Dass sie wahre Größe besitzt, zeigte Ultraschwimmerin Paule Kremer in den letzten Wochen, als sie offen über ihre mentalen Probleme und den Verzicht auf ihre nächste große Challenge sprach. Auch mal über seine eigenen Schwächen reden zu können, ist im Spitzensport nämlich noch immer ein Tabu.
„In diesem Sport sieht man vor allem die Leute, die es schaffen. Es gibt aber auch sehr viele, die es nicht schaffen, was ebenfalls Teil des Prozesses ist“, so Paule Kremer, die ihre nächste große Herausforderung, ihre vierte Challenge der berühmten „Ocean’s Seven“, abgesagt hat. Dass die Ultraschwimmerin sich eingestehen musste, dass sie mental nicht bereit ist, in diesem Sommer die 34 Kilometer des Nordkanals zwischen Nordirland und Schottland zu schwimmen, ist eine Sache. Denn Scheitern, das kannte die 37-Jährige in ihrem Sport in dieser Form bisher noch nicht. So bewältigte sie nicht nur drei der sieben großen Meerengen – den Ärmelkanal, den Catalina-Kanal und die Straße von Gibraltar – direkt beim ersten Versuch, sondern schaffte auch 2023 die „20 Bridges“ in Manhattan mit Bravour. Ein Happy End jagte demnach das nächste.
Zu gerne hätte Paule Kremer auch in diesem Sommer die durch das kalte Wasser und die starken Strömungen bisher wohl herausforderndste Strecke gemeistert. Dass sie es nicht versucht hat, sondern im Mai bei ihrem Qualifikationsversuch in Dover nach nicht einmal einer Stunde aus dem Wasser gestiegen ist, damit haderte die Extremsportlerin in den letzten Wochen, die von vielen Selbstzweifeln geprägt waren, häufig. Alles, was sie bisher in ihrem Sport erreicht hatte, verlor plötzlich seinen Stellenwert und Paule Kremer fühlte sich ziemlich klein.
Dass sie jedoch zu den ganz Großen gehört, zeigt alleine der Schritt, auch öffentlich über ihre Erfahrungen der letzten Monate zu reden. Denn dass eine Sportlerkarriere nun einmal viel mehr aus Rückschlägen als aus Erfolgserlebnissen besteht, dessen ist sich die 37-Jährige bewusst geworden und möchte dies auch gerne der jüngeren Generation vermitteln, die in einer Social-Media-Gesellschaft aufwachsen muss, in der alles perfekt zu sein scheint. Das Eingestehen der eigenen Schwächen ist im internationalen Spitzensport nach wie vor ein Tabuthema. Noch immer wird viel zu wenig über die mentale Gesundheit gesprochen, auch wenn Fälle wie der von Weltklasseturnerin Simone Biles 2021 bei den Olympischen Spielen in Tokio, wo sie sich auf der weltweit größten Sportbühne zurückzog, dieses Thema in den letzten Jahren immer mal wieder in den Blickpunkt rückten.
Nicht nur mit ihren bisher erfolgreich absolvierten Challenges – Leistungen, zu denen nur die Wenigsten in der Lage sind – ist Paule Kremer im luxemburgischen Sport ein großes Vorbild, sondern auch durch ihre Entscheidung, öffentlich darüber zu reden, dass sie zu einer solchen derzeit nicht in der Lage ist. In vielen Reaktionen, die die Sportlerin in den letzten Wochen erhielt, konnte sie feststellen, dass es nicht nur ihr so geht, sondern das Thema mentale Gesundheit viele betrifft, bei denen es gar nicht vermutet wird. Umso wichtiger ist es, mit diesem Tabu zu brechen.
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