Sonntag9. November 2025

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Klangwelten: Die neuen Alben von Helrunar, Marissa Nadler und Riverside

Klangwelten: Die neuen Alben von Helrunar, Marissa Nadler und Riverside

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In dieser Ausgabe der Klangwelten nimmt unser Autor Steve Rommes die neuen Alben von Helrunar, Marissa Nadler und Riverside unter die Lupe. Wer auf Black Metal und sphärischen, melancholischen Progressive Rock steht, sollte sich diese Ausgabe also nicht entgehen lassen.


Zurück zu alter Stärke

Die deutschen (Pagan-)BlackMetaller Helrunar haben mit dem komplexen, (post-)apokalyptischen Doppelalbum „Sól“ 2011 ein Werk veröffentlicht, das heute zu meinen Lieblingsalben zählt. Die Mischung aus ebenso eingängigen wie melodiösen und brutalen Riffs, das meist hohe Tempo, der „fette“ Sound (ich weiß, das hören Puristen nicht gerne …) und die hoch interessanten Texte wurden auf diesem Meisterwerk – nach den eh bereits exzellenten Vorgänger-Alben – auf den Punkt gebracht. Ausfälle? Fehlanzeige. Umso größer war die Enttäuschung, als der schleppende, größtenteils langweilige Nachfolger „Niederkunfft“ 2015 veröffentlicht wurde, zu dem ich bis heute leider keinen richtigen Zugang gefunden habe.

Demnach hielt sich meine Begeisterung nach der Ankündigung des neuen Albums „Vanitas Vanitatvm“ (mit v statt u) auch erst mal in Grenzen. Doch gleich der Opener „Saturnvs“ macht klar, dass sie diesmal nicht vorhaben, eine Stunde lang auf der Bremse zu stehen. Genauso abwechslungsreich, mit Tendenz zu erhöhtem Tempo, geht es auch anschließend weiter – zum Glück, denn es gibt nicht viele Bands, die Schnelligkeit (im Genrejargon auch „Geknüppel“ genannt) so mit Epik verbinden können wie Helrunar. Fast jeder Blastbeat-Part ist ein kleiner Gänsehautmoment. Auch die Leads sind wieder einprägsamer geworden, Sänger Marcel Dreckmann klingt richtig wütend und beweist darüber hinaus erneut, dass er einer der besten Texter der Szene ist.

Einen oder mehrere Songs hervorzuheben, fällt schwer, da sie sich alle mehr oder weniger auf einem hohen Niveau die Waage halten. Es wird endlich wieder purer, kompakter, oft rasender Black Metal geboten, der keinen Fan der Frühwerke enttäuschen sollte und auch all jene versöhnen dürfte, die von „Niederkunfft“ abgeschreckt waren.

Lediglich eher langsame Stücke wie „Da brachen aus böse Blattern, am Menschen und am Vieh“ und „Nachzehrer“ sowie der akustische Titeltrack fallen etwas aus dem Rahmen, während „Als die Nacht zur Welt sich wandt“ vielleicht der aggressivste Track ist. Vertont wird hier Kapitel 24 aus Grimmelshausens „Der abenteuerliche Simplicissimus“, dessen Textzeile „Leb wohl Menschheit/dann auff dich ist nicht zu trawen noch von dir nichts zu hoffen“ auch zeigt, dass Helrunar hier ihr womöglich misanthropischstes Werk veröffentlicht haben…


Der ewige Geheimtipp?

Die US-amerikanische Singer-Songwriterin Marissa Nadler ist mir ungewöhnlicherweise erstmals 2010 auf dem Abschiedsalbum der Underground-Depri-Black-Metal-Legende Xasthur („Portal Of Sorrow“) aufgefallen, das sie mit ihren sphärischen Gänsehaut-Vocals veredelte. Damals war sie noch ein absoluter Geheimtipp, heute … wie es scheint ebenso, auch wenn sie, ähnlich wie Chelsea Wolfe oder Anna von Hausswolff, besonders unter Düster-Metal-Fans einen gewissen Kultstatus zu genießen scheint.

Das dürfte vor allem an der überirdisch schönen, elfenhaften Stimme und der stets melancholischen Grundstimmung ihrer Musik sowie an den oftmals morbiden, düster-romantischen Texten liegen. Edgar Allan Poe oder Virginia Woolf können ebenso als Einflüsse genannt werden wie Joni Mitchell, Leonard Cohen, Townes Van Zandt oder Tom Waits. Bis auf einige Experimente mit Indie bzw. Alternative Rock dominieren auf allen Alben leicht folkige, sparsam instrumentierte Singer-Songwriter-Lieder, die sich stilistisch nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Man könnte der jungen Dame vorwerfen, sich nicht wirklich weiterzuentwickeln, da zwischen den großartigen Frühwerken von 2004-2007 (vor allem „Songs III: Bird On The Water“ sei hier genannt) und dem aktuellen Album keine großen Unterschiede bestehen … aber offen gestanden will man das in diesem Fall auch nicht!

