Samstag25. Oktober 2025

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KonzertberichtJamie Cullum reißt Publikum im Casino 2000 aus den Sitzen

Konzertbericht / Jamie Cullum reißt Publikum im Casino 2000 aus den Sitzen
Daumen hoch für sich und die Band: Der britische Singer-Songwriter Jamie Cullum im Casino 2000 in Mondorf Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Er spielte schon für die Queen und komponierte Musik für Clint Eastwood: Der britische Musiker Jamie Cullum war am Samstag im Casino 2000 zu Besuch. Über ein musikalisches Wechselbad der Gefühle.

Samstagabend in Mondorf: Die Sonne geht unter, der Weg zum Parkplatz des Casino 2000 ist frei. Menschen mit Rollatoren und Gehstöcken bahnen sich einen Weg zur Konzerthalle „Chapito“. Aus einem offenen Autofenster dröhnt Jamie Cullums Stimme, der Andrang ist groß. Das Publikum ist im Schnitt deutlich älter als der 45-jährige Sänger aus Großbritannien – ein „Cross-over“-Musiker und Multiinstrumentalist, der sich durch Jazzkompositionen und Pop-Cover einen Namen machte.

Eingespieltes Team: Jamie Cullum und seine Band
Eingespieltes Team: Jamie Cullum und seine Band Foto: Editpress/Didier Sylvestre

An diesem Abend sind seine Fans gediegen: Viele tragen Jackett und farblich abgestimmte Abendkleidung. Im Kontrast dazu stehen die blinkenden Slot-Maschinen, an denen die Konzertgänger*innen auf dem Weg zu Cullum vorbeilaufen müssen. An den Spielautomaten wird gezockt, aus der angrenzenden Halle wirbt eine Stimme die Gastronomieangebote des Casinos an. Vor der Bühne: Sitzplätze. Eine andere Kulisse also als bei Jamie Cullums (vermutlich) erstem Auftritt in Luxemburg: 2006 spielte er im Atelier in Luxemburg-Stadt. Auf der Bühne machen sich die Jahre nicht bemerkbar – Cullum ist live damals wie heute ein Erlebnis. 

Wer vergisst Jamie Cullum?

Unter tobendem Applaus betritt er die Bühne und ruft der aufgeregten Menge ein keckes „Moien“ zu – viel gesprächiger wird er an diesem Abend nicht. Die Band spielt zur Begrüßung die ersten Noten von „Taller“ an: Es ist der titelgebende Song seines achten Studioalbums (2019). Hintergrund des Liedes ist der Größenunterschied zwischen Cullum und seiner Ehefrau Sophie Dahl, wie der Belfast Telegraph berichtet: Der Musiker misst 1,64 Meter, seine Frau ist über 1,80 Meter groß. „I wish I was taller/So can I stand next to you?/Face it, we don’t belong in the traditional sense“, singt Cullum mit Blick auf das ungleiche Paar. Der Eröffnungssong gibt den Ton an: Cullum nimmt sich nicht zu ernst und seinen Ruhm keineswegs als selbstverständlich. In „The Age of Anxiety“, das er in Mondorf darbietet, sehnt er sich gar explizit nach dem Rückzug, befürchtet gleichzeitig in Vergessenheit zu geraten („Is my career gonna reignite? (…) Do those kids know that I was somebody?“). 

Jamie Cullum nimmt ein Bad in der Menge
Jamie Cullum nimmt ein Bad in der Menge Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Gilt das Publikum in Mondorf als Messwert, spricht Cullum tatsächlich eher Erwachsene als Teenies an. Es gibt dennoch genügend Gründe, aus denen er in die Musikgeschichte eingehen dürfte: Für den besagten Song – die Lyrics gehen u.a. auf einen Schreibaustausch mit der verstorbenen Sängerin Amy Winehouse und politische Ereignisse wie den „Brexit“ („Here comes your European exit“) zurück – wurde er 2020 mit dem „Ivor Novello“-Preis ausgezeichnet. Schon in jungen Jahren zählte Cullum zu den vielversprechenden Talenten der britischen Jazzszene: 2003 gewann er im Alter von nur 24 Jahren den „British Jazz Award“ in der Kategorie „Rising Star“, sein drittes Album „Twentysomething“ (2003) verkaufte sich weltweit 2,5 Millionen Mal – damit galt er als „biggest selling jazz artist of all times“ in Großbritannien. Er wurde mehrfach für Preise nominiert, u.a. für den „Grammy Award“ für „Twentysomething“ (2005) und den „Golden Globe“ für den Titelsong zu Clint Eastwoods „Gran Torino“ (2009). 

Spielplatz: Bühne

Cullum bleibt trotzdem nahbar und ist sich in Mondorf weder zu schade, seiner Band viel – einen Tick zu viel – Raum für lange Solos einzuräumen noch dafür, der Fotopresse Arbeit abzunehmen: Während das Publikum einem seiner Bandkollegen lauscht, schnappt Cullum sich in Mondorf die Kamera eines Journalisten und fotografiert seine Kollegen kurzerhand selbst. Zwischendurch swingt er zum „Aristocat“-Klassiker „Everybody Wants To Be A Cat“ (Cover von Scatman Crothers), badet in der Menge und scherzt mit Anspielung auf den Veranstaltungsort: „I hope you won some money today. I did not.“ 

Jamie Cullum (l.) fotografiert seine Band
Jamie Cullum (l.) fotografiert seine Band Foto: Privat

Immer wieder wirft er verstohlene Blicke ins Publikum, bis er sich am Klavier in Rage spielt, das Instrument im Rhythmus der Musik abklopft und mehrmals – dafür ist Cullum bekannt – besteigt und in die Tiefe springt. Eine Energie, die in Mondorf allerdings nur langsam auf das Publikum übergeht. Das mag an den festen Sitzen liegen, aber auch der Setlist geschuldet sein: Zwar erlaubt sie einen guten Einblick in Cullums Repertoire, doch beschwört sie auch gegenteilige Stimmungen herauf. Schmissige Songs wie „What’d I Say“ (Cover Ray Charles), „I Get A Kick Out Of You“ (Cover Cole Porter) und Jazzballaden wie „Next Year Baby“ oder „What A Difference a Day Makes“ (Cover Jimmie Ague) wechseln sich ab. Mehrere unkommentierte Eingriffe durch Bühnenarbeiter an Cullums Klavier lenken ab. 

Erst gegen Ende des Konzerts reißt seine Musikleidenschaft die Zuhörenden dann doch noch sichtbar mit: Auf Cullums Ansage schnellt das Publikum hoch, Menschen aus den hinteren Rängen eilen nach vorne. Gehstöcke und Rollatoren sind in dem Moment keine mehr zu sehen. Gemeinsam tanzt die Menge zu den Klängen der Band und begleitet Cullums Jazzinterpretation des Rockklassikers „Killing In The Name“ (Cover Rage Against The Machine) gesanglich. Zum Abschied gibt er drei Zugaben und schlägt leise Töne an: Auf „Mixtape“ folgen „All At Sea“ und wegen eines Zurufs aus dem Publikum „If I Rule The World“. Auf dem Rückweg wirkt Cullums Auftritt jedenfalls positiv nach und macht Lust auf sein neues Album, das derzeit in Arbeit ist – derweil versprechen die Slotmaschinen weiterhin das große Glück.