ZeitgeschichteKoloniale Verflechtungen Luxemburgs

Zeitgeschichte / Koloniale Verflechtungen Luxemburgs
Dokumente, die Luxemburgs koloniale Vergangenheit belegen Foto: Kevin Goergen

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1879 beauftragte der belgische König Leopold II. den britisch-amerikanischen Forscher Henry M. Stanley damit, den Kongo zu erschließen. Das für die Europäer weitgehend unbekannte Gebiet hatte bis dato wenig Beachtung von anderen Kolonialmächten gefunden, da diese dort wenig Ressourcen vermuteten.

Die Kartografierung Afrikas durch die europäischen Mächte manifestierte sich vor Ort als gewaltsamer Konflikt. Die im Kongo lebenden Bevölkerungen sollten durch „Verträge“, die die lokalen Bewohner in den allermeisten Fällen nicht lesen konnten, unterworfen werden. Die Forschungsreisen waren de facto militärische Strafexpeditionen.

1882 schließt sich der aus Buschrodt stammende Offizier Nicolas Grang der Expedition unter Stanley an. Er stirbt ein Jahr später in Léopoldville an einer Erkältung, nachdem er zuvor an militärischen Angriffen beteiligt gewesen war. Als erster, aber nicht als einziger Luxemburger – wie die Ausstellung „Le passé colonial du Luxembourg“ im Musée national d’histoire et d’art (MNHA) gerade zeigt – war er bei der Kolonisierung des Kongos beteiligt.

Ab den 1920er Jahren kam es zu einer verstärkten luxemburgischen Teilnahme in Belgisch-Kongo durch die Zusammenarbeit mit Belgien in der Wirtschaftsunion und der Gleichstellung mit den belgischen Beamten in der Kolonialverwaltung. In den kommenden Jahren wurden die „Luxemburger Pioniere“ in ein koloniales Narrativ eingebettet, indem ihnen bspw. Denkmäler und Straßen gewidmet wurden.

Der 1925 gegründete „Cercle colonial luxembourgeois“ (CCL) bemühte sich, koloniales Engagement zu verbreiten und stieß bei der luxemburgischen Elite rasch auf Interesse. Ab 1930 stand der CCL unter der Schirmherrschaft des Regierungschefs und 1933 unter dem „Très haut protectorat“ von Prinz Felix. Am 7. März 1940 organisierte der CCL im Festsaal der ARBED eine Konferenz zu der „collaboration coloniale belgo-luxembourgeoise“. Unter den 800 Teilnehmern waren Großherzogin Charlotte, Staatsminister Dupong und Außenminister Bech.

Ab den 1950er Jahren setzte sich der luxemburgische Botschafter in Brüssel, Lambert Schaus, dafür ein, die Bedeutung seiner Landsleute für die belgische Kolonialherrschaft hervorzuheben und ein koloniales Interesse in Luxemburg zu stärken. Sein 1951 gehaltener Vortrag „L’apport du Grand-Duché de Luxembourg à l’œuvre coloniale belge“ wurde in „La Revue coloniale belge“ und der luxemburgischen Wirtschaftszeitung „L’écho de l’industrie“ veröffentlicht. Letztere publizierte in den 1950er Jahren mehrere Artikel (u.a. von Carlo Hemmer) über den kongolesischen Markt, um diesen für luxemburgische Unternehmen attraktiv zu machen. Die Aktivitäten begrenzten sich nicht nur auf die belgische Kolonie; so besaßen die großherzogliche Familie und die von Prinz Felix 87% der Aktien der GRANDUCOL. Diesem u.a. mit luxemburgischem Kapital gegründeten Unternehmen gehörten Baumwollplantagen in der portugiesischen Kolonie Mozambique.

Stärker als eine „politische Kolonialgeschichte“ verdeutlicht der Blick auf die Missionierung die transnationale Verflechtung von Kolonialismus. Missionare waren wenig gebunden an die „eigenen“ Kolonien. Das bedeutet, dass auch luxemburgische Missionare weit über die Kolonie der „belgischen Freunde“ hinaus tätig waren. Wenn die Aktivitäten der kolonialen Bewegungen wie der CCL besonders Anklang bei den Mächtigen fanden, hatte die Missionsarbeit einen beträchtlichen Einfluss auf die gesamte Gesellschaft. Als Teil des kolonialen Projekts trug missionarische Arbeit in besonderem Maße zum kolonialen Denken innerhalb Luxemburgs bei – welches womöglich bis heute ein Bild von Afrika und den Blick auf schwarze Menschen und „people of color“ (PoC) prägt.

Luxemburgischer Kolonialismus

Die Beschäftigung mit den kolonialen Verflechtungen eines Staates, der keine Kolonie besaß, mag auf den ersten Blick irritierend klingen. Genauso wie die Tatsache, dass der CCL in die „Fédération internationale des coloniaux et anciens coloniaux“ aufgenommen wurde. Die Forschung der letzten Jahrzehnte verdeutlicht jedoch, dass das Thema Kolonialismus nicht nur für Länder, die über Kolonialbesitz verfügten, relevant ist. Denn koloniale Herrschaft war vielschichtig und komplex; weder vor Ort in den Kolonien (Peripherie) lässt sich diese nationalstaatlich eingrenzen, noch waren koloniale Diskurse innerhalb Europas (Metropole) national beschränkt. Völkerschauen als Mechanismus eines hegemonialen Diskurses, der die „Anderen“ (die Kolonisierten) abwertet und zu Subjekten kolonialer Herrschaft reproduziert, gab es beispielsweise auch in Luxemburg.

