Belarus und PolenKein Vor und kein Zurück: 32 Flüchtlinge stecken zwischen beiden Ländern fest

Belarus und Polen / Kein Vor und kein Zurück: 32 Flüchtlinge stecken zwischen beiden Ländern fest
Eine kafkaesk anmutende Situation: vorne polnische Grenzer, in der Mitte Flüchtlinge, dahinter belarussische Polizisten Foto: AFP/Wojtek Radwanski

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Der Streit um 32 zwischen den Staatsgrenzen Polens und Belarus’ gestrandete Flüchtlinge eskaliert. Warschau will jetzt den Ausnahmezustand in den Grenzregionen zum Nachbarland verhängen.

Das erste Mal seit der demokratischen Wende von 1989 will eine Regierung in Polen den Ausnahmezustand verhängen. Premierminister Mateusz Morawiecki hat Staatspräsident Andrzej Duda am Dienstag darum gebeten. Die bisher auf zwei ostpolnische Woiwodschaften beschränkten Zwangsmaßnahmen müssen allerdings auch vom Sejm abgesegnet werden.

Dort hat Jaroslaw Kaczynskis Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) seit Mitte August keine Mehrheit mehr. Allerdings kann PiS wohl auf die Unterstützung der rechtsradikalen „Konföderation“ zählen, denn der Ausnahmezustand wird von der Regierung mit der Abwehr von Flüchtlingen an Polens Ostgrenze begründet.

Dort sind laut Angaben des polnischen Grenzschutzes alleine in den ersten drei Wochen des Augusts rund 2.000 versuchte illegale Grenzübertritte aus Belarus registriert worden. Die Mehrheit der Migranten wollten Asylanträge in Polen, also der EU stellen, wurden aber – im Widerspruch zur Genfer Konvention – wieder zurückgedrängt. Durchgelassen werden vor allem Belarussen, die indes einen geringen Anteil der Flüchtlinge stellen.

Dann werden auch Proteste unmöglich

„Wir müssen diese aggressiven, hybriden Aktionen stoppen, die von Lukaschenko und seinen Unterstützern geplant worden sind“, begründet Morawiecki den Antrag. Laut PiS hat der Ausnahmezustand kaum Auswirkungen auf die Bevölkerung der beiden Woiwodschaften, wohl aber auf Besucher der Gebiete. So soll es künftig nicht mehr erlaubt sein, näher als drei Kilometer an die Staatsgrenze heranzukommen. Auch sollen entlang der Grenze keine Proteste möglich sein. Die liberale und linke Opposition klagt deswegen über eine Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Der Gesetzesentwurf für den Ausnahmezustand in den Woiwodschaften Podlasien und Lublin deckt sich in der Tat auffallend stark mit einer Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition um 32 Flüchtlinge beim Weiler Usnarz Gorny direkt an der belarussischen Grenze. Dort sind seit über drei Wochen 32 Afghanen und Iraker, darunter ein 15-jähriges Mädchen, im Niemandsland zwischen Polen und Belarus gestrandet. Auf beiden Seiten der kleinen Flüchtlingsgruppe stehen in einer kafkaesk anmutenden Situation die jeweiligen Grenzschützer und verhindern ein Weiterkommen beziehungsweise den Rückzug der Gruppe.

Früher haben wir Drogen und illegale Migranten für euch gestoppt, nun müsst ihr das selbst auslöffeln und sie selbst abfangen

Alexander Lukaschenko, der belarussische Autokrat kündigte seinen Umschwung im Frühsommer an

Nachdem ursprünglich Dorfbewohner und auch polnische Grenzschützer die Flüchtlinge offenbar mit Nahrungsmitteln versorgt haben, ist inzwischen die Opposition auf den Plan getreten. In mehreren fotogenen Aktionen haben Parlamentarier und Bürgeraktivisten versucht, den Flüchtlingen Nahrung und Medikamente zu bringen. Warschau ließ in der Folge immer mehr Grenzschützer, und dazu auch Soldaten und Polizei, an Ort und Stelle bringen. Die Medienvertreter wurden immer weiter abgedrängt. Der bisherige Höhepunkt bildete der Versuch der Demokratieaktivisten „Bürger der Republik Polen“, kurzerhand einen Grenzzaun auf polnischer Seite zu durchtrennen. Die 13 „Saboteure“ wurden sofort festgenommen. Vor allem dieses Spektakel, so scheint es, soll mit der neuen 3-Kilometer-Zone entlang der Staatsgrenze verhindert werden.

„Lukaschenkos Regime hat entschieden, diese Leute ins polnische, litauische und lettische Territorium zu drängen, um die Lage zu destabilisieren“, begründet hingegen Kaczynskis Regierungschef Morawiecki. Warschau sieht die von den belarussischen Behörden offensichtlich über die Grenze gelassenen Flüchtlinge auch als Rache für das im August von Polen gewährte Asyl für die belarussische Olympia-Sprinterin Christina Tsimanouskaya.

Vollkommen neue Flüchtlingsroute in die EU

In der Tat sind von Polen, Litauen und Lettland seit Anfang Juni zusammen rund 7.000 Flüchtlinge bei der illegalen Einreise aus Belarus abgefangen worden. Mehr als zwei Drittel der von Litauen aufgegriffenen Flüchtlinge stammen aus dem Irak, häufig von den Migranten genannte Herkunftsländer sind auch Afghanistan, Syrien, Kongo und Kamerun. Sie alle benutzen eine völlig neue Fluchtroute in die EU über den internationalen Flughafen von Minsk, der belarussischen Hauptstadt, die sie bis vor kurzem noch aus Bagdad und heute vor allem aus Istanbul erreichen. Laut polnischen Regierungsangaben sollen sich noch rund 10.000 solcher Flüchtlinge in Belarus aufhalten.

Mit neuem Grenzzaun in den hybriden Krieg: Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak bei einer militärisch aufgeladenen Pressekonferenz
Mit neuem Grenzzaun in den hybriden Krieg: Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak bei einer militärisch aufgeladenen Pressekonferenz Foto: dpa/Artur Reszko

Bis zum Frühsommer wurde die belarussische Seite der Grenze gut bewacht. Doch im Juni hat Belarus als Antwort auf EU-Sanktionen nach der erzwungenen Landung einer Ryanair-Maschine auf dem Flughafen von Minsk und der Verhaftung des Bloggers Roman Protassewitsch ein entsprechendes Abkommen mit Brüssel gebrochen. „Früher haben wir Drogen und illegale Migranten für euch gestoppt, nun müsst ihr das selbst auslöffeln und sie selbst abfangen“, höhnte damals der Autokrat Alexander Lukaschenko. Die Regierungen Litauens, Lettlands und Polens sprechen von einem „hybriden Krieg“, bei dem die „Flüchtlinge als Waffe“ eingesetzt würden.