Samstag8. November 2025

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Klangwelten: Das hören unsere Musik-Experten

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So klingen die Champions: „MARTERIA & CASPER – 1982“

Sie mögen sich, ihre Biografien ähneln sich: im selben Jahr geboren, zur selben Zeit als sprechsingende Künstler (fernab des Gangster-Gehabes) den großen Durchbruch geschafft mit Nummer-eins-Alben, Models geehelicht und traditionsreichen Fußballvereinen die Treue gehalten (Hansa Rostock und Arminia Bielefeld). Ihr Engagement lavierte deutschsprachigen Hip-Hop aus der Schmuddel ecke und zeigte mehrheitsfähige Alternativen in Pop und Rock auf, die sogar den Kritikern gefielen.

Auf dem Gipfel ihres Schaffens nun eine Kollaboration: Originell, geistreich und ein bisschen retro sind Marten Laciny und Benjamin Griffey auf ihrem Album unterwegs. Sie machen ihr Ding, so eigensinnig und unangepasst wie möglich, ohne zwanghaft alles neu, alles anders fabrizieren zu müssen. Mehr so relaxt und gechillt ist ihr Style beim Aufarbeiten der Erlebnisse. Wie in „Omega“: kein Plan und Ziel, ein bisschen durch die Gegend schlawinern, während aus dem Autoradio der Bass entspannt pocht und die Synthies fröhlich trällern. Oder in „Chardonnay & Purple Haze“: Alles dreht sich um den Rausch, den unterschiedliche Substanzen herbeiführen können, von Hektik beim Dub-Offbeat keine Spur.

Die beiden Anti-Rüpel-Rapper können auch anders, aber selbst dann vergessen sie nie ihre gute Erziehung, ob im übergeschnappten Kopfnicker „Champion Sound“ mit schrägen Gitarrenriffs, Bläsern und Drums oder im aggressiven „Willkommen in der Vorstadt“ mit gruseligem Glockenspiel-Loop und Autotune-Effekt. Auch das durchgeknallte „Adrenalin“ im Tech-Rap-Modus macht ordentlich Rambazamba, doch verliert es sich nie unbedacht in Übertreibungen. Mit minimalen Strukturen erzielt „2018 (Gratulation)“ maximale Effekte. Das gilt für das komplette Album: ein maßvoller Einsatz der Mittel, ein Weniger-ist-mehr als Credo der gemeinsamen Arbeit.

Also bitte: Sympathische Musiker liefern sympathische Musik. Es gibt weitaus Skandalöseres, was zwei Star-Rapper so anstellen könnten.

WERTUNG: Oliver Seifert vergibt sieben von möglichen zehn Punkten.


Ein Drittel House Of Pain: EVERLAST – Whitey Ford’s House Of Pain

Erik Francis Schrody ist Everlast und war bekanntermaßen ein Drittel von House of Pain. Die geniale Rap-Band, die es nur auf drei Alben brachte – „House Of Pain“ (1992), „Same as It Ever Was“ (1994) und „Truth Crushed To Earth Shall Rise Again“ (1996) – setzte sich neben ihm noch aus Daniel O’Connor alias Danny Boy und Leor Dimant alias DJ Lethal zusammen.

Letzterer bereist gerade als DJ der Nu Metaller Limp Bizkit den Globus, während Everlast endlich mal wieder ein neues Soloalbum fertigstellen konnte. „Whitey Ford’s House Of Pain“ ist sein insgesamt siebtes, zählt man die 2013 veröffentlichte Compilation „The Life Acoustic“ mit neu aufgenommenen Akustikversionen bekannter Songs nicht mit.

Der Albumtitel erinnert an „Whitey Ford Sings The Blues“, sein zweites Solowerk aus dem Jahr 1998. Wie damals ist er auch heute noch ein Cross over-Fan. Was bei ihm nicht heißt, Thrash Metal oder Hardcore mit Hip-Hop zu kombinieren. Everlast wirft stattdessen Hip-Hop, Rock, Folk, Funk, Blues und R’n’B in einen Topf. Seine Stimme klingt auch noch wie früher: rau und heiser, als hätte er viel geraucht und viel Hochprozentiges in sich rein gegossen.

