Nahost-ÜberblickIsrael: Chan Junis eingekesselt, Haus von Hamas-Chef umstellt – Scharfe Kritik an Guterres

Nahost-Überblick / Israel: Chan Junis eingekesselt, Haus von Hamas-Chef umstellt – Scharfe Kritik an Guterres
Eine Katze geht am 2.12. vor dem von Katar finanzierten Wohnkomplex Hamad Town in Khan Yunis im südlichen Gazastreifen durch die Trümmer  Foto: Mohammed Talatene/dpa

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Während Israels Armee im Süden des Gazastreifens die Hamas-Führung jagt, wird die Lage für die Zivilisten immer unerträglicher. Der Chef der UN greift nun zu einem ungewöhnlichen Mittel. Im Folgenden ein Überblick über die Ereignisse bis Donnerstagmittag und ein Ausblick auf den Tag.

Israels Armee hat die größte Stadt im Süden des Gazastreifens nach eigenen Angaben nun eingekesselt und das Haus des Gaza-Chefs der islamistischen Hamas umstellt. Jihia al-Sinwar könne fliehen, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwochabend, „aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn finden“. Während in Chan Junis, die als Hochburg der Hamas gilt, der erbitterte Häuserkampf weitergeht, forderte UN-Generalsekretär António Guterres den Weltsicherheitsrat in einem seltenen Schritt zur Abwendung einer humanitären Katastrophe in dem Küstengebiet auf.

Guterres fordert abermals einen Waffenstillstand

„Ich wiederhole meinen Aufruf, dass ein humanitärer Waffenstillstand ausgerufen werden muss. Das ist dringend. Der zivilen Bevölkerung muss größeres Leid erspart bleiben“, schrieb er an den Sicherheitsrat und berief sich am Mittwoch auf Artikel 99 der UN Charta. Dieser erlaubt dem Generalsekretär, den Sicherheitsrat auf „jede Angelegenheit hinzuweisen, die seiner Meinung nach die Gewährleistung von internationalem Frieden und Sicherheit gefährden kann“ und ist nach Angaben der UN seit Jahrzehnten nicht mehr angewandt worden.

Ein Palästinenser sitzt am 6. Dezember auf seinem beladenen Auto, um vor einer israelischen Bodenoffensive zu fliehen
Ein Palästinenser sitzt am 6. Dezember auf seinem beladenen Auto, um vor einer israelischen Bodenoffensive zu fliehen Foto: Mohammed Dahman/AP/dpa

Israel erlaubt mehr Treibstoff für Gaza

Angesichts des Leids der Zivilbevölkerung wächst international die Kritik am Vorgehen der israelischen Armee. Israel erlaubt nun die Einfuhr von mehr Treibstoff in den Süden des Gazastreifens. Das Sicherheitskabinett habe am Mittwochabend einer Empfehlung des Kriegskabinetts zugestimmt, teilte Netanjahus Büro mit. Eine Erhöhung der erlaubten Mindestmenge sei erforderlich, „um einen humanitären Zusammenbruch und den Ausbruch von Epidemien zu verhindern“, hieß es. Unklar war zunächst, um wie viel die Treibstoffmenge, die täglich in den Gazastreifen gebracht werden darf, konkret erhöht werden soll.

Israel: Verteidigungsanlagen um Chan Junis durchbrochen

Derweil vermeldete die israelische Armee am Abend aus der Stadt Chan Junis den Durchbruch durch die dortigen Verteidigungsanlagen der Hamas. Die Soldaten hätten nun Angriffe gegen zentrale Stellungen der Terroristen gestartet und stießen nun tiefer in die Stadt vor, wo sich auch Sinwars Haus befindet. Sinwar sei nicht über der Erde, sondern im Untergrund, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari am Mittwochabend. Die Umstellung seines Hauses zeigt aus Sicht Israels jedoch, dass die Armee jeden Ort in Gaza erreichen kann.

Ein Palästinenser begutachtet die Zerstörung nach einem israelischen Luftangriff auf das Viertel Al-Amal
Ein Palästinenser begutachtet die Zerstörung nach einem israelischen Luftangriff auf das Viertel Al-Amal Foto: Ahmed Zakot/dpa

Experten vermuten, dass sich die Führung der Hamas und Tausende ihrer Mitglieder in einem weit verzweigten Tunnelnetz verschanzt haben könnten. Auch zahlreiche der noch festgehaltenen Geiseln werden dort vermutet. Seit dem Terrorangriff der Hamas und anderer Gruppierungen auf israelischem Gebiet am 7. Oktober, bei dem rund 1200 Menschen getötet wurden, steht Sinwar ganz oben auf Israels Abschussliste.

