„Ins Theater zu gehen, ist sicher“, sagt Ignacio García-Belenguer, Generaldirektor der Madrider Oper. Die Erfahrungen des Madrider Experiments hätten bewiesen, dass der Kulturbetrieb auch in Coronazeiten weitergehen kann. Nur während der ersten großen Viruswelle vor einem Jahr, als in Spanien der härteste Lockdown Europas galt, herrschte auch in Madrids Oper Stille. Doch seit Juli 2020 wird in der über 200 Jahre alten Musikstätte, die gleich neben dem alten Königspalast am Rande der Altstadt liegt, wieder vor Publikum gespielt.
Übrigens: Auch Kinos, Schauspielhäuser und die Madrider Philharmonie sind schon lange wieder geöffnet. Madrid habe sich hinsichtlich der Organisation von Kulturveranstaltungen zu einem europäischen Vorbild entwickelt, erklärt ein Sprecher der Regionalregierung, die für die Anti-Corona-Politik zuständig ist. Auch nach hunderten von Live-Events habe man keinen größeren Virus-Ausbruch entdeckt. „Die Wiedereröffnung der Kulturstätten ist die richtige Entscheidung gewesen.“
All dies ist umso bemerkenswerter, als Spanien eines der am schlimmsten durch die Epidemie betroffenen EU-Länder ist: Die Zahl der Infektionen wie auch der Corona-Toten pro 100.000 Einwohner ist in Spanien sehr viel höher als zum Beispiel in Deutschland oder Österreich. Die Millionenmetropole Madrid, die sich nun als Kulturhauptstadt profiliert, ist sogar einer von Spaniens größten Corona-Hotspots.
Wagnis
Aber auch die politische Gelassenheit in Madrid ist in Sachen Corona größer als andernorts. Die konservative Ministerpräsidentin der Region lehnt einschneidende Einschränkungen der Bürgerfreiheit und Mobilität strikt ab. Das öffentliche Leben müsse weiterlaufen, sagt sie. „Ich kann nicht zulassen, dass die Madrilenen ihre Freiheit verlieren“, lautet einer der Lieblingssätze von Madrid-Präsidentin Isabel Díaz Ayuso. Virologen reagieren darauf mit Kopfschütteln. Aber viele Kulturschaffende applaudieren. Genauso wie Handel und Gastronomie, für die es in Madrid keine einschneidenden Restriktionen gibt.
Das Überraschende am Madrider Wagnis ist: Auch ohne harten Lockdown gingen die Ansteckungen in Madrid nach der vergangenen schweren Coronawelle, die Spanien im Januar und Februar erwischte, wieder zurück. Zuletzt betrug die Sieben-Tage-Inzidenz etwas über 110 Fälle pro 100.000 Einwohner – mit leicht steigender Tendenz. Deutschlands mittlere Wocheninzidenz ist nicht viel niedriger. Österreichs Sieben-Tage-Wert ist mit über 200 sogar mehr als doppelt so hoch – und das mit Stilllegung des Kulturlebens.
Gute Hygienekonzepte
Ist vielleicht das Ansteckungsrisiko bei Live-Events gar nicht so groß, wenn es gute Hygienekonzepte gibt? Spaniens oberste Kulturfreunde, König Felipe und Königin Letizia, vertrauen jedenfalls der Versicherung, dass der Theaterbesuch auch in diesen Zeiten möglich sei. Ihre Majestäten kamen gleich zu Beginn der Opernspielzeit, als Giuseppe Verdis „Maskenball“ auf dem Programm stand – natürlich mit Mund-Nasen-Schutz, der obligatorisch ist.
Am Eingang wurde auch beim Königspaar per Infrarot Fieber gemessen. Alle Besucher werden stets über desinfizierende Fußmatten geleitet. Eine Kontaktadresse wird für den Notfall gespeichert. Um Gedränge zu vermeiden, gibt es für jeden Sitzplatzsektor Zeitkorridore für den Einlass ins Gebäude und das Verlassen. Ein raffiniertes Belüftungssystem sorgt für ständigen Luftaustausch. Nur jeder zweite der knapp 1.800 Sitzplätze wird besetzt.
Die letzten Tage standen Richard Wagners „Siegfried“ und Vincenzo Bellinis „Norma“ auf dem Programm. Immer vor ausverkauftem Haus. Der Applaus der rund 900 Zuschauer, die derzeit pro Vorstellung im Saal sitzen dürfen, klingt immer noch sehr gut, um Orchester und Opernensemble zu belohnen. „Die Menschen“, heißt es im Programmheft des Königlichen Opernhauses, „brauchen Momente der Freude und der Kultur“. Wer wollte dem widersprechen?
De Maart
Die halbe Stadt ist ans Meer in ihre Ferienwohnungen geflüchtet, genau wie in New York oder Paris.