Schulpersonal hätte seine helle Freude an dieser Parlamentssitzung gehabt, so gesittet und geordnet lief die erste Debatte zum Pensionssystem in der Chamber an diesem Mittwoch ab. Gleich zu Beginn gab es eine klare Aufgabenstellung, unterteilt in fünf Fragen, von Lehrerin Martine Deprez, in ihrem anderen Beruf auch Ministerin für soziale Sicherheit. Die Parteien sollen bitte Stellung beziehen zu den Schlüsselstellen des Rentensystems: Beiträge, Renteneintrittsalter, Pensionsniveau, Anrechnung von Arbeitsjahren, Verhältnis der beiden Regime des privaten und öffentlichen Sektors. Dieser Aufforderung kamen alle mehr oder weniger brav nach – Taina Bofferding in ihrer Rolle als erste Rednerin der Opposition beschwerte sich zumindest darüber, dass die Abgeordneten erst weniger als 24 Stunden vor der Debatte Zugriff auf relevante Daten bekamen. Wenig Zeit, um sich als pflichtbewusster Parlamentarier vorzubereiten.
Dafür, dass diese Parlamentsdebatte seit Wochen mit Spannung erwartet wurde, verlief sie bis auf einen durch Kritik an der Rentenreform von 2012 persönlich gekränkten Mars Di Bartolomeo ziemlich reibungsarm. Viele Querschläger gab es an diesem Tag nicht zu hören. Stattdessen muss man nach der ersten Rentendebatte in der Chamber resümieren: In vielen Fragen zur Rente herrscht ein breiter parlamentarischer Konsens. Er beginnt beim Naheliegenden, der Notwendigkeit einer Reform. Auch dass das Umlageverfahren der ersten Säule bestehen und gestärkt werden muss, darüber ist man sich parteiübergreifend einig. Am gesetzlichen Renteneintrittsalter von 65 Jahren will – außer der ehemaligen Rentenpartei ADR – auch niemand schrauben. 40 Beitragsjahre scheinen ebenso gesetzt wie die Beibehaltung der Studienjahre bei der Anrechnung. Ein denkwürdiger Moment: Wachstum, sonst gerne als Allheilmittel verschrieben, bekommt in der Pensionsdebatte eine klare Absage – selbst von der CSV. 18.000 neue Arbeitsplätze pro Jahr, um das System zu erhalten, das schafft keine Wirtschaft. CSV-Mann Donnersbach stellt die Ideologiefrage: „Ass sou vill Wuesstum iwwerhaapt gewollt?“ Da muss sogar Schulleiter Luc Frieden ob der rebellischen Frage aus den eigenen Reihen kurz aufblicken.
Allein, und das ist eine weitere Gemeinsamkeit in der Debatte, wirklich grundlegende Reformvorschläge gibt es an diesem Tag nicht zu hören – auch wenn sich alle einig sind, dass es so nicht weitergehen kann. Eine echte Rechnung für ein reformiertes Rentensystem kann außer „déi Lénk“ niemand vorweisen. Dafür gibt es viele kleine Verbesserungsvorschläge: mehr finanzielle Anreize, damit weniger Leute vor dem gesetzlichen Rentenalter ausscheiden, flexiblere Altersteilzeitmodelle. Den meisten Spielraum (und die meiste Ungewissheit) bieten weiterhin die Säulen zwei und drei des Rentensystems, die betriebliche Zusatzrente und die private Altersvorsorge. Entsprechend klein ist hier auch die Schnittmenge der Parteien. Während „déi Lénk“ vor einem Umstieg auf eine kapitalgedeckte Altersvorsorge warnt, gibt es von anderen Abgeordneten verschiedene Vorschläge für zukünftige Fonds.
Genug Konsens also für eine Rentenreform mit breiter Basis, genug Unterschiede für lebhafte Debatten, z.B. zur Erhöhung der Mindestrente. Die Regierung könnte nun politischen Mut beweisen und mit großem, teils parteiübergreifendem Rückhalt voranschreiten. Ministerin Deprez’ letzte Worte an diesem Tag klangen jedoch eher nach Angst vor der eigenen Courage: Der Ausgang des ganzen Prozesses sei noch völlig ungewiss.
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