UkraineKiews Gegenoffensive soll bereits begonnen haben

Ukraine / Kiews Gegenoffensive soll bereits begonnen haben
Denis Kapustin (M.), Kampfname „White Rex“, ist ein ausgewiesener russischer Neo-Nazi, kämpft mit seiner Truppe gegen die russischen Invasoren in der Ukraine und will, wie auch andere russische Kämpfer, das Putin-Regime stürzen Foto: AFP/Sergey Bobok

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Schüsse pfeifen um einen Pressebus. Journalisten gehen panisch in Deckung, die meisten suchen Schutz im Auto, einer Falle. Der auf einem Sieben-Sekunden-Video festgehaltene Vorfall vom Mittwochabend im russischen Dorf Kozinka, nach den Gebäuden zu urteilen rund 700 Meter von der Staatsgrenze mit der Ukraine entfernt, geht glimpflich aus.

Am Donnerstag früh hat die halb-staatliche russische Presseagentur TASS eine Erklärung gefunden: Die ukrainische Armee hätte den Grenzübergang 84-mal beschossen, darunter auch die Journalisten, wird darin der Gouverneur des Gebiets Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, zitiert. Verschwiegen wird dabei, dass es sich bei dem beschossenen Bus um einen Teil der rund 100 internationalen Journalisten gehandelt hat, die am Rande des russischen Dorfes einer Pressekonferenz von zwei russischen Kampfgruppen beiwohnten, welche am Montag von der Ukraine aus ins russische Gebiet Belgorod eingedrungen waren. Laut dem Moskauer Verteidigungsministerium sollen sie bis Dienstagabend bereits wieder vertrieben worden sein. 70 „ukrainische Terroristen und Saboteure“ seien dabei getötet worden, man hätte sie bis in die Ukraine hinein verfolgt und liquidiert, hieß es in Moskau.

Auf einem Feld berichtete derweil der Anführer „White Rex“, umringt von teils vermummten Kämpfern, am Mittwochnachmittag von großer Unterstützung und Plänen, auch andere russische Grenzgebiete anzugreifen. „Wir erhalten viele Meldungen in unserem Chat von Lokalbewohnern, die uns unterstützen und mit uns kämpfen wollen.“ „Caesar“, der Anführer der russischen Kampftruppe „Freiheit Russlands“, berichtet, sie seien bis zu 42 Kilometer nach Russland eingedrungen, hätte aber leider zwei Todesopfer und zehn Verletzte zu beklagen. „Wir hätten bis nach Belgorod vordringen können, aber das war nicht unsere Aufgabe“, sagt „Caesar“.

Unabhängig nachprüfen lassen sich diese Behauptungen nicht. Doch der Image-Schaden für den Kreml ist bereits so enorm. Statt über den Fall der zehn Monate lang umkämpften ukrainischen Stadt Bachmut spricht die ganze Welt über zwei russische Trupps von je ein paar Hundert Kämpfern, die auf der Seite der Ukraine kämpfen, von dort aus über die Staatsgrenze erfolgreich nach Russland vorgedrungen und dort mehrere Dörfer besetzt haben.

„Für uns ist jeder Grenzübertritt alleine schon ein Erfolg“, sagte „White Rex“, mit bürgerlichem Namen Denis Kapustin, auf der Pressekonferenz. Dass sich Kapustin (Kampfname Denis Nikitin) jahrelang in Hooligan- und Neo-Nazi-Kreisen in Deutschland und der Schweiz herumgetrieben hat, ist in diesem Kontext nur eine Fußnote. Viel schwerer wiegt die Tatsache, dass Russland offenbar nicht fähig ist, seine eigene Staatsgrenze zu schützen.

Ungünstig ist die Tatsache, dass es den russischen Truppen bei dem erst nach einem Tag beginnenden Abwehrkampf offenbar gelungen ist, zwei gepanzerte Militärfahrzeuge aus ehemals amerikanischen Beständen zu beschlagnahmen. Mindestens drei solcher Fahrzeuge sollen bei der Aktion eingesetzt worden sein. Die ukrainische Armee, deren Teil die beiden russischen Truppen sind, hatte Hunderte davon von den USA erhalten. Die USA hätten Angriffe innerhalb Russlands weder ermutigt noch diese ermöglicht, kommentierte am Mittwoch ein US-Außenministeriumssprecher. Es liege an der Ukraine, „zu entscheiden, wie sie diesen Krieg führen will“, zitierte die New York Times Matthew Miller.

Moskau es mit gleicher Münze zurückgezahlt

Kiew wiederum weist eine Beteiligung an den Angriffen der paar Dörfer zurück. Die ukrainische Regierung bedient sich dabei genau jenes Narrativs, das der Kreml 2014 für die pro-russischen Donbas-Separatisten benutzte. Angeblich sollen die beiden russischen Truppenverbände auf der Seite der Ukraine eigenmächtig gehandelt haben. Moskau wird so nun mit gleicher Münze zurückgezahlt. Wobei die Aktion durchaus ein Teil des Beginns der ukrainischen Gegenoffensive sein könnte, zumal es eben auch darum geht, die russische Abwehrkraft etwa mittels erzwungenen Truppenverlegungen zu schwächen.

Die offiziellen russischen Stellen wiederum spielen den Vorfall eher herunter. Statt erneut mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen zu drohen, den ein direkter Angriff auf Russland laut eigener Doktrin ermöglichen würde, ist von der schnellen und effektiven Abwehr einiger, wohlgemerkt „ukrainischer Terroristen“ die Rede.  Dass die Ukraine dennoch eine Gefahr für Russland darstellt, wurde am Donnerstag durch zwei angeblich effektiv abgewehrte ukrainische Sabotageakte gegen AKWs bei Sankt Petersburg und Twer „bewiesen“.

In Kiew bestätigte der Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Mittwochabend, dass die seit Wochen erwartete Gegenoffensive der ukrainischen Armee bereits begonnen habe. „Die Gegenoffensive läuft schon seit Tagen“, sagte er in einem TV-Interview. „Dies ist ein intensiver Krieg entlang einer Grenze von 1.500 Kilometern. Unsere Aktionen haben bereits begonnen“, führte Podoljak aus.