Sollte die israelische Regierung den Tod von Sinwar und anderer Hamas-Führer verkünden können, „würde sie viel Kapital daraus schlagen und behaupten können, dass ihre militärischen Ziele erreicht worden sind“, sagte Hugh Lovatt von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations im Wall Street Journal. Dies könne dazu beitragen, „die Bedingungen für ein Ende des Krieges zu schaffen“.

Israel übt erneut scharfe Kritik an Guterres

Israels Außenminister übte derweil erneut scharfe Kritik an UN-Generalsekretär Guterres. „Sein Antrag, Artikel 99 zu aktivieren und die Forderung nach einem Waffenstillstand in Gaza stellen eine Unterstützung der Terrororganisation Hamas dar“, so Eli Cohen auf X. „Jeder, der den Weltfrieden unterstützt, muss die Befreiung Gazas von der Hamas unterstützen.“ Guterres Amtszeit gefährde den Weltfrieden.

Palästinenser fliehen am 5.12. vor heftigen Kämpfen zwischen der israelischen Armee und der Hamas aus der Stadt Chan Junis in Richtung der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen
Palästinenser fliehen am 5.12. vor heftigen Kämpfen zwischen der israelischen Armee und der Hamas aus der Stadt Chan Junis in Richtung der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen Foto: Abed Rahim Khatib/dpa

Direkte Folgen hat eine Berufung auf den Artikel nicht. Es sei aber zu erwarten, dass der Sicherheitsrat noch diese Woche zusammenkomme, so ein Sprecher. Guterres hatte immer wieder auf die prekärere Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen hingewiesen. Berichten von Augenzeugen zufolge sind Tausende Familien von Chan Junis nach Al-Mawasi geflohen. Auch dort fehlten Nahrungsmittel, Wasser und Unterkünfte. „Es gibt keine ’sichere‘ Zone. Der ganze Gazastreifen ist zu einem der gefährlichsten Orte der Welt geworden“, so das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) auf X.

Die nächste Phase der Kämpfe im Gazastreifen drohe Zehntausende von Zivilisten nach Rafah nahe der ägyptischen Grenze zu treiben, berichtete das Wall Street Journal am Mittwochabend (Ortszeit) weiter. Ägypten habe die Sicherheitsabsperrungen an der Grenze zum Gazastreifen verstärkt. Auch die Hafenstadt Al Arish, etwa eine Autostunde westlich von Rafah, sei abgeriegelt worden. Diese sei zur Sammelstelle für humanitäre Hilfsgüter für den Gazastreifen geworden.

Palästinenser stehen am 5.12. Schlange, um sauberes Wasser aus einer Wasserstation zu erhalten
Palästinenser stehen am 5.12. Schlange, um sauberes Wasser aus einer Wasserstation zu erhalten Foto: Ahmed Zakot/dpa

Auch Huthi-Rebellen greifen Israel direkt an

Unterdessen haben auch die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen nach eigenen Angaben Gebiete in Israel angegriffen. „Eine Ladung ballistischer Raketen“ sei auf verschiedene militärische Ziele im Süden Israels abgefeuert worden, erklärten die vom Iran unterstützten Rebellen am Mittwochabend. Die Angriffe „gegen den israelischen Feind“ würden so lange fortgesetzt „bis die Aggression gegen unsere Brüder in Gaza endet“, hieß es. So lange würden auch israelische Schiffe daran gehindert werden, das Rote Meer zu befahren. (dpa)

Wieder gegenseitiger Beschuss an israelisch-libanesischer Grenze

Israel ist am Donnerstag erneut vom Libanon aus beschossen worden. „Es wurden mehrere Abschüsse aus dem Libanon Richtung Israel festgestellt. Als Antwort wurden die Abschussorte unter Feuer genommen“, teilte die israelische Armee auf Telegram mit. Es seien keine Soldaten zu Schaden gekommen. Zudem hätten Kampfflugzeuge „Hisbollah-Terrorziele“ auf libanesischem Gebiet angegriffen. Dabei habe es sich um „terroristische Infrastruktur, Abschussrampen, Militärposten und Militärstandorte der Terrororganisation Hisbollah“ gehandelt, schrieb das Militär weiter.

