„In meiner Jugend wusste ich nichts über die frühere Arbeit meiner Mutter“, sagt Antony Penrose in der Doku „Lee Miller – Supermodel und Kriegsfotografin“. Er ist Lee Millers (1907-1977) Sohn. „Sie hatte mit diesem Kapitel abgeschlossen.“ Die Regisseurin Ellen Kuras und ihr Team schlagen das Buch wieder auf: In dem Spielfilm „Lee“ versuchen sie die Lebensgeschichte der amerikanischen Fotografin nachzuerzählen.
Der Streifen beginnt in einem Wohnzimmer, mit einem Gespräch zwischen Tony (Josh O’Connor) und Lee (Kate Winslet). Letztere zieht an ihrer Kippe, schenkt sich Alkohol ein und wehrt Tonys Fragen ab, bis sie nachgibt und von früher erzählt. Es folgen Rückblicke. Kuras’ Interesse gilt Lee Miller als einer der wenigen Kriegskorrespondentinnen für den Condé Nast-Verlag (u.a. „Vogue“) während des Zweiten Weltkrieges: Zuerst dokumentiert sie mit ihrer Kamera die Zerstörung Londons („The Blitz“), später die Schlacht um Saint-Malo, die Befreiung von Paris und die der Konzentrationslager.
True Story
All dies beruht auf wahren Begebenheiten: Lee Miller gilt als eine der ersten Fotograf*innen, die Bilder vom besiegten Deutschen Reich sowie den Gruppensuiziden hochrangiger SS-Mitglieder publizierte, indem sie mit dem Fotografen David Scherman („Time-Life“) durch Deutschland reiste. Ikonisch ist ihr Porträt in Adolf Hitlers Badewanne in seiner verlassenen Münchner Privatwohnung. Hitler nahm sich an dem Tag in Berlin das Leben. An der weißen Badematte trocknet der Schlamm der Schauplätze des Grauens fest, den Miller in die Wohnung hineingetragen hat.
Der Spielfilm porträtiert Miller als starke, eigenwillige Persönlichkeit, mit einem Auge für Details – sowohl in ihrer künstlerischen Arbeit als auch im Umgang mit ihren Mitmenschen. Die Filmemacher*innen schreiben ihr Empathie zu, vor allem für Frauen. In einer Szene deuten sie an, dass Lee – und auch das ist wahr – selbst als Kind missbraucht wurde. Ihre Familie versuchte, es zu vertuschen. An der Front, in den befreiten Konzentrationslagern, findet Ellen Kuras’ Lee Trost in ihrem Flachmann. Sie berichtet von den Gräueltaten, droht aber gleichzeitig daran zu zerbrechen. Das Narrativ sitzt, der Film läuft, eine frauenzentrierte Sicht auf den Krieg ist gegeben. Nur bleibt keine Zeit, sich intensiv mit Lee Miller auseinanderzusetzen. Kate Winslet spielt sie ausdrucksstark, trotzdem wirkt ihre Figur fade, wenn man die Vorlage kennt.
Was zuvor geschah
Lee Millers Griff zur Kamera war ein Akt der Selbstermächtigung: Ihre Karriere im Condé Nast-Verlag begann als Fotomodel. Millers’ Leben war geprägt von Missbrauch, von der Objektifizierung durch Männer. Als junge Frau posierte sie teilweise nackt für ihren Vater – dies wird in der Kunstgeschichte kontrovers diskutiert. Später stand sie u.a. für den gebürtigen Luxemburger Fotografen Edward Steichen vor der Kamera. Ihre ersten eigenen Bilder schoss sie Anfang der 1930-Jahre mit dem Fotografen Man Ray. Sie schloss sich den Pariser Surrealist*innen an; machte sich als Fotografin selbstständig. Es trieb sie zurück nach New York, dann der Liebe wegen kurze Zeit nach Kairo. Sie heiratete zweimal: Zuerst den ägyptischen Geschäftsmann Aziz Eloui Bey, danach den Künstler Roland Penrose, mit dem sie einen Sohn bekam.
Ich kannte meine Mutter als untätige Trinkerin, eine hysterische Person
Und dennoch sind Penrose und Scherman die einzigen Männer, denen die Köpfe hinter „Lee“ ausreichend Beachtung schenken. Erst durch einen unnötig sentimentalen Handlungswechsel am Ende und eine Notiz im Abspann, entpuppt Tony sich als Schlüsselfigur. Zu spät: In dem Moment haben sich die Filmemacher*innen von Lee Miller abgewandt, der Film endet mit ihrer Rückkehr aus dem Krieg. Tony bleibt nur die Zündschnur, an der diese unvollkommene Geschichte entflammt.
Woran mangelt es?
Der tragische Nachbericht fehlt. Das Team verwehrt dem Publikum die Chance, Lee Miller zu begreifen. Es macht sie kleiner, als sie es je gewesen ist. Fast so, wie es die Fotografin in der Nachkriegszeit selber tat: Sie litt stark unter ihren Traumata, versteckte ihre Arbeiten in Kisten auf dem Dachboden. „Ich kannte meine Mutter als untätige Trinkerin, eine hysterische Person“, erinnert sich ihr Sohn in der eingangs erwähnten Doku.
Antony Penrose erfuhr erst nach ihrem Tod von ihrem Werk. Ein Umstand, der nicht zuletzt auch der historischen Unterrepräsentierung von Frauen in den Geschichtsbüchern geschuldet sein dürfte. „Ich konnte nicht fassen, dass sie dieses Material geschaffen hatte“, sagt Penrose. „Ich hatte das Gefühl, dass diese Geschichte erzählt werden muss.“ Damit liegt er richtig und macht das in der Doku aufschlussreicher, als Ellen Kuras und Kate Winslet.
„Lee“, im Utopolis Kirchberg
„Lee Miller – Supermodel und Kriegsfotografin“, bis zum 11. Dezember frei zugänglich in der Arte Mediathek auf arte.tv
De Maart

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