Donnerstag6. November 2025

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EditorialKeine Zeit für Götter: Gedanken zu Pop-Stars, Politik und der Welt

Editorial / Keine Zeit für Götter: Gedanken zu Pop-Stars, Politik und der Welt
Ein Taylor-Swift-Fan mit Weihnachtswunsch Foto: Getty Images via AFP

Es war ein paar Tage vor Weihnachten, da legte meine Freundin eine Platte auf, die mich aufhorchen ließ. Glockenschläge, verhallte Drums. Ich drehte mich um, sie hielt mir das Cover entgegen: „Do They Know It’s Christmas?“, die 1984 erschienene Weihnachts-Single des Allstar-Projekts Band Aid. Phil Collins trommelte gerade los, George Michael setzte an, Boy George zu überflügeln. Aber mein Blick klebte am Cover. Eine Collage bunter Weihnachtsmomente, Geschenkeberge, Kindergesichter, Szenen, irgendwo zwischen Dickens-London und Wirtschaftswunder. Und inmitten dieser klebrig-süßen Bürgerlichkeit: ein Foto von zwei nackten, ausgehungerten, schwarzen Kindern, denen Fliegen um die Augen krabbeln.

In den Jahren 1984 bis 1985 herrschte in Äthiopien eine Hungersnot, der schätzungsweise eine halbe bis eine Million Menschen zum Opfer fielen. Um Geld für diese humanitäre Krise zu sammeln, gründeten Bob Geldof und Midge Ure das Projekt Band Aid und trommelten alles zusammen, was in der britischen Pop-Szene dieser Jahre Rang und Namen hatte: U2, Duran Duran, Culture Club, Spandau Ballet, Police, Wham und Phil Collins. Andere wie David Bowie und Paul McCartney, die am Studiotag leider verhindert waren, schickten Grußbotschaften. Ein halbes Jahr später toppte Geldof das Spektakel noch einmal: Die Wohltätigkeitskonzerte Live Aid in Philadelphia und London waren eines der größten Ereignisse der Musikgeschichte. Bis heute ist es leichter, die Liste der Weltstars aufzuzählen, die nicht dabei waren: Michael Jackson, Bruce Springsteen und Prince. Zusammen sammelten Band Aid und Live Aid mehr als 150 Millionen US-Dollar an Spendengeldern.

Ein Erfolgsrezept, an das in regelmäßigen Abständen anzuknüpfen versucht wurde. Jubiläums-Neuaufnahmen mit neuen Stars. Band Aid 20 mit Robbie Williams und den Sugababes, Band Aid 30 im Jahr 2014 mit One Direction, Ed Sheeran und Coldplay. Und Band Aid 40? 2024? Kam nicht zustande. Krisen, Not und Leid sind nicht verschwunden, die Allstar-Projekte schon. Warum singt niemand für Gaza oder den Sudan? 

Ein Grund liegt auf der Hand: Heute würde man Projekte wie Band und Live Aid als „White Saviorism“ verurteilen. Eine in der Mehrheit weiße Gruppe von Männern und Frauen, die sich aufschwingen, die „armen Kinder in Afrika“ (siehe Foto auf dem Plattencover) zu retten. Mit aus heutiger Sicht brutal naiver Perspektive („Wissen sie überhaupt, dass Weihnachten ist?“). Heute sind Diskurse über humanitäre Hilfe und Rassismus komplexer geworden. Solche Verallgemeinerungen, wie gut sie auch gemeint sind, gehen nicht mehr durch. Einerseits. Es gibt aber auch noch einen anderen Punkt, an dem es sich lohnt, kulturhistorisch weiterzudenken. Vielleicht gibt es solche Star-Projekte auch deshalb nicht mehr, weil es solche Stars nicht mehr gibt.

Das Musikbusiness hat sich in den vergangenen Jahren drastisch beschleunigt. Die Halbwertszeit von Trends, Stilen und Karrieren ist geschrumpft. Auf der einen Seite gibt es die sogenannten „Legacy Acts“, die zwar wenig Interessantes, Neues mehr liefern, aber seit Jahrzehnten konstant Stadien und Hallen füllen. Jenseits der Jahrtausendwende, im Internet-Zeitalter, gibt es noch immer Stars, aber sie strahlen hell und kurz. Moment, kommt jetzt der Einwand: Drake, BTS, Beyoncé, Taylor Swift, das sind doch Millionen-Phänomene! Zweifellos, aber wird sich daraus eine sieben Jahrzehnte umfassende Karriere entwickeln wie bei den Rolling Stones? Fragwürdig.

Es ist keine Zeit mehr für Pop-Götter. Auch für das alte Verhältnis von Pop und Politik brechen neue Zeiten an. Man sah es schon bei der US-Wahl: Das ganze Gewicht der US-amerikanischen Kulturindustrie – immerhin die größte und wirkmächtigste auf der Welt – konnte Donald Trump nicht verhindern. Das Leuchten der Stars, man hat es überschätzt.

fraulein smilla
27. Dezember 2024 - 10.38

Der heilige Bob ,der sich berufen fuehlte einen ganzen Kontinent zu retten , haette sich mal in seiner Umgebung umzuschauen sollen . Seine Tochter starb an einer Ueberdosis .-Hillary und Kamala haetten sich mit amerikanischen Arbeitern ablichten sollen ,statt mit Popstars die in ihrer eignen Blase leben und zur Realitaet keinen Bezug mehr haben .