVP-Zentrale herrscht Erleichterung, auch wenn man sich mit Wortspenden zum nicht wirklich berauschenden Wahlergebnis zurückhält. Wäre in Tirol das Worst-Case-Szenario eingetreten, hätte sich eine Obmanndebatte kaum verhindern lassen. Die Frage, ob Kanzler Karl Nehammer noch fest im Sattel sitzt, wird ohnehin nur noch mühsam unter der Decke gehalten, seit Generalsekretärin Laura Sachslehner zwei Wochen vor dem Tiroler Urnengang ihren Rücktritt damit begründet hatte, dass die ÖVP nicht mehr ihre Werte vertrete. Die 28-Jährige wollte nicht akzeptieren, dass der 500-Euro-Klimabonus als Ausgleich für Teuerung und CO2-Bepreisung an alle in Österreich lebenden Menschen, also auch an Asylwerber ausgezahlt wird. Der Streit offenbarte die Spaltung der ÖVP in einen christlich-sozialen und einen eher rechtspopulistischen Flügel, aber auch Nehammers Schwäche: Da die Grünen das Thema zur Koalitionsfrage erklärten, musste er Sachslehner und ihre gar nicht so kleine Fangemeinde auch in der Tiroler ÖVP ignorieren.
Superwahljahr 2023
Dass sich die Unmutsäußerungen darüber in Grenzen hielten, war auch dem Wahlkampf geschuldet. Und der ist nach dem jüngsten Urnengang nicht zu Ende. In Niederösterreich, wo die ÖVP noch mit absoluter Mehrheit regiert, steht im Jänner der nächste Absturz der Türkisen bei einer Landtagswahl an. Im Frühjahr werden zudem die Landtage in Kärnten und Salzburg gewählt. Nirgendwo befindet sich die ÖVP im Aufwind, überall droht ihr der Absturz von den guten Ergebnissen, die sie 2018 im Windschatten des inzwischen entzauberten Polit-Wunderkindes Sebastian Kurz errungen hatte. Noch fordert aber niemand in der ÖVP Nehammers Kopf. Aber das ändert sich in der ÖVP bekanntlich sehr schnell.
De Maart
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