Diesmal habe er „einfach alle Tools meiner Werkzeugkiste eingesetzt“, sagt Everlast. Dazu zählten neben Beats, Scratches und Samples auch die Akustikgitarre und Streicher, wie sie in „Summer Rain“ zu hören sind. Genial ist der Hip-Hop-Ohrwurm „Oooohh (I Don’t Need You)“, in der sich ein ge wisser Slug (Sean Michael Daley) zu Everlast gesellt. Letzterer spricht seinen Text heiser runter, während Slug, eine Hälfte des Hip-Hop-Duos Atmosphere, geschmeidig rappt. Mit „It Ain’t Easy“ tritt Everlast allerdings in die Kitschfalle und trägt zu dick auf. Das bleibt aber der einzige Fehltritt auf diesem Album, das mit der Ballade „One Of Us“ sehr stark beginnt und mit „Slow You Roll“ einen weiteren großartigen Gastauftritt parat hält – diesmal von Aloe Blacc.

WERTUNG: Kai Florian Becker bewertet das Album ebenfalls mit sieben Punkten.


Alte Hüte auf neuen Gesichtern: THE VINTAGE CARAVAN – Gateways

Die isländische Band The Vintage Caravan macht ihrem Namen alle Ehre. Das neue Album „Gateways“ könnte auch ein archäologisches Fundstück aus einem ausrangierten Hippiewohnwagen der 1970er sein.

Im Spannungsfeld zwischen Epigonie und eigenem Gestaltungswillen ist ein Album entstanden, das die Rockgeschichte zwischen 1980 und 2010 unbekümmert ignoriert und dafür den Anspruch vertritt, zwischen Deep Purple und Black Sabbath ins Plattenregal zu passen.

Der Opener „Set Your Sights“ lässt keine Zweifel daran aufkommen, wo die Reise hingeht. Die Riffs stammen aus den „guten, alten Zeiten“, in denen pathetische Klänge voller Bombast noch nicht als Kitsch verlacht wurden.

In dem Stil geht es herrlich erfrischend weiter – die Verweigerungshaltung gegenüber dem verkopften Bedürfnis nach vermeintlicher Innovation wurde selten in eine so rohe, ursprüngliche Form gegossen. Die Produktion ist jedoch ganz klar 21. Jahrhundert und fällt vielleicht einen Tick zu sauber aus.

Die Jungs machen Musik für Hörer, die Led Zeppelin immer noch für die beste Band der Welt halten. Mit Songs wie „Nebula“ und „All This Time“ müssen sie sich auch nicht vor den Größen des Genres verstecken. Den schwächsten Song der Platte, nämlich „Tune Out“, haben sie wohlweislich ans Ende gepackt. So fällt den wenigsten auf, dass sie leider auch wie die Scorpions klingen können.

WERTUNG: Tom Haas gesteht The Vintage Caravan acht Punkte zu.


Angriff der Geister: ESSENZ – Manes Impetus

Die Berliner Doom/Death/Black-Metaller Essenz gehören zu den interessantesten Genrevertretern. Die beiden ersten LPs „KVIITIIVZ – Beschwörung des Unaussprechlichen“ und „Mundus Numen“ sind im Grunde starke, stilistisch eigenständige Platten. Allerdings zum Teil mit etwas zu viel Midtempo und Drone-Ambient-Bass-Geschrubbe. Doch nun haben sie endlich das Album vorgelegt, das ich mir sozusagen immer von ihnen gewünscht habe! Gleich im Opener „Peeled & Released“ wird gnadenlos von Anfang an Gas gegeben, aufgelockert nur durch gelegentliche beinahe punkige Riffs, bevor sich der Song gegen Ende immer mehr in pechschwarze Raserei steigert und bereits das Album-Highlight darstellt.

Die mal doomigen, meist aggressiven Riffs (die ab und zu an Mayhem oder gar The Ruins Of Beverast erinnern), die charismatischen Vocals von Frontmann G.ST und das wahnwitzige Gebolze von Drummer T. Engl kennzeichnen jedoch auch die restlichen Songs, mit Ausnahme des definitiv zu lange geratenen Ambient-Tracks (sie können dann wohl doch nicht ganz ohne …) „Sermon To The Ghosts“. Der Sound ist druckvoll, ohne glatt poliert zu sein, und bei aller Raserei wird auch Wert auf Atmosphäre gelegt, sei es durch gelegentliches Tempo-Rausnehmen, geisterhafte Soundspielereien oder gar den subtilen Einsatz einer „Hans-Zimmer-Orgel“ am Anfang von „Amortal Abstract“. Diese Platte ist (Achtung, schlechtes Wortspiel!) Essenz -iell!

WERTUNG: Steve Rommes verteilt mit neun von zehn Punkten für heute die beste Wertung.