Eine globalhistorische Analyse ermöglicht es, Luxemburg als Teil der kolonialen Metropole zu begreifen und somit über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus die Einflüsse auf die luxemburgische Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur zu untersuchen. Dabei kann die Metropole nicht als homogene Einheit gefasst werden, ohne Differenzen zu beachten. Für die Forschung stellt sich demzufolge die Frage nach dem spezifisch „luxemburgischen Kolonialismus“. Es greift zu kurz, wenn wir die Rolle Luxemburgs lediglich als die eines zufälligen „Trittbrettfahrers“ deuten oder sie auf eine individuelle Partizipation reduzieren, ohne der Frage nach strukturellen Interessen und Handeln nachzugehen. Die koloniale Vergangenheit ist als Teil der eigenen Geschichte erklärungsbedürftig.

Die Verwirklichung kolonialer Projekte ist der Versuch, Menschen zu Subjekten der Herrschaft zu machen. Metropole und Peripherie stehen dabei in einer Wechselbeziehung und in einem widersprüchlichen Verhältnis zwischen dem imaginierten Bild und der Realität vor Ort. Gewalt als Basis jeder kolonialen Ordnung resultierte gerade aus der Fragilität staatlicher Herrschaft und wirtschaftlicher Kontrolle in der Peripherie. Ideologien wie der Rassismus sollten dabei Gewalt, Ausbeutung und strukturelle Diskriminierung rechtfertigen und „rational“ begründen.

1910 trat im Belgisch-Kongo, als Instrument der Bevölkerungskontrolle, der „passeport de mutation“ für alle Kolonisierten in Kraft, die ihren Wohnort verließen. Historisch gesehen werden dort Gesetze erlassen, wo die Macht vor einem Problem steht. Allerdings kann der alleinige Blick auf die Gesetzgebung die Verhältnisse verschleiern. So wurde bspw. der Gesetzentwurf von 1936 zum Schutz von „indigenen“ Mädchen – was auf nicht wenige sexuelle Handlungen von Kolonialherren mit Minderjährigen schließen lässt – in der Praxis vom Gericht kaum angewendet.

Luxemburg konnte sich, als Staat ohne Kolonialbesitz, auf die Verwaltung der Kolonialmacht vor Ort stützen. Eine Gesetzgebung wie in Belgien für sogenannte „métis“ gab es in Luxemburg nicht. Wenn das Kind vom luxemburgischen Vater anerkannt wurde, konnte es nach Luxemburg kommen. Der Sachverhalt vernebelt jedoch die Frage, wie viele Kinder nicht von ihren luxemburgischen Vätern anerkannt wurden, weil das koloniale System vor Ort dies ermöglichte.

Post-koloniales Luxemburg

Das weitgehend fehlende Problembewusstsein der kolonialen Vergangenheit Luxemburgs äußert sich nicht nur in der Politik, sondern auch im gegenwärtigen öffentlichen Diskurs – was zuletzt die vom MNHA organisierte Table ronde „Lëtzebuerg: e koloniale Staat?“ zeigte. Dabei rückt, mit der Sichtbarmachung von Rassismus, dem ungleichen Verhältnis zwischen globalem Norden und globalem Süden und den Herausforderungen einer post-kolonialen Gesellschaft, verstärkt die eigene koloniale Vergangenheit in den Fokus.

Eine historische Expertise kann eine Debatte nähren und bleibt dennoch ein Beitrag unter vielen (wobei ein geschichtswissenschaftlicher Diskurs vergleichsweise eher langsam „wirkt“). Das von der Luxemburger Regierung finanzierte Forschungsprojekt des C2DH ist ein Baustein bei der Aufarbeitung der luxemburgischen Kolonialgeschichte. Dabei geht es bei einer historischen Analyse auch darum, nach dem Handlungsraum der Kolonisierten zu fragen, um nicht den hegemonialen Diskurs und ein koloniales Verhältnis zu reproduzieren.

Forschung kann nicht losgelöst sein von einer gesellschaftlichen Debatte, die hierzulande verstärkt seit den letzten Jahren durch anti-rassistische Gruppen vorangetrieben wird. Ein dialogisches Erinnern – in der die Perspektive von schwarzen Menschen elementar ist – ermöglicht es, eine Sensibilität für die Konsequenzen und Kontinuitäten von Kolonialismus zu schaffen, ohne die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte (wer mit welcher „Identität“ dazu arbeitet) zu essentialisieren.

Welche Rückwirkungen lassen sich in einer Gesellschaft erfassen, das nie eine eigene Kolonie besaß? In welchem Zusammenhang stehen koloniales Denken und die katholische Kirche? Inwieweit beruht die gegenwärtige Wirtschaftsordnung auf einer Kontinuität asymmetrischer Machtverhältnisse? Nicht zuletzt zeigen die Erfahrungen von Rassismus-Betroffenen, dass Kolonialismus durchaus Gesellschaften ohne Kolonialbesitz bis heute prägt und es notwendig ist, sich auch umfassend mit den Schattenseiten der Geschichte zu beschäftigen.


* Kevin Goergen ist Doktorand am Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) der Universität Luxemburg und forscht zur Kolonialgeschichte Luxemburgs.

Robert Hottua
3. Juli 2022 - 10.37

Guten Tag Herr Goergen, die transnationale Verflechtung von Kolonialismus ist mit der transnationalen Verflechtung von abwertendem, der Bevölkerungskontrolle verpflichtetem Eugenismus gekoppelt. Was heißt "die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte essentialisieren"? MfG Robert Hottua