Gute 35 Minuten verzaubern lassen von einer faszinierenden Stimme und, wollte man es despektierlich ausdrücken, nettem Gitarrengeklimper, mehr braucht es im Fall von Marissa Nadler im Grunde nicht. Ich habe alle ihre bisherigen Platten gekauft und werde mir auch alle künftigen Alben zulegen, selbst wenn ich bereits jetzt erahnen kann, wie das neue Album, wann auch immer es erscheinen mag, klingen wird. Dass sie im Übrigen auch eine ernst zu nehmende Malerin ist, beweist das von ihr selbst gestaltete Albumcover.


Trauerbewältigung und Neuanfang

Die 2001 gegründete polnische Prog-Band Riverside gehört zu den beliebtesten Genrevertretern. Stilistisch bewegt sie sich irgendwo zwischen Porcupine Tree, Pink Floyd, Anathema oder aber auch bspw. Radiohead oder (ruhigen) Opeth, will heißen, ihr sphärischer, melancholischer Progressive Rock wird stets angereichert um Elemente aus dem Hardrock- oder gar Metal-Bereich, aber auch vor Elektro-Experimenten wird nicht zurückgescheut. Dabei beweisen die Polen stets ein Händchen für wunderschöne Melodien, großartige Texte, hinreißende Refrains sowie Gitarrenleads, auf die selbst David Gilmour stolz wäre. Traurigerweise verstarb 2016 der Mann, der für Letztere verantwortlich zeichnete: Piotr Grudzinski erlag gerade mal 40-jährig einem Herzinfarkt. Vor diesem Hintergrund wird das wundervolle letzte Studioalbum mit ihm, „Love, Fear And The Time Machine“ (versuchen Sie mal, „Time Travellers“ und „Found (The Unexpected Flaw Of Searching)“ zu hören, ohne einen Kloß im Hals zu haben …), gleich noch eine ganze Spur trauriger.

Trotz der Unmöglichkeit, Grudzinskis Fähigkeiten zu ersetzen, beschlossen Riverside um Frontmann und Bandboss Mariusz Duda, zunächst als Trio weiterzumachen. Ich muss gestehen, dass ich sehr skeptisch war, viel zu soundprägend waren die Gitarren bisher gewesen. Vielleicht bezeichnend, dass das Album in einer Art Wiegenlied nur von der tollen Stimme Dudas eingeleitet wird, ohne jegliche Gitarren, selbst die Keyboards setzen erst nach der Hälfte ein. Ein trauriger Einstieg, der vom eher unspektakulären, gegen Ende hin aber fast schon hoffnungsvolle Stimmung verbreitenden „Acid Rain“ gefolgt wird. „Vale Of Tears“ rockt noch mehr, bietet aber einen schönen Refrain von der Art, wie sie Riverside scheinbar mühelos aus dem Ärmel schütteln können, wenn sie denn wollen.

Der erste richtige Höhepunkt des Albums ist das ruhige, introspektive „Guardian Angel“, das von gefühlvollen Gitarrenleads geprägt wird. Diese wurden im Übrigen auch mithilfe zweier Gastmusiker aufgenommen. Auf dem schleppenden „Lament“ wechseln sich Akustikgitarren mit harten Riffs ab und bilden im Verbund mit einer schönen Gesangsmelodie einen weiteren Höhepunkt. Das Instrumental „The Struggle For Survival“ wird dagegen nur von dem emotionalen Schluss gerettet, während „River Down Below“ erneut beweist, dass die ruhigen, traurigen Momente stets die schönsten, berührendsten in der Bandgeschichte waren. Dazu kommt noch ein Solo, das z.B. auch auf Anathemas „Judgement“-Album hätte stehen können. Der Titeltrack und die abschließende Pianoballade „The Night Before“ runden eine Platte ab, die im Bandkontext kaum Neues bietet, sondern „nur“ die von ihnen bekannten Elemente zu einem erneut abwechslungsreichen, emotionalen Klassealbum formt, mit dem Riverside-Fans nichts verkehrt machen … selbst wenn es leider kein Überwerk wie das erwähnte „Love …“ oder das Debüt „Out Of Myself“ geworden ist.