Palästinenser trauern am 2.12. im Krankenhaus um ihre Angehörigen, die beim israelischen Bombardement des Gazastreifens getötet wurden
Palästinenser trauern am 2.12. im Krankenhaus um ihre Angehörigen, die beim israelischen Bombardement des Gazastreifens getötet wurden Fatima Shbair/AP/dpa

Die Schiitenmiliz Hisbollah bestätigte den Beschuss Israels. Der Ort Maayan Baruch auf den israelisch besetzten Golanhöhen sei mit drei Rakten angegriffen und getroffen worden. Die israelische Artillerie habe zurückgeschossen. Unter anderem seien die libanesischen Orte Alma Al-Schaab, Dhaira, Wadi Al-Saluki und Kunin getroffen worden. Über Opfer wurde zunächst nichts bekannt. (dpa)

Israels Armee: Hamas hat Raketen aus „humanitärer Zone“ abgefeuert

Die Hamas hat nach Angaben der israelischen Armee aus einer als „humanitären Zone“ ausgewiesenen Gegend im Süden des Gazastreifens mehrere Raketen Richtung Israel abgefeuert. In der Nähe der Orte, von denen aus die Angriffe der Islamisten ausgingen, befinden sich Zelte geflüchteter Zivilisten, wie das Militär am Donnerstag mitteilte. Auch Einrichtungen der Vereinten Nationen gebe es in dem Gebiet namens Al-Mawasi am Mittelmeer unweit der Grenze zu Ägypten.

So fing der aktuelle Konflikt an: Eine Frau weint am 7. Oktober 2023 über dem zugedeckten Leichnam ihres Neffen, der in der israelischen Stadt Sderot erschossen wurde
So fing der aktuelle Konflikt an: Eine Frau weint am 7. Oktober 2023 über dem zugedeckten Leichnam ihres Neffen, der in der israelischen Stadt Sderot erschossen wurde Foto: AFP

Die Hamas habe von dort aus am Mittwochnachmittag unter anderem zwölf Raketen auf die israelische Stadt Beerscheba im Süden Israels abgeschossen. Israelische Medien meldeten einen Raketeneinschlag dort auf einem Parkplatz, der Schäden verursacht habe. Berichte über Verletzte gab es nicht. Nach Angaben der Armee landete ein fehlgeleitetes Geschoss aus Al-Mawasi am Mittwoch auch im Gazastreifen selbst. Es habe dort Zivilisten gefährdert. (dpa)

AFP-Recherche: Journalisten im Libanon wahrscheinlich von israelischem Panzergeschoss getroffen

Sieben Journalisten, die Mitte Oktober im Südlibanon unter Beschuss gerieten, sind nach einer Recherche der Nachrichtenagentur AFP wahrscheinlich von einem israelischen Panzergeschoss getroffen worden. Für die Untersuchung, die AFP am Donnerstag in Paris veröffentlichte, wurden ein Munitionsfragment, Satellitenbilder, Zeugenaussagen sowie Videos auch von Experten ausgewertet. Demnach wurden die Journalisten von einem 120-Millimeter-Panzergeschoss getroffen, das in der Region allein von der israelischen Armee verwendet wird.

Die von der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zur Verfügung gestellte Aufnahme zeigt Rauch, der nach einem Raketenangriff der Hisbollah von einem israelischen Grenzposten aufsteigt
Die von der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zur Verfügung gestellte Aufnahme zeigt Rauch, der nach einem Raketenangriff der Hisbollah von einem israelischen Grenzposten aufsteigt Foto: Ali Hashisho/XinHua/dpa

Bei dem Beschuss am 13. Oktober war der Reuters-Videoreporter Issam Abdallah getötet worden. Sechs weitere Journalisten wurden bei insgesamt zwei Explosionen verletzt: die AFP-Fotografin Christina Assi und ihr Videokollege Dylan Collins, zwei Mitarbeiter des Fernsehsenders Al-Dschasira sowie zwei weitere Reuters-Journalisten. Assi wurde schwer verletzt. Sie liegt immer noch im Krankenhaus, ihr musste das rechte Bein amputiert werden. (AFP)

Jordaniens Luftwaffe wirft medizinische Hilfsgüter über Chan Junis ab

Die jordanische Luftwaffe hat in der Nacht zum Donnerstag medizinische Hilfsgüter über der umkämpften Stadt Chan Junis im Gazastreifen abgeworfen. Wie die Streitkräfte in dem arabischen Land mitteilten, handelte es sich bereits um den vierten Abwurf. Es war jedoch der erste, der an das vor rund zwei Wochen eingerichtete jordanische Feldkrankenhaus in der Stadt im südlichen Gazastreifen ging. Die ersten drei Lieferungen waren an eine Einrichtung im Norden